Über 50 Vergehen
Zwei Haftstrafen für rechtsextremen Intensivtäter
Auf über 50 Verfahren brachte es ein Münchner Rechtsextremist – und war zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden. Er hatte in der Verhandlung den Hitlergruß gezeigt und die Richterin bedroht. Aber auch mit dem Urteil der jetzigen Berufungsverhandlung dürfte er kaum zufrieden sein.
Er habe sich auf eine ganz andere Art Verhandlung vorbereitet, meinte zwischendurch auch der Oberstaatsanwalt durchweg anerkennend in Richtung Luis T. Anders als noch vor dem Amtsgericht verhielt sich der Angeklagte, ein 1999 geborener Münchner, ruhig und eher in sich gekehrt, auf Fragen fast flüsternd, aber immerhin inhaltlich, antwortend.
Bei der Verhandlung am Amtsgericht hatte er sich aufbrausend und aggressiv verhalten, hatte den Hitlergruß gezeigt, Medienschaffende und den Staatsanwalt beleidigt sowie die Richterin bedroht. Mehrfach war er nach unzähligen Ermahnungen wegen gröblicher Störungen und Ordnungsgeld von der Verhandlung ausgeschlossen worden. Am Ende stand eine Haftstrafe am oberen Ende dessen, was eine Einzelrichterin am Amtsgericht verhängen kann.
Dunkelhäutigen Polizeibeamten rassistisch beleidigt
Gegen dieses Urteil gingen beide Seiten in Berufung. Die Staatsanwaltschaft nur mit Blick auf die Strafhöhe, der Angeklagte hingegen wollte die Beweisaufnahme komplett neu durchführen lassen. Hier gab es das erste Zugeständnis. Nach einer Beratung mit seiner Anwältin verzichtete Luis T. auf das Anhören von Zeugen und beschränkte seine Rechtsmittel ebenfalls nur auf die Strafe.
Das ersparte dem Gericht eine lange Liste an Zeuginnen und Zeugen. Meist handelte es sich dabei um Sicherheitspersonal von Polizei und etwa U-Bahnwache. Immer wieder war er bei Demonstrationen oder in den Räumen der Münchner Verkehrsbetriebe bei Kontrollen mit diesen aneinandergeraten und ausgerastet. Seiner Reichsbürger-Ideologie folgend waren Sicherheitskräfte für ihn nurmehr Söldner, bei Hinweisen auf einen Migrationshintergrund waren seine Ausfälle klar rassistisch. So bedauerte er, dass Vorfahren wahlweise nicht mit vergast oder im Fall Englands damals beim Luftkrieg gegen britische Städte nicht mit zerbombt wurden. In einem Fall weigerte er sich, von einem dunkelhäutigen Polizeibeamten, den er zuvor rassistisch beleidigt hatte, vernommen zu werden.
Angeklagter gibt sich geläutert
Während der Corona-Pandemie summierte sich die Anzahl an Strafverfahren auf insgesamt 57. Ein Teil davon wurde schon gar nicht mehr verfolgt, weil die Taten bei der Bildung der Gesamtstrafen nicht mehr ins Gewicht gefallen wären. Der Oberstaatsanwalt meinte, er kenne keinen anderen Fall, in dem ein Täter in so kurzer Zeit so eine Masse an Straftaten begangen hätte.
Folglich ging es um die Frage, wie der Angeklagte zu bestrafen sei. Dabei stand im Mittelpunkt, wie er heute über seine Taten denkt und was von ihm in Zukunft zu erwarten wäre. Auch hier sammelte er zunächst viele Pluspunkte. Darauf vom Oberstaatsanwalt angesprochen, nannte er die Bundesrepublik einen funktionierenden Rechtsstaat. Wir alle könnten froh sein, hier und heute die leben, so Luis T. Die NS-Zeit sei dagegen eine schlimme Zeit gewesen. Einiges seiner Ausfälle schob er auch auf Corona. Er brachte die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm ins Spiel und wollte sich therapeutische Hilfe suchen. Schon fast klischeehaft mutete das erwähnte Umdenken in Sachen Rassismus an, weil er im Gefängnis eben auch Personen mit Migrationshintergrund besser kennengelernt habe.
Radikalisierung setzte vor Pandemie ein
Zweifel auf Seiten der Anklage blieben jedoch und so ging es vor allem darum herauszufinden, ob sich Luis T. durch die Haft tatsächlich verändert habe oder hier die Verhandlung rein taktisch führe mit dem vordergründigen Ziel, die Freiheits- in eine Bewährungsstrafe zu verwandeln. Und die Fassade bekam im Laufe der Verhandlung einige Risse. So bestritt Luis T. einen Großteil des Vormittags demonstrativ mit einer der „Merkel-Raute“ vergleichbaren Geste, einem mit den Fingern der Hände gebildetem Dreieck. Das zeigte er auch demonstrativ in Richtung der versammelten Zeugen, als er eine Entschuldigung formulierte. Vom Oberstaatsanwalt darauf angesprochen, war es laut T. nur eine Haltung, um besser sitzen zu können.
