Abrechnung mit der NPD

Bei den Bundestagswahlen hat die NPD lediglich noch 0,4 Prozent geholt und landet damit wohl endgültig in der Bedeutungslosigkeit. Ex-NPD-Chef Holger Apfel schreibt seiner früheren Partei ein Zeugnis mit der Gesamtnote mangelhaft, überschüttert seine ehemaligen Kameraden mit Spott und Häme.

Dienstag, 10. Oktober 2017
Michael Klarmann

Der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Apfel hat kein Aussteigerbuch geschrieben. Seine Sympathien für FPÖ und AfD verbirgt er nicht. Zwar betont er, dass er mit „Irrtum NPD“ keine Rache an seinen früheren „Kameraden“ nehmen will, Spott und Häme über Funktionäre, Neonazi-Kader und den zerstrittenen Haufen sind aber auf fast jeder Seite allgegenwärtig.

Holger Apfel stand in der NPD für den „sächsischen Weg“ und die „seriöse Radikalität“. Heute betont er, nachdem er Ende 2013 nach einer Schmutzkampagne von seinen Ämtern und Funktionen zurücktrat und die Partei verließ, er habe die NPD reformieren wollen. Die radikalen Kräfte und Fans des Nationalsozialismus seien ihm oft zuwider gewesen.

„Szene-Versammlungen mit Gruselcharakter“

Er habe die NPD zu einer Art deutschen FPÖ modernisieren wollen, behauptet Apfel. Gelungen sei dies nicht, große Teile der Partei wären dafür nicht offen, neben Überzeugungstätern, Nazis und Holocaust-Leugnern seien Dilettanten, Querulanten und Egomanen an Bord. Apfel umschreibt Wahlkampfveranstaltungen zu Zeiten der Kooperation zwischen NPD und Neonazis als „Szene-Versammlungen mit Gruselcharakter“.

In seinen vielen Jahren in der Partei dürfte Apfel mit seinem Vorgänger Udo Voigt, den Strippenziehern Udo Pastörs und Peter Marx am meisten zu tun gehabt sowie über Kreuz gelegen haben. Auch wenn nahezu alle im Buch erwähnten NPD-Vertreter und auch viele aus den „Kameradschaften“ Häme ernten, an Voigt arbeitet sich Apfel am meisten ab, gefolgt von Pastörs und Marx. Dass das Buch „Irrtum NPD“ weder „Rachefeldzug“ noch „Abrechnung“ sein soll, wie er in der Einleitung behauptet, ist deswegen glatt gelogen. Es ist über weite Strecke eine Abrechnung mit jenen, die Apfel entweder zu radikal waren oder die ihm als innerparteiliche Gegner über viele Jahre das Leben schwer machten und ihn letztlich zu Fall brachten.

Interna gewürzt mit Stänkereien

Bisweilen sind solche Passagen zwar unterhaltsam zu lesen, doch für die breite Leserschaft dürfte das Buch nicht ganz so interessant sein. Trotzdem liefert Apfel einen einfach geschriebenen Abriss über rund 25 Jahre NPD, immerhin die spannende Ära mit zwei gescheiterten Verbotsverfahren, einiger Wahlerfolge, die Zeit der V-Mann- und Finanzskandale sowie erbitterter Machtkämpfe. Interessierte finden hier einen komprimierten Überblick, manchmal ein bisschen aufbereitet mit Interna und gewürzt mit Unmengen an Stänkereien. Schon nach wenigen Seiten ist klar, dass sich vieles in Apfel aufgestaut hat. Zweifellos musste er sich Luft verschaffen.

Der aktuellen NPD schreibt er auf den rund 380 Seiten ein Zeugnis mit der Gesamtnote mangelhaft, alte Parteifreunde rangieren zwischen ausreichend bis ungenügend. Voigt nennt er einen überzeugten Nationalsozialisten. Der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck attestiert er, sie bettele geradezu um Verurteilungen. Trotz ihrer radikalen Thesen habe er wiederholt mit Voigt und Pastörs darüber diskutieren müssen, warum man ihr bloß keine Bühne bei der NPD bieten dürfe.

„Hasskampagnen“ gegen innerparteiliche „Putschisten“

Ihr Fett ab bekommen „Kameraden“ innerhalb und außerhalb der Partei: Der Neonazi-Kader Thomas Wulff, schreibt Apfel, leide an „maßloser Selbstüberschätzung“, er und Christian Worch seien Egomanen. Die Gefolgschaft des ehemaligen Parteichefs Günter Deckert hätten seinerzeit gegen innerparteiliche „Putschisten“ unter anderem „Hasskampagne[n]“ und „nächtlichen Telefonterror“ organisiert. Christian Malcoci nennt Apfel „einen der fragwürdigsten Strippenzieher im Hintergrund der westdeutschen Neonazi-Szene“. Und er bringt ihn ebenso in Verbindung mit dem militanten und bewaffneten Widerstand aus der Neonazi-Szene, weswegen etwa die zeitweise Kooperation zwischen ihm und Teilen der NPD dem Autor unerklärlich gewesen sein will.

Der wegen seiner Hetzreden („Judenrepublik!“) bekannte und in der „Wiking Jugend sozialisiert[e]“ Udo Pastörs indes habe ihm einmal gesagt, „er müsse seine Auftritte minimieren, da er Angst habe, im Knast zu landen – schließlich wisse er, dass er sich im Zweifelsfall nicht im Griff habe, wenn das Publikum ihn frenetisch feiert“. Apfel attestiert Pastörs, der ihm im Amt als Parteivorsitzender kurzfristig nachfolgte,  „Schlitzohrigkeit“ und „Illoyalität“.

„Beispiel für die faktische Unführbarkeit der Partei“

Dieter Riefling ist für den ehemaligen NPD-Chef „der berüchtigte Hildesheimer Schreihals“. Peter Naumann habe den „scharfzüngigen“ NPD-Strategen Jürgen Gansel auf dem Flur der sächsischen Landtagsfraktion in Dresden verprügelt. Apfel schildert ebenso, wie selbst die weniger radikalen Kräfte immer radikaler auftraten, um mittels Provokation Medienreichweite zu generieren.

Hinzu kamen Coups, die ein „Beispiel für die faktische Unführbarkeit der Partei“ seien, so Apfel. Gemeint ist damit etwa der ehemalige SPD-Mann Hans Püschel, der zur NPD wechselte und demnach partout nicht als bürgerliches Aushängeschild fungieren wollte. „Der Provinzbürgermeister sah sich nun zum welterklärenden Analytiker, Historiker und Revisionisten berufen. Und natürlich dauerte es nicht lange, da hatte er auch sein Faible für den Aufmerksamkeit sichernden Sprengstoff des Holocausts“ erkannt und sich in „absurde Debatten“ begeben, schreibt Apfel. Teile der Partei habe dies gefallen.

„Staubsauger-Phänomen der AfD“

Apfel wäre nicht Apfel, würde er nicht auch gegen die Medien und den für ihn hilflos anmutenden „Kampf gegen Rechts“ wettern. In solchen Buchpassagen ist er oft der alte geblieben, nutzt teils noch die alten Worte oder mimt galant den Erklärbär, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er die Demokraten warnen oder sie verhöhnen soll. Manchmal fabuliert er gar noch verschwörungstheoretisch wie zu Parteizeiten, glaubt, Sicherheitsorgane und Verfassungsschützer ließen militante Kräfte lange gewähren, um letztlich Teilen der rechten Szene(n) oder seinerzeit ihm als Mandatsträger Schaden zufügen zu können.

Dank „des Staubsauger-Phänomens der AfD“ werde die NPD weiter marginalisiert, beschreibt er die Situation, dass die Rechtspopulisten auch in der Sympathisanten- und Wählerschaft aller Rechtsaußen-Parteien in Deutschland wildern. Und Diskussionen in Teilen der NPD-Jugend in den 1990er Jahren, künftig als eine Art „Greenpeace von rechts“ zu agieren, haben seiner Meinung nach längst die „Identitären“ realisiert, während Splitterparteien die „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ eine neue politische Heimat für die offen nationalsozialistische Klientel bieten.

„Parteipolitisch unbeleckte Dogmatiker richten Schaden an“

Das Buch dürfte eher Fachpublikum ansprechen. Durch die Lästereien und Stänkereien, aber auch der Schilderung manch absurder Begebenheit, muss man zuweilen schmunzeln oder gar laut loslachen. Einerseits schildert Apfel Abläufe, andererseits skizziert er die NPD als zerstrittenen Haufen. Tatsächlich begibt er sich damit auf das Glatteis, dass er möglicherweise weitere Sympathisanten und Wähler der NPD wegen der attestierten Erfolglosigkeit indirekt der AfD zuschiebt. Wobei er die Partei sogar einmal warnt vor der Unterwanderung aus „völkischen Kreisen […], weil sich hinter der Maske der Bürgerlichkeit parteipolitisch unbeleckte Dogmatiker befinden, die mehr Schaden anrichten“ als moderate, ehemalige NPD-, DVU- oder REP-Mitglieder. Apfel ist eben ein Um- und kein Aussteiger.

Holger Apfel, Irrtum NPD. Ansichten – Einsichten – Erkenntnisse. Ein Vierteljahrhundert in der NPD. GHV (Gerhard Hess Verlag), 19,90 Euro.

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