Reichsbürger-Razzia
Zwischen Verharmlosung & angeblicher Inszenierung
Bei einer großangelegten Razzia sind am Mittwoch zahlreiche Reichsbürger festgenommen worden. Sie sollen einen politischen Umsturz geplant haben. Vertreter der rechten Szene verharmlosen nun die Bestrebungen, begreifen sie als öffentlichkeitswirksame Inszenierung oder sehen sie gar als Beweis für eine vermeintliche Verfolgung politisch Andersdenkender.
3.000 Beamte, 54 Beschuldigte, 25 Festnahmen: Am Mittwoch hat eine der größten Razzien der deutschen Geschichte stattgefunden. Ein Netzwerk von Reichsbürgern soll einen Umsturz geplant haben. Doch von der großangelegten Aktion will sich die Szene und die meisten Weggefährten der Festgenommenen nicht einzuschüchtern lassen – zumindest nach außen. Die Akteure sehen darin ein orchestriertes Ablenkungsmanöver.
Die Gruppe hatte Medienberichten zufolge geplant, den Bundestag zu stürmen und sollen mit Waffen trainiert haben. Auch die Ermordung einzelner Personen sei geplant gewesen. 150 Objekte in Deutschland sind von den Beamten durchsucht worden. Vorwurf des Generalbundesanwalts gegenüber den Beschuldigten lautet Mitgliedschaft in beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Zusammen sollen sie geplant haben, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“.
Der inszenierte „Reuß-Putsch“
So verkündete der Mediziner Paul Brandenburg noch am gleichen Tag, dass er in den Razzien und Festnahmen vom Mittwoch nur eine Inszenierung sieht. Brandenburg ist seit Beginn der Covid19-Pandemie lautstarker Kritiker der Maßnahmen. Auf seinem YouTube-Kanal finden sich unter anderem Interviews mit AfD-Politiker:innen, ein Video mit dem Titel „Impfpass fälschen: So einfach geht's“ wurde von der Plattform gelöscht. Immer wieder bezeichnete er auf seinem Kanal die aktuelle Bundesregierung als „Faschisten“.
Über die Razzien behauptet Brandenburg dort, dass Medien die „gestellten Bilder“ verbreiten würden. Der festgenommene Heinrich Reuß soll ein Mann sein, „über den seine Familie vor Monaten schon berichtete, er sei verwirrt und vereinsamt“. Der Arzt spricht weiter von einem „Reuß-Putsch“ – womöglich angelehnt an den sogenannten Röhm-Putsch. Ernst Röhm und andere Führungskräfte der SA sind 1934 von den Nationalsozialisten unter Hitler getötet worden, angeblich, um einen in Putsch der SA unter Röhm zu verhindern. Brandenburg fabuliert dementsprechend in gewohnter Manier von „Faschismus“ und „Terror von Grünbraun“, also der heutigen Regierung. Und fordert: „Dieses Regime muss enden.“
Weggefährte zeigt sich zuversichtlich
Unter den Festgenommenen ist auch Maximilian Eder, Bundeswehr-Oberst a.D. Der Münchner Thomas Duswald, der als Streamer „ThomMaxx-TV“ Eder immer eng begleitet hat, teilt in seinem Telegram-Kanal regelmäßig Reichsbürger-Inhalte. Dort hat er auch eine Nachricht geteilt, in der in Bezug auf die Razzien von einer „False Flag Show“ gesprochen wird.
In einer Sprachnachricht, die er Freitagmorgen in einem anderen Kanal gepostet hat, behauptet der Reichsbürger Duswald, dass sein Weggefährte Eder „auf den Säulen des Grundgesetz“ stünde, „der bewaffnet sich nicht“. Stattdessen soll es laut Duswald um jene „Aufklärungsarbeiten“ gehen, denen Eder wohl nachgeht - unter anderem „gegen die Pädophilen, insbesonders die satanisch-rituellen Kindesmissbrauch“. Er bedient hier am Narrativ der rechtsextremen und antisemitischen QAnon-Ideologie. Duswald zeigt sich aber zuversichtlich, dass Eder keine schwerwiegenden Konsequenzen drohen werden.
Die Razzia als Ablenkungsmanöver & Beweis für politische Verfolgung
Innerhalb der rechten Telegram-Szene hat sich außerdem das Narrativ durchgesetzt, die Razzia wäre inszeniert worden, um von der am Montag durch einen Asylbewerber getöteten Schülerin aus dem baden-württembergischen Illerkirchberg abzulenken. So behauptet der kürzlich in Berlin verurteilte Hallenser Neonazi Sven Liebich, man brauche nun „dringend neue Schlagzeilen“. In seinen Augen sei die Razzia zwar schon „länger geplant“ gewesen, wäre jedoch aufgrund des „Messermannes“ – wie Liebich rassistisch anmerkt – vorgezogen worden. Stefan Möller, Landessprecher der Thüringer AfD und Landtagsabgeordneter, suggeriert ebenfalls einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen. Dabei verharmlost er nicht nur die Umsturzbestrebungen, sondern stellt sie gleich ganz infrage.
Auch die extrem rechte Kleinstpartei „Freie Sachsen“ kommt nicht umhin, die gestrige Razzia mit vermeintlicher „illegaler Massenmigration“ in Verbindung zu setzen und die Beschuldigten pauschal als „Regierungsgegner“ zu beschönigen. Wenig überraschend wird sich bemüht, die erfolgten Durchsuchungen und Verhaftungen als Verfolgung politisch Andersdenkender zu präsentieren: „Michael Ballweg und Oliver Janich, zwei der bekanntesten Fälle, lassen grüßen.“
Ferner greifen die „Freien Sachsen“ bei ihrer Deutung auch auf Verschwörungstheorien zurück: Angeblich seien „überall dort, wo eine Radikalisierung zur Gewalt stattfindet, V-Männer des Staates nicht weit“. Als Beweis für die behauptete Harmlosigkeit der Beschuldigten dient ihnen ausgerechnet die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, Birgit Malsack-Winkemann, welche laut Gerichtsurteil weiterhin als Richterin tätig sein dürfe.
Während Querdenken-Anwalt Markus Haintz laut eigener Aussage immer davor gewarnt habe, sich mit Reichsbürgern oder mit Leuten einzulassen, die „nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen“, bleibt es bezüglich der Razzia in einigen Telegram-Kanälen auffällig ruhig: Auch der bekannte Reichsbürger und staatenlos.info-Betreiber Rüdiger Hoffmann gibt keinen Kommentar ab. Dabei hat er unter anderem Ende Juli gemeinsam mit dem festgenommenem Eder bei einer Kundgebung vor dem Reichstag Reden gehalten. In seinem Kanal macht Hoffmann derweil Werbung für die nächste Reichsbürger-Kundgebung.