Eine E-Mail des Vaters, der bewusst auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzichtete, brachte weitere Nachfragen. Nicht nur wurden hiermit die Aussagen nach einem stabilen familiären Umfeld konterkariert, dass sich wieder auf den jungen Mann zubewege und mit sich ins Reine käme. Luis T. sei, so der Vater, geistig beeinträchtigt, aber schlau beim Manipulieren. Auf Nachfrage musste der Angeklagte zugeben, dass etwa das vor Gericht behauptete Abitur gelogen war. Seine Radikalisierung begann zudem schon vor der Pandemie.
In alte Muster verfallen
Der Vater berichtete von einer starken Abneigung gegen Linke. Luis T. eckte schon bei seinem Engagement in der CSU an, sein parteipolitischer Weg führte ihn schließlich zum „Flügel“-Treffen ins bayerische Greding, wo er neben Björn Höcke posierte. Bilder davon finden sich auf seinem VK-Account. Er suchte die Nähe zum elitären Verbindungswesen, postete Bilder aus Burschenschafts-Häusern, von der Jagd und versuchte sich dieser Szene in Kleidung und Auftreten vollends anzupassen. Nach der Verhandlung war klar: Alles Schein.
Wieder in alte Muster verfiel Luis T. dann beim Plädoyer des Oberstaatsanwalts und später bei der Verkündung der Urteile. Als etwa die rassistische Motivation bei einigen Äußerungen angesprochen wurde, störte der Angeklagte mit Zwischenrufen wie „das ist nur ein Wort“ oder „Meinungsfreiheit“. Eine Verurteilung empfand er als Beleg, sich doch in einer Diktatur bzw. in einem „Scheißstaat“ zu befinden. Die Justiz solle sich um die wirklichen Verbrecher kümmern, so der Intensivtäter. Zudem stand er einmal auf und deutete an, gehen zu wollen.
Verteidigerin beruhigte Angeklagten
Allerdings vermied Luis T., anders als am Amtsgericht, beleidigende oder bedrohende Worte. Seine Verteidigerin konnte ihn zudem schnell beruhigen. Jedenfalls machten es die Ausfälle am Ende sowohl dem Oberstaatsanwalt als auch dem Gericht leicht, von einem noch nicht gefestigten Angeklagten zu sprechen, der angesichts von Druck wieder zu alten Mustern neige, weshalb an eine Strafaussetzung zur Bewährung noch nicht zu denken sei und auch der Haftbefehl in Kraft blieb.
Wegen der Fülle der Taten, und weil nicht alles zu einer Gesamtstrafe verbunden werden konnte, gab es am Ende zwei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen, ein Jahr und vier Monate sowie ein Jahr und zwei Monate. Der Staatsanwalt hatte jeweils wenige Monate mehr gefordert, die Verteidigerin vor allem die Aussetzung zur Bewährung. Am stärksten schlugen bei beiden Urteilen Einzelstrafen von zehn Monaten zu Buche, verhängt für den versuchten Schlag ins Gesicht eines Polizisten und für den Wunsch nach „Vergasung“ bzw. Zerbombung der Vorfahren, strafbar als Volksverhetzung in zwei Varianten. Rassismus wurde jeweils strafverschärfend bewertet.
Nächster Prozess steht bevor
Damit lag das Gericht trotz des positiveren Verhaltens des Angeklagten zwar in der Summe über der vom Amtsgericht verhängten Strafe von einem Jahr und elf Monaten. Allerdings wurden jeweils frühere Verurteilungen zu Geldstrafen mit einbezogen, darunter auch ein „Diebstahl mit Waffen“. Die im Dezember verhängte Haft war keine Untersuchungshaft, sondern das Ergebnis einer nicht gezahlten Geldstrafe und wird also nicht auf die neue Freiheitsstrafe angerechnet werden können.
Mitte Juli steht der Münchner wieder vor Gericht. Ihm wird zur Last gelegt, am Marienplatz nach einer Pressekonferenz von Gesundheitsminister Klaus Holetschek einen Reporter des Bayerischen Rundfunks mehrfach geschlagen zu haben. Der Vorfall hatte damals für Aufsehen gesorgt und eine Debatte um die Sicherheit von Medienschaffenden losgetreten.
Je nach Verhalten könnte sich die Strafe gegen den Intensivtäter noch erhöhen. Kann er das Gericht von einer tiefgreifenden Wandlung überzeugen, wäre auch möglich, dass mit Blick auf die bereits verhängte Haft von einer Strafe abgesehen wird. Für ausgeschlossen hält es eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht. Gegen das Mitte Juni verhängte Urteil wäre noch Revision möglich.