Mord an Samuel Yeboah

Zweiter Prozess wegen Brandanschlags vor 32 Jahren

Am 19. September 1991 starb der ghanaische Geflüchtete Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag in Saarlouis. Im vergangenen Jahr wurde sein Mörder verurteilt. Doch der Neonazi soll nicht allein verantwortlich gewesen sein. Wegen Beihilfe zum Mord steht jetzt auch Peter St., der langjährige Anführer der rechten Szene von Saarlouis, vor Gericht. Beim Prozessauftakt bestritt sein Verteidiger die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft.

Dienstag, 27. Februar 2024
Joachim F. Tornau
In Handschellen wird Peter St. heute in den Gerichtssaal gebracht, Foto: picture alliance/dpa | Thomas Frey
In Handschellen wird Peter St. heute in den Gerichtssaal gebracht, Foto: picture alliance/dpa | Thomas Frey

Die Frage, ob sich sein Mandant mittlerweile von der Neonazi-Szene gelöst habe, wollte Wolfgang Stahl lieber nicht beantworten. Nur einen diplomatischen Satz ließ sich der Rechtsanwalt dazu entlocken, als er nach dem Prozessauftakt vor den Fernsehkameras Stellung nahm: „Ich habe durchaus den Eindruck, dass er nicht mehr der ist, der er mal war.“

Optisch zumindest trifft das zu. Aus dem drahtigen Skinhead, der jahrelang unangefochten die militante Rechte von Saarlouis anführte, ist ein grauhaariger Mann mit Rauschebart geworden. Immer noch sportlich gekleidet, doch älter aussehend, als er ist. Peter St., 54 Jahre, muss sich seit Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Koblenz verantworten, weil er vor mehr als drei Jahrzehnten eine maßgebliche Rolle beim rassistischen Mord an Samuel Yeboah gespielt haben soll.

Zur Tat veranlasst?

Der 27-jährige Ghanaer war am 19. September 1991 beim Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im Saarlouiser Ortsteil Fraulautern qualvoll gestorben. 20 weitere Menschen, die sich in jener Nacht in dem ehemaligen Gasthaus „Weißes Ross“ aufhielten, konnten sich gerade noch retten. Zwei von ihnen allerdings nur durch todesmutige Sprünge aus den oberen Stockwerken, bei denen sie sich Knochenbrüche zuzogen.

Im vergangenen Oktober, mehr als 32 Jahre nach der Tat, wurde der einstige Neonazi-Skinhead Peter Werner S. als Mörder verurteilt. Er hatte den Fehler gemacht, sich gegenüber einer Frau mit dem Anschlag zu brüsten. Doch die Bundesanwaltschaft glaubt, dass der heute 52-Jährige nicht allein verantwortlich war. Dass ihn jemand zu der mörderischen Tat „veranlasste“, wie es in der Anklage heißt: Peter St., sein Freund und bewundertes Vorbild.

Psychische Beihilfe

Im Kern geht es um einen Satz: „Hier müsste auch mal sowas brennen oder passieren.“ Gesagt haben soll ihn der Neonazi-Führer, als er am Vorabend des Brandanschlags mit Peter Werner S. in der Kneipe saß und soff. Es waren die „Baseballschlägerjahre“ der Nachwendezeit, insbesondere im Osten Deutschlands häuften sich rassistische Übergriffe und Anschläge. Einen Tag zuvor hatten die Pogrome von Hoyerswerda begonnen. Und nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll Peter St. bewusst gewesen sein, wie sein treuer Gefolgsmann die Worte aufnehmen würde: dass er losziehen und die Geflüchtetenunterkunft in der saarländischen Kleinstadt anzünden würde.

Angeklagt ist das als „psychische Beihilfe“, Mindeststrafe drei Jahre Gefängnis. Oberstaatsanwalt Malte Merz machte am Rande des Prozessauftakts jedoch deutlich, dass möglicherweise auch eine Bewertung als strafrechtlich schwerer wiegende Anstiftung infrage komme: „Das wird man in der Hauptverhandlung prüfen müssen.“

Verteidigung spricht von „Scheinriesen“

Aber ist der Satz tatsächlich gefallen? Verteidiger Wolfgang Stahl, bekannt geworden als Anwalt der NSU-Terroristin Beate Zschäpe, bestreitet das – auch wenn sein Mandant, der sich selbst vor Gericht nicht äußern will, an das „alkoholgeschwängerte Gespräch“ in der Gaststätte keinerlei Erinnerung mehr habe. Einen „Scheinriesen“ nennt Stahl die Anklage, weil sie sich trotz vieler Worte eigentlich nur auf ein einziges Beweismittel stütze: den dritten Mann, der bei dem braunen Besäufnis dabei war. Heiko S., heute 51 Jahre alt, war damals selbst noch militanter Neonazi, verabschiedete sich aber wenige Jahre später aus der Szene und galt seither als Verräter. Als Peter Werner S. in seinem Mordprozess überraschend doch noch eine Art Geständnis ablegte, bezichtigte er eben diesen Aussteiger, der Haupttäter gewesen zu sein – während er selbst lediglich mitgelaufen sei. Seinem Freund Peter St. stellte der Angeklagte hingegen einen Persilschein aus: Der Kameradschaftschef habe von nichts gewusst. Und auch nie etwas erfahren dürfen, weil er Brandanschläge strikt abgelehnt habe.

Die Verteidigung meint: Heiko S. habe, von den Ermittler*innen unter Druck gesetzt, bloß seinen eigenen Kopf retten wollen. „Er ist kein neutraler Zeuge.“ Im Prozess gegen Peter Werner S. hatte das Gericht indes keinen Zweifel daran, dass Heiko S. die Wahrheit gesagt hat. Dass der Satz von Peter St. in der Kneipe gefallen ist und dass er seinen Jünger zur Tat trieb. Peter Werner S. habe zu seinem Freund aufgeschaut, habe ihm nachgeeifert, ihm imponieren wollen. Zeug*innen aus der Szene sprachen von „absoluter Loyalität“, von einem Verhältnis „wie ein Kopf und ein Arsch“, wie Hund und Herrchen.

„Eine von nationalsozialistischen, antisemitischen und rassistischen Überzeugungen geprägte Ideologie“

Peter St. war weit über die 1990er-Jahre hinaus eine zentrale Figur in der Neonazi-Szene des Saarlands. Er gründete die braune „Kameradschaft Horst Wessel – Saarlautern“, die bis zu ihrer Auflösung Mitte der 2000er-Jahre regelmäßig bei rechten Demonstrationen bundesweit aufmarschierte. Er betrieb einen einschlägigen Versandhandel und den Szeneladen „Studio 88“ in Neunkirchen/Saar. Zuletzt trat er öffentlich zwar nur noch als Fotograf verlassener Orte in Erscheinung, mit einem gutbesuchten Instagramprofil. Abgehörte Telefonate, die im ersten Yeboah-Prozess abgespielt wurden, belegten jedoch: Er ist seiner Gesinnung treu geblieben. Die Bundesanwaltschaft formuliert es in ihrer Anklage so: „Der Angeklagte vertritt eine von nationalsozialistischen, antisemitischen und rassistischen Überzeugungen geprägte Ideologie.“

Den Versuch von Peter Werner S., diesen aggressiven Neonazi als Friedensengel darzustellen und zugleich alle Schuld dem verhassten Verräter Heiko S. aufzuhalsen, hielt der Senat für ein arg durchsichtiges Manöver. Der Aussteiger sei ein „idealer Sündenbock“ gewesen, heißt es im schriftlichen Urteil. Rassistische Ausschreitungen habe man in der Szene „frenetisch gefeiert“. Auch den Mord an Samuel Yeboah. Und auch, wenn der Anführer dabei gewesen sei.

Linke Organisationen üben Kritik

Es ist derselbe Staatsschutzsenat, der jetzt über Peter St. urteilen wird. Bereits in der kommenden Woche will er den Hauptbelastungszeugen Heiko S. vernehmen. Insgesamt sind noch 17 Verhandlungstage bis Anfang Juni angesetzt. Für den Arbeitskreis 3. Welt Saar, der zusammen mit dem Saarländischen Flüchtlingsrat und der Antifa Saar jahrzehntelang an den rassistischen Brandanschlag erinnert und Aufklärung eingefordert hat, geht es nicht nur um die strafrechtliche Aufarbeitung. „Politisch sitzt bei diesem Prozess auch das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank“, sagte ein Sprecher. „30 Jahre lang haben staatliche Stellen im Saarland – Polizei, Justiz, Parteien – den rassistischen Charakter des Mordes an Samuel Yeboah geleugnet und die Existenz einer Naziszene bagatellisiert.“

Erst mit dem Verfahren gegen Peter Werner S. setzte ein Umdenken ein. Die Polizei räumte ein, nachlässig ermittelt zu haben. Der saarländische Landtag schuf einen Opferentschädigungsfonds. Und es wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der den staatlichen Umgang mit der rechten Gewalt der frühen neunziger Jahre kritisch beleuchten soll. Denn neben dem Mord an Samuel Yeboah gab es noch mehr als 20 weitere Brand- und Sprengstoffanschläge im Saarland, die nie aufgeklärt wurden. Derzeit arbeite man sich durch die ersten eingegangenen Akten, sagte die Ausschussvorsitzende Sevim Kaya-Karadağ (SPD), die ebenso wie SPD-Obfrau Kira Braun zum Prozessauftakt nach Koblenz gekommen war. Im März könnte die öffentliche Beweisaufnahme beginnen.

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