Verfassungsschutz

AfD Baden-Württemberg verdankt Beobachtung auch Alice Weidel

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat nun die Gründe veröffentlicht, aus denen der Landesverband der designierten AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet werden darf. Die Eilentscheidung gibt in Kombination mit einem weiteren Urteil Einblick, auf wessen Äußerungen sich die Entscheidung stützt. Auch Alexander Gauland spielt eine Rolle.

Samstag, 16. November 2024
Thomas Witzgall
Der AfD-Landesverband von Alice Weidel darf als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden.
Der AfD-Landesverband von Alice Weidel darf als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden.

Baden-Württemberg erhob Mitte Juli 2022 den Landesverband der AfD zum Verdachtsfall und verkündete öffentlich die nun erfolgende Beobachtung. Dagegen ging die Südwest-AfD gerichtlich vor und verlor im einstweiligen Rechtsschutz sowohl vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart als auch mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss am Verwaltungsgerichtshof für Baden-Württemberg in Mannheim. Wenige Tage nach der Entscheidung vom 6. November sind nun auch die Gründe öffentlich. Rechtsmittel dagegen gibt es nicht mehr. Für eine andere Wertung in der Hauptsache gibt es keinerlei Anhaltspunkte in den sehr eindeutigen Ausführungen.

Da die Richter in Mannheim in erster Linie die Entscheidung aus Stuttgart zu überprüfen hatten, findet sich die Antwort auf die Frage, wem der Landesverband von Alice Weidel die Beobachtung zu verdanken hat, nicht direkt im Beschluss, der insgesamt mit Namen geizt. Als eine der wenigen Aufnahmen erhebt das Gericht keine Einwände, dass der Verfassungsschutz dem ausgetretenen Rechtsaußen-Anwalt Dubravko Mandic einen informellen Einfluss auf die AfD zuschreibt und damit zurechnet.

Äußerungen von „führenden (...) Parteimitgliedern“

So habe der Burschenschafter zusammen mit dem Landtagskandidaten und Stadtrat Karl Schwarz Mitte Januar 2023 an der Veranstaltung „Vernetzung 23“ im Szenetreff „Fassfabrik“ in Hachenburg teilgenommen. Beide waren zusammen mit den Neonazis Sascha Krolzig und Frank Krämer für eine Diskussionsrunde angekündigt. Angeführt wurde zudem, dass weiterhin Kontakt bestehe zum Grundsatzreferenten der AfD-Bundestagsfraktion K., gemeint ist wohl Dimitrios Kisoudis, der für Tino Chrupalla arbeitet. Schwarz taucht mit einer Tiermethapher (Pferd und Taube) in den Beschlüssen auf.

Wohin die Reise allerdings geht und dass die Äußerungen, die zur Beobachtungen führten, nicht Ausreißer von Außenseitern sind, darauf deutet allerdings auch der Beschluss aus Mannheim direkt an: Die beanstandeten Äußerungen stammten von „führenden und das innerparteiliche Geschehen in der AfD und innerhalb des Antragsstellers maßgeblich mitbestimmenden Parteimitgliedern“, die „aufgrund ihrer Funktion und Position auf die weitere Entwicklung der AfD und des Antragsstellers maßgeblichen Einfluss nehmen könnten und das Bild der Partei in der Öffentlichkeit prägten“. Weil es hier nur um die Einstufung als Verdachtsfall ging, reichten tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht. Eine Gewissheit, wie bei der gesicherten Bestrebung, wird noch nicht verlangt.

Aussagen von Alice Weidel

Und diese tatsächlichen Anhaltspunkte liefert auch Parteichefin Alice Weidel, wie ihr bereits das Verwaltungsgericht Stuttgart vorhielt. Einbezogen wurde ihre Aussage über „Passdeutsche“ in der Debatte um eine Vergewaltigung auf Mallorca. Die Unterteilung des deutschen Staatsvolkes in vermeintlich „echte Deutsche“ und andere, von Teilen der Szene auch mal „Plastikdeutsche“ genannte Gruppe, ist nach der einhelligen Rechtsprechung immer einschlägig für einen Verstoß gegen Menschenwürde und Demokratieprinzip. Das geht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur NPD zurück. Nicht erwähnt, obwohl einschlägig, wurde eine Aussage von Weidel, auf die Deniz Yücel hinwies. Weidel ließ, als der heutige Welt-Autor in der Türkei im Gefängnis saß, auf ihren Social-Media-Kanälen eine Grafik verbreiten, wonach Yücel „weder Journalist noch Deutscher“ sei. Als Anlass für die gedankliche Ausbürgerung führte das Posting Äußerungen über Thilo Sarrazin an. Gewertet wurde vom Gericht in Stuttgart noch eine Rede Weidels, in der sie die Anwesenheit junger muslimischer Männer pauschal mit schwersten Straftaten in Verbindung brachte.

Die Belege wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz nicht selbst erhoben, sondern stammen aus der Sammlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und werden Weidel regelmäßig in Gerichtsentscheidungen vorgehalten. Anders als etwa bei Alexander Gauland, der sich laut Beschluss des Oberverwaltungsgerichts in Münster für seine frühere „Entsorgen“-Äußerung in Richtung Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz entschuldigte habe – die Aussage wurde wegen des Zuspruchs aus der Partei dennoch gewertet – ist keinerlei Reaktion Weidels auf die Vorhaltungen bekannt, zumindest wird es in keiner Entscheidung von Seiten der Gerichte diskutiert. In der Entscheidung aus Stuttgart heißt es, dass sich bezogen auf alle Belege der „Antragssteller von den getätigten Äußerungen nachhaltig distanziert hätte […], [sei] nicht ansatzweise ersichtlich“.

Ethnisches Volksverständnis von Gauland

Stichwort Gauland: Der frühere Partei- und Fraktionsvorsitzende habe mehrfach sein ethnisches Volksverständnis zum Ausdruck gebracht. Zitiert wird etwa seine Kyffhäuserrede, wonach „Identität, Nationales, Kultur“ angeboren und nicht veränderbar seien. Noch eindeutiger wird er mit einer zustimmenden Aussage, wonach ein deutscher Pass einen nicht zum Deutschen mache. Die Staatsbürgerschaft ist laut Bundesverfassungsgericht „von entscheidender Bedeutung“. Distanzierungen oder Maßnahmen gegen Gauland sind nicht bekannt, er ist weiterhin Ehrenvorsitzender der AfD.

Der Landesverband in Baden-Württemberg hat sich gegen die Verwendung von Aussagen von Personen gewandt, die nicht der Südwest-AfD angehören. Das Gericht lässt sie zu. Es sieht regionale Untergliederungen als Teil der Gesamtpartei an. Zudem wäre eine Distanzierung möglich gewesen. Die Verwendung erscheint auch in einem weiteren Kontext sachgerecht: Die AfD führt immer wieder an, um die Vorwürfe in Sachen „ethnisches Volksverständnis“ und „Menschenwürde von Muslimen“ zu entkräften, ihr Grundsatzprogramm bekenne sich uneingeschränkt zur Religionsfreiheit. Zudem existiert eine Erklärung zum deutschen Staatsvolk.

„Großer Austausch“

Das Gericht sieht die Aussagekraft der vermeintlichen Entlastungsbeweise kritisch und belegt mit den Äußerungen quer durch Republik, dass die Erklärungen selbst von führenden Vertretern „nicht gelebt“ wird. Die wahren Ziele ergäben sich auch nicht zwingend aus einem vielleicht vorsichtig formulierten Programm, sondern erst die Fülle an Taten und Worten von führenden Personen eröffneten den Weg zum Verständnis zu den hintergründigen Gedanken des Programms, so das Gericht. Auch das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte den Beweiswert der Gegenerklärungen verworfen, weil der Alltag dem Erklärten widerspricht.

Gewertet wurden vom Gericht in Stuttgart auch die Verwendung von Tiermetaphern, etwa vom Kreisverband Stuttgart, sowie Anspielungen auf völkische Verschwörungserzählungen vom „Großen Austausch“. Hier werden etwa zwei Funktionäre aus Göppingen benannt, den Initialen nach eventuell zwei dort aktive (ehemalige?) Polizisten. Auch wenn die Beispiele an einigen Stellen von bloßen Mitgliedern sprechen, kommt die Mehrzahl der Belege allerdings von aktiven oder ehemaligen Abgeordneten aus Bundes- bzw. Landtag. Mit Martin Hess und Lothar Maier sind zwei Bundestagsabgeordnete vertreten, die bei der Listenplatzierung prominent hinter Weidel auf Rang landeten.

„Vorfeld“ ausgelassen

Teilweise stammen die Aussagen von Seiten von Kreisverbänden. Landeschef Markus Frohnmaier wird nichts zugeschrieben, aber zumindest frühe Kenntnis von Äußerungen unterstellt, weil seine Anwesenheit gelegentlich vermerkt wird. Der Co-Landessprecher Emil Sänze taucht dagegen mehrfach auf, besonders bei der die Menschenwürde verletzende Aussagen über Muslime und zum Charakter des Islam. Auf diesem Feld agiert auch Christina Baum, die über die Landesliste der AfD in den Bundestag einzog und im Bundesvorstand saß.

Was gänzlich ausgespart wird, ist der Kontakt zum „Vorfeld“. Kontakte zur Identitären Bewegung werden weder im Beschluss aus Stuttgart noch aus dem aus Mannheim erwähnt, waren angesichts der ausreichenden Belege allerdings wohl auch nicht nötig. In Ulm zog ein jahrelang für die IB aktiver Kader für die AfD in den Gemeinderat ein. Auch die von Christina Baum maßgeblich mit geführte „Kandel ist überall“-Initiative wird nicht mit herangezogen, trotz einschlägiger Forderungen in deren Manifest nach einem Verbot von Moscheebauten, staatlichen Warnung („breite Information“) vor außereuropäischen Migranten wegen „unüberwindlicher kultureller Unterschiede“ und Forderung nach kompletter Assimilation.

Fragen der Zulässigkeit

Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte bereits die Forderung nach einem Minarettverbot als Verstoß gegen die Menschenwürde von Muslimen gewertet, weil hier einer ganzen Gruppe allein auf Basis des Glaubens der Bau bestimmter Gebäude unmöglich gemacht würde, während andere nicht beschränkt werden, Stichwort: rechtlich minderwertiger Status. Der bayerische Verfassungsschutz hatte gegenüber der AfD Bayern noch ins Feld geführt, wenn „an eine Assimilierung rechtliche Folgen geknüpft würden, sei die verfassungsschutzrechtliche Relevanz überschritten“. Dessen Kollegen aus dem Baden-Württemberg hatten dagegen auf Anfrage noch erklärt, bei dem Manifest handele es sich noch um legitime Kritik an der Politik der Bundesregierung und die Gruppe würde nicht beobachtet, was angesichts der eindeutigen gerichtlichen Entscheidungen mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Inzwischen ist „Kandel ist überall“ weitgehend inaktiv.

Ein Großteil der Entscheidungen machen indes Diskussionen um die Zulässigkeit aus. Hier entsteht der Eindruck, dass von Seiten der AfD teilweise nachlässig und inspiriert agiert wurde. So muss das Gericht in Mannheim gelegentlich auf die korrekte Anspruchsgrundlage hinweisen, gerade wenn es um die Zulässigkeit der Beobachtung nach Maßstäben der europäischen Rechteordnung geht. Schon die NPD hatte im Verbotsverfahren die ansonsten bekämpfte europäische Integration und Rechtssetzung beziehen wollen. Ohne Erfolg. Ansonsten bringt auch der Landesverband Südwest eine Reihe von Erwägungen vor, die aber bisher, soweit gesehen, noch nirgendwo positiv beschieden wurden. Die Beobachtung durch das Bundesamt und Landesamt ist keine unzulässige Doppelbeobachtung, sondern dem Aufbau des Verfassungsschutzverbundes geschuldet. Die AfD hätte auch nicht wie zuvor angehört werden müssen. Die Beobachtung ist auch nicht mit der Wirkung eines Parteienverbots gleichzusetzen und damit nur dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.

Fraglich bleibt allerdings, ob die gewählte Begründung, der Verfassungsschutz müsse den inhaltlich zerrissenen Landesverband gerade deshalb weiter aufklären, um festzustellen, in welche Richtung tendiert wird, wenn die Belege aus den beiden momentanen Lagern kommen. Grund zur Annahme, dass die Hauptsache anders ausgehen könnte, finden sich weder bei der Entscheidung aus Stuttgart noch aus Mannheim.

Anmerkung der Redaktion: in einer früheren Version des Artikels wurde die rechtlichen Bewertung von Assimilation und die Verknüpfung mit rechtlichen Folgen dem Verwaltungsgericht München zugeschrieben. Die Richter trafen dazu im Urteil keine Wertung. 

 

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