Kontakte ins rechte Spektrum

Wenig bürgerliche „Bürger in Wut“

Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen treten für „Bürger in Wut“ Kandidaten mit fragwürdigem Hintergrund an.

Donnerstag, 11. Mai 2023
Andrea Röpke
„Bürger in Wut“-Kandidat Heiko Werner auf einer Neonazi-Demonstration in Goslar, Foto: Recherche Nord
„Bürger in Wut“-Kandidat Heiko Werner auf einer Neonazi-Demonstration in Goslar, Foto: Recherche Nord

Den Mann mit dem markanten Kinnbart lernten sie erst im Januar 2023 bei einem Infoabend ihrer Partei kennen. Er tauchte im Bremer Ortsteil Farge auf und interessierte sich. Niemand kannte ihn. Doch wenig später erhielt Heiko Werner Platz 18 der Landesliste der „Bürger in Wut“ (BiW) zur Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag in Bremen. So schildert es Sven Schellenberg, der auf Platz 2 kandidiert und beteuert, nichts über die neonazistische Aktivitäten seines Mitkandidaten gewusst zu haben. „Infos dieser Art lagen uns nicht vor“, so Schellenberg, eigene Recherchen zu Werner hätten nichts Negatives ergeben.

Auf ihrer Internetseite präsentieren die „Bürger in Wut“ ihren Kandidaten Heiko Werner - auf Listenplatz 18.
Auf ihrer Internetseite präsentieren die „Bürger in Wut“ ihren Kandidaten Heiko Werner - auf Listenplatz 18.

Tatsächlich sind auch die öffentlichen Angaben zum BiW-Kandidaten Nr. 18 spärlich: Werner, Heiko, 1976, kaufmännischer Angestellter. So steht es auf der Internetseite der Kleinstpartei. Bereits 2001 aber tauchte dieser Name im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen gegen die Rechtsrockszene in Ostfriesland als Kontakt auf. Im Mai 2018 nimmt Werner an einem Solidaritätsmarsch der gewaltbereiten Neonazi-Szene für die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld