20 Jahre Himmelfahrtskrawalle in Magdeburg - ein historischer Rückblick

20 Jahre sind sie nun schon her. Die Himmelfahrtskrawalle in Magdeburg vom Mai 1994. Was ist geschehen in Magdeburg, wie konnte es dazu kommen und was bedeutete dies vor allem für die Stadt Magdeburg und ihre Bürger? Ein Zusammenfassung über die neben Rostock-Lichtenhagen schlimmsten fremdenfeindlichen Übergriffe der Nachwendezeit in den neuen Bundesländern.

Donnerstag, 12. Juni 2014
Redaktion
Archiv: Gewaltbereite Neonazis in Rostock (Foto: Oliver Cruzcampo)
Archiv: Gewaltbereite Neonazis in Rostock (Foto: Oliver Cruzcampo)
Am 12. Mai 1994 ereigneten sich in Magdeburg - neben den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen - die schwersten fremdenfeindlichen Übergriffe auf Migranten seit der Wiedervereinigung. Verwahrlosung und Identitätsverlust im neuen Deutschland der Nachwendezeit Magdeburg in den 1990er Jahren. Unter den Jugendlichen, gerade in den neuen Bundesländern, machen sich Fremden- und Ausländerfeindlichkeit, extremer Nationalismus und Gewalttätigkeit breit. Reaktionen auf Aussichtslosigkeit und Identitätsverlust nach dem Verfall der DDR und der noch nicht präsenten Bundesrepublik Deutschland. Höhepunkte dieser Entwicklungen sind zum einem der Tod Torsten Lamprechts 1992 und die neben den rechtsradikalen Übergriffen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Solingen, auch die Himmelfahrtskrawallen in Magdeburg im Mai 1994. Ein ganz normaler Herrentag eskaliert in Ausländerhass und Hetzjagden Am Nachmittag des 12. Mai 1994 versammeln sich 30 bis 40 teilweise angetrunkene Jugendliche auf den Ulrichplatz in der Innenstadt in Magdeburg. Sie beginnen Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund, insbesondere Schwarzafrikaner, zu beschimpfen, mit Gegenständen zu bewerfen und gewaltsam anzugreifen. Die angegriffenen Personen fliehen in die Marietta-Bar, damals ein beliebter Treffpunkt für Nicht-Deutsche in Magdeburg, und finden dort türkischstämmige Mitbürger, die ihnen beistehen. Es entstehen Ausschreitungen vor und in dem Lokal, Stühle, Tische und Steine fliegen, Scheiben werden zerstört und immer wieder hört man fremdenfeindliches Gegröle, Sieg-Heil-Rufe oder sieht Jugendliche mit rechtsradikalen Gesten, darunter auch den Hitlergruß. Die Angegriffenen wehren sich teilweise mit Messern und Schreckschusspistolen gegen ihre Angreifer. Bis die ersten Polizeibeamten eintreffen, gibt es mehrere leichtverletzte Personen. Nach dem Eintreffen der Polizeibeamten beruhigt sich die Situation kurzzeitig, dennoch bleibt die Lage für die Beamten unübersichtlich. Allerdings greifen die Polizeibeamten nicht ein, um die gesamte Lage zu beruhigen und Verhaftungen durchzuführen. Dadurch fühlen sich die rechtsradikalen Angreifer in ihrem Vorhaben bestärkt und gehen weiter gegen die türkischstämmigen und schwarzafrikanischen Personen vor. Die Lage eskaliert, als sich die Migranten in die Enge getrieben fühlen und die vor dem Lokal befindlichen Deutschen angriffen. Die Beamten der Polizei waren zu jeder Zeit überfordert und agierten unsicher. Höhepunkt der Ausschreitungen sind bürgerkriegsähnliche Zustände, bei denen sich Migranten und Neonazis auf dem Breiten Weg gegenüber standen, getrennt durch die Straßenbahnschienen und einer kleinen Gruppe von völlig überforderten Polizeibeamten. Bis in die späten Abendstunden des 12. Mai 1994 entstanden immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen in der Innenstadt von Magdeburg mit schwerverletzten Personen, größtenteils Verletzungen von Messerstichen oder -schnitten. Welchen Vorwürfen sich Polizei und Innenministerium stellen müssen Zu bemängeln ist in diesem beschrieben Fall vor allem das Verhalten der Polizei. Zum einen waren zu wenige Beamte an diesem Tag eingesetzt, um eventuellen Ausschreitungen in dieser Art Herr zu werden, und zum anderen erfolgte der Zugriff der Beamten einseitig und zu zögerlich. Die Festnahmen betrafen zu einem großen Teil die sich wehrenden Opfer, anstatt den angreifenden Rechtsradikalen, welche sich dadurch in ihrem Vorhaben noch bestärkt fühlten. Die Beamten bagatellisierten die Übergriffe als Reaktion von „Alkohol und Sonne“, nicht als fremdenfeindlich motivierte Straftaten. Das Fehlverhalten in diesem Fall war die zu lockere Arbeit der Polizei - die festgenommenen braunen Randalierer wurden nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Die Staatsanwaltschaft wurde erst am darauffolgenden Tag über die Geschehnisse informiert, wodurch das sofortige Erlassen von Haftbefehlen nicht mehr möglich wurde. Insbesondere durch die Nichtausschöpfung des Unterbindungsgewahrsams gerieten vor allem Polizeipräsident Antonius Stockmann und der Innenminister Sachsen-Anhalts Walter Remmers unter Kritik. Der ihnen unterstellte Vorwurf war die Verharmlosung von Rechtsextremismus. Das Erlassen von Haftbefehlen geschah erst eine Woche nach den Ausschreitungen am 17. Mai 1994. Insgesamt konnten 86 mutmaßliche Täter der Angriffe am 12. Mai 1994 ermittelt werden, wovon es aber nur acht Verurteilungen im Juli und August 1994 gab, darunter auch mehrjährige Haftstrafen. Früher randalierte, heute kandidiert er Unter diesen Verurteilten befand sich nach Informationen des Freitag auch Jörg Alsleben. Alsleben pflegt Kontakte zu JN-Bundeschef Andy Knape, ist für Übergriffe auf antifaschistische Jugendliche bekannt und bedient sich auch heute noch einem fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Sprachgebrauch. Alsleben trat dazu für die AfD bei den Stadtratswahlen im Mai 2014 in Magdeburg an. Hierbei lässt sich erkennen, dass Personen mit rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Einstellungen insbesondere bei der AfD Fuß fassen. Eine kollektive Erinnerung für die Stadt Magdeburg und was wir aus den Geschehnissen lernen müssen Die „Himmelfahrtskrawalle“ im Mai 1994 bewirken bis heute noch einen starken Imageverlust für die Stadt Magdeburg. Die Geschehnisse an diesem Tag waren keinesfalls ein Wendepunkt in den rechtsradikalen Entwicklungen der 1990er Jahre, sondern sind ein weiterer Höhepunkt dieser. Um diesem Imageverlust entgegen zu wirken wurde bereits 1996 ein Begegnungsfest eingeführt, welches jährlich an Christi Himmelfahrt friedliches und multikulturelles Miteinander fördert. Das Fest findet auf Initiative der Polizei, den Kirchen, Vereinen und Bürgerinnen der Stadt Magdeburg statt. Am diesjährigen Begegnungsfest am 29. Mai 2014 nahmen rund 2.500 Personen teil, die auf zahlreiche multikulturelle Angebote eingehen konnten. Für eine nachhaltige Erinnerung und Mahnung an die Ereignisse vom 12. Mai 1994 ist dieses Fest wichtig - nicht nur, um zu präsentieren, dass Magdeburg keine Stadt rechtsradikaler Übergriffe ist - sondern auch multikulturelles Miteinander und Begegnung zu fördern und Möglichkeiten in einem gemeinsamen Rahmen zu gewährleisten.
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