AfD-Abgänge: Rette sich, wer kann

Der radikalere Flügel der AfD wird stärker, die Wahrscheinlichkeit, dass der Verfassungsschutz genauer hinschaut größer. Einige angeblich „Gemäßigter“ treten aus.

Montag, 15. Februar 2021
Rainer Roeser

Was es mit der LKR auf sich hat, wissen die allerwenigsten. Gerade einmal sechs Prozent der Bürger sagen, dass sie die „Liberal-Konservativen Reformer“ kennen. Selbst unter denen, die sich als politisch interessiert beschreiben, behauptet das nur jeder Siebte. Deutlich größer dürfte der Bekanntheitsgrad der Kleinpartei, die 2015 als Abspaltung der AfD entstand, unter den Funktionären jener selbst ernannten „Alternative für Deutschland“ sein. Denn erneut – und zuletzt mit Erfolg – wildert die LKR im Terrain der AfD.

Für manche in den Reihen der AfD steht die Abkürzung der Partei, die Bernd Lucke nach seinem Abgang ins Leben rief, für Laschheit und für Verrat an der rechtspopulistisch/rechtsradikalen Sache. Für andere in der AfD, die sich „gemäßigt“ nennen, ist die Kleinpartei eine Bedrohung: Weil sie als Alternative zur angeblichen „Alternative“ attraktiv sein könnte für die eigenen Mitstreiter und damit die Position der Moderateren schwächt – umso mehr, wenn der radikalere Flügel der AfD weiter zulegt und der Verfassungsschutz die AfD künftig tatsächlich als rechtsextremen Verdachtsfall behandelt.

Schon jetzt zählen zwei, die seit der vorigen Bundestagswahl bei der AfD das Weite gesucht haben, zur engeren Führungsspitze der LKR: Der Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann, der im Dezember 2018 die AfD verließ, fungiert als stellvertretender Vorsitzender. Sein Abgeordnetenkollege Mario Mieruch, der direkt nach der Bundestagswahl austrat, ist ihr Generalsekretär.

Sammelbecken der Gescheiterten

In den letzten Monaten wechselten sogar zwei frühere AfD-Landesvorsitzende zur neuen Konkurrenz. Dana Guth kam im Januar, nachdem sie registrieren musste, dass sie weder im niedersächsischen Landesverband der AfD noch in deren Landtagsfraktion eine Mehrheit hinter sich wissen konnte und schon 2019 ihre Hoffnungen auf einen Platz in der Bundesspitze ihrer (alten) Partei geplatzt waren.

Bislang neuester Neuzugang ist Peter Beck. Im September 2019 erst war er zum Vorsitzenden der Bremer AfD gewählt worden. Doch er überhob sich bei dem Versuch, das Chaos im kleinsten Landesverband der AfD zu beseitigen, dessen Mitgliederzahl im umgekehrten Verhältnis zum Ausmaß der Zerstrittenheit und des Intrigantentums steht. Ende Januar gab Beck nach 16 Monaten im Amt auf. „Ich bin gescheitert“, räumte er gegenüber dem Weser-Kurier ein. Er habe sich mit dem Versuch, sich mit den gemäßigteren Kräften innerhalb der Bremer AfD gegen Politiker wie den Ex-Landeschef Frank Magnitz oder den Ex-Fraktionschef Thomas Jürgewitz nicht durchsetzen können.

Ziemlich alleingelassen fühlte sich Beck vom eigenen Landesvorstand, aber auch von der Parteispitze in Berlin und vom Schiedsgericht. „Ich bin deshalb mit dieser Partei durch“, verriet er dem Weser-Kurier und trat drei Tage später der LKR bei. „Die AfD“, sagt er im Rückblick, „rutscht immer weiter in die rechtsextreme Ecke.“ Und: „Der Vormarsch der Rechtsradikalen ist bundesweit unaufhaltsam.“

LKR bei Wahlen bedeutungslos

Ähnlich sehen dies offenbar die Landtagsabgeordneten Jens Ahrends aus Niedersachsen und Frank Brodehl aus Schleswig-Holstein, die ebenfalls inzwischen ihr Glück im neuen politischen Umfeld LKR versuchen. Die Minipartei – bei Wahlen gänzlich erfolglos – hat damit derzeit zwei Bundestagsabgeordnete und vier Landesparlamentarier in ihren Reihen. In der AfD erkennt man die Gefahr, dass es mehr werden könnten. „Wir wollen keine Personen, die unter Beibehaltung ihres Mandates ihre Partei und Fraktion verlassen und sich dann anderen Parteien anschließen, wie z.B. der Partei ,Liberal-Konservative Reformer‘“, schrieb NRW-Landeschef Rüdiger Lucassen unlängst in einer Mail an einen „Parteifreund“, der als Strippenzieher der AfD-„Gemäßigten“ gilt.

Doch es sind beileibe nicht nur die Abgänge in Richtung LKR, die den AfD-Oberen Sorgen machen müssen. Im Gegenteil: Die meisten, die gehen, finden nicht umgehend eine neue politische Heimat. Sehr viele suchen erst gar nicht. Im vorigen Jahr allein verlor die AfD knapp 3.000 Mitglieder. 2021 ist ein Superwahljahr, was für geringere Verluste oder sogar zunehmende Mitgliederzahlen sprechen könnte. Aber nur theoretisch, denn das Wahljahr birgt ein weiteres Risiko.

Enttäuschte Träume  

Neben dem Ärger über die Radikalisierung der Partei und der Sorge wegen der „Verdachtsfall“-Drohung kommt ein weiteres Motiv für Austritte hinzu: die enttäuschte Hoffnung, weil es für eine – eventuell erneute – Nominierung für ein lukratives Mandat nicht gereicht hat. Liefern die Meinungsumfragen ein halbwegs realistisches Bild, hat die AfD künftig deutlich weniger Mandate und Mitarbeiterstellen zu verteilen. Allein die Bundestagsfraktion könnte um 20 bis 30 Mitglieder schrumpfen. In Kombination sind die drei Austrittsmotive eine hoch toxische Mischung.

In Rheinland-Pfalz ist der (Noch-)Landtagsabgeordnete Timo Böhme aus der AfD ausgetreten. Die Fraktion ist damit auf nur noch elf Mitglieder geschrumpft. Anfangs waren es 14. „Die offensichtliche Zerrissenheit, welche die Partei im Moment prägt, hat auch bei mir Spuren hinterlassen“, erklärte Böhme öffentlich. Eine Reihe von Enttäuschungen habe dazu geführt, dass er die notwendige Loyalität zur Partei „und einer Anzahl ihrer Protagonisten“ nicht mehr aufbringe. Ins Banale übersetzt: Böhme war bei einem Landesparteitag nicht wieder auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Landtagswahl gekommen.

Gewissen – ganz neu entdeckt

In Baden-Württemberg verließ die (Noch-)Landtagsabgeordnete Doris Senger die Partei. Die „Ignoranz der Landesvorsitzenden“ gegenüber den „gemäßigten“ Mitgliedern habe sie zu diesem Schritt veranlasst, erklärte sie. Die Parteichefin – Senger nannte den Namen Alice Weidel nicht – sei nicht willens, extremen Elementen Einhalt zu gebieten. „Meine Hoffnung, dass sich der Landesverband BW wieder in die richtige Richtung bewegt, hat sich nicht erfüllt.“ Ob das der einzige Grund für ihren Abgang war, sei dahingestellt. Noch einmal ganz banal: Auch Senger war für die Landtagswahl nicht wieder nominiert worden.

Überraschen würde es nicht, wenn in den nächsten Wochen der eine oder andere Parlamentarier, der ebenfalls nicht wieder aufgestellt wird, entdeckt, dass ihm das politische Gewissen eine Mitgliedschaft in der AfD doch eigentlich verbietet. Überraschen kann es hingegen sehr wohl, dass manche Ex-Mitglieder erst mit gehöriger Verspätung bemerken, in welchem politischen Umfeld sie sich jahrelang getummelt haben.   

Verspätete Erkenntnis

Das Görlitzer Stadtratsmitglied Torsten Koschinka ist so ein Fall. Er sei „entsetzt von dem unerträglichen Rechtsruck, den der Landesverband Sachsen der AfD mit der Wahl der durchweg dem offensichtlich doch nicht aufgelösten ,Flügel‘ zugehörigen Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 vollzogen hat“, schrieb Koschinka – von Beruf Richter an einem Landgericht – seinem Kreisverband und kündigte die Mitgliedschaft. Die Reden der Kandidaten seien „ein Schlag ins Gesicht eines jeden aufrechten Demokraten“ gewesen. Er sehe sich „nicht in der Lage, länger Mitglied eines Landesverbandes zu sein, der sehenden Auges ausschließlich offen nicht für Verfassungstreue stehende Kandidaten des ,völkischen Flügels‘ auf erfolgversprechende Listenplätze setzt. ,Blut-und-Boden-Rhetorik‘ und entsprechende Politik sind mit das Dümmste, dessen sich ein denkender Mensch im 21. Jahrhundert befleißigen kann“.

Die Reißleine zog auch Rene Seyfried, Stadtratsmitglied in Freital. „Die eingeschlagene Politikrichtung der Sachsen AfD durch ihren LAVO ist für mich nicht mehr tragbar“, begründete er jüngst seinen Austritt. Noch wenige Tage zuvor hatte er sich erfolglos um einen Platz auf der Landesliste seines rechtsradikalen AfD-Landesverbandes bemüht. Manches bei denen, die heutzutage aus der AfD austreten, klingt wie ein sehr spätes: Rette sich wer kann!

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