Zehn Jahre
AfD-Gründung: Geschichte einer Rechtsradikalisierung
Die AfD besteht mittlerweile seit zehn Jahren. Der Blick auf ihre Entwicklungsgeschichte veranschaulicht, dass hier von einer durchgängigen Dynamik hin zum Rechtsextremismus gesprochen werden kann. Es handelt sich damit um ein mustergültiges Beispiel für einen Prozess, der in der Extremismusforschung als „Rechtsradikalisierung“ bezeichnet wird. Ein Kommentar.
Am 6. Februar 2013, also heute vor zehn Jahren wurde im hessischen Oberursel eine neue Partei gegründet. Die hier gemeinte „Alternative für Deutschland“ (AfD) fällt in der historisch-politischen Gesamtschau durch zwei Spezifika auf. Erstens gelang es in der bundesdeutschen Geschichte bislang keiner neuen Partei, sich flächendeckend und kontinuierlich so schnell durch entsprechende Stimmabgaben als Wahlpartei zu etablieren.
Bekanntlich kommt die Partei im Osten häufig auf über 20 Prozent der Stimmen. Demgegenüber liegen die Werte im Westen niedriger, gleichwohl bewegen sie sich auch dort meist um die 10 Prozent der Stimmen. Welche Gründe es dafür gibt, muss die Wahlforschung klären.
Die zweite Besonderheit ist in einem Rechtsradikalisierungsprozess zu sehen, was dann für die Extremismusforschung mit einschlägigen Fragestellungen verbunden wäre. Denn eine dort vertretende Auffassung lautet: Eine rechtsdemokratische Partei mit einer rechtsextremistischen Minderheit entwickelte sich zu einer rechtsextremistischen Partei mit einer rechtsdemokratischen Minderheit.
Kontinuität in der Parteigeschichte: Rechtsradikalisierung
Die damit gemeinte Entwicklung wird als „Rechtsradikalisierung“ bezeichnet, wobei es sich nicht um ein politisches Schlagwort handelt. Denn dieser Begriff ist in der Extremismus- wie Terrorismusforschung fest etabliert. Er steht aber für eine Entwicklung, die eher auf Individuen, nicht unbedingt auf Organisationen bezogen ist. Dabei geht es um eine Änderung von Einstellungen und Handlungen, die mit einer eskalierenden Dimension in extremistischen Praktiken münden.
Grob könnte man die bestehenden Erscheinungsformen in drei Kategorien unterscheiden: Erstens, eine unauffällige Einzelperson entwickelt sich zu einem Extremisten. Zweitens, eine unauffällige Einzelperson entwickelt sich zu einem Gewalttäter. Und drittens, eine extremistische Einzelperson entwickelt sich zu einem Gewalttäter. Hier soll die erste Kategorie auf die Partei übertragen werden, kann man doch in ihrer zehnjährigen Existenz einen Prozess ausmachen, wobei eben eine eher rechtsdemokratische Partei zu einer rechtsextremistischen Partei wurde.
Ambivalentes Agieren der ersten Führungsriege
Bei dieser Einschätzung handelt es sich verständlicherweise um eine Zuspitzung, die aber durch bestimmte Entwicklungsetappen differenziert in der Gesamtschau wahrnehmbar ist. Denn die AfD der Gegenwart ist eine andere als die in der Vergangenheit. Deutlich zeigten sich die gemeinten Änderungen in der politischen Orientierung auch daran, dass drei bedeutende Bundessprecher der Partei (Lucke, Petry, Meuthen) ihr nicht mehr angehören und selbst von einer Rechtsradikalisierung in ihren Worten sprachen.
Bei der AfD-Gründung gingen konservative und wirtschaftsliberale Akteure noch ein Bündnis ein, das auf die Ausfüllung einer offenbar in der Bevölkerung bestehenden Repräsentationslücke politischer Vorstellungen ausgerichtet war. Einen möglichen Einflussgewinn durch rechtsextremistische Kreise befürchtete man durchaus und verwehrte etwa die Mitgliedschaft bestimmten Personen. Gleichwohl blieb diese Ausrichtung ambivalent, setzte doch auch die erste Führungsriege auf Provokationen und Ressentiments in einem polarisierenden Sinne.
Austritte des Führungspersonals mit gemäßigterer Orientierung
Insofern können die eigentlichen Gründer nicht als bloße Opfer dieses Prozesses gelten, haben sie doch für sich von Beginn an auch keine klare Grenzen gezogen. Zwar war die AfD in dieser Entstehungsphase mehrheitlich noch eine rechtsdemokratische Partei. Nachdem aber die für die Außendarstellung so wichtige EU-Kritik an Relevanz verlor, sah man in der Flüchtlingspolitik ein „Geschenk für die Partei“ (Gauland), eben als neues Themenfeld. Einschlägige Agitation setzte auf Ressentiments, nicht auf Sachkritik. Spätestens in dieser Entwicklungsphase setzte die Rechtsradikalisierung immer stärker ein, was bereits am Austritt von führenden Gründungspersonen (Henkel, Lucke etc.) erkennbar wurde.
Es lassen sich diesbezüglich recht eindeutige Entwicklungsetappen erkennen, welche dann durch die Austritte des Führungspersonals mit gemäßigterer Orientierung (Petry, Meuthen etc.) erneut wahrnehmbar waren. Indessen hatten diese Akteure die gemeinte Rechtsradikalisierung zuvor noch selbst abgestritten, wurden aber dann ebenso selbst deren Opfer.
Entwicklung des „Flügel“-Lagers zum bedeutendsten Machtfaktor
Blickt man dann gleichzeitig auf die Entwicklung der Gruppe „Der Flügel“, worin sich das offen rechtsextremistische Potential sammelte und sammelt (denn informell besteht das gemeinte Netzwerk weiter), so offenbaren sich fortgesetzt deren in der Partei auszumachende Terraingewinne. Kein führender AfD-Politiker kann gegen deren Akteure ebendort Entscheidungen durchsetzen, anfänglich anders orientiere Funktionäre haben sich schon längst diesen Kreisen inhaltlich und persönlich angenähert, z.B. Alice Weidel.
Nach außen bemüht man sich zwar um ein bürgerlich-konservatives Image, ein ganz anderes Bild vom Innenleben offenbaren aber investigative Recherchen. Die Erkenntnisse von Journalisten etwa zur internen Kommunikation veranschaulichen, in welch hohem Ausmaß dort rechtsextremistische Einstellungen bis hin zum vulgärsten Formen des Rassismus präsent sind. Auch Aussteiger haben derartige Entwicklungen bestätigt. Nach zehnjähriger Existenz ist man damit zu einer mehrheitlich rechtsextremistischen Partei geworden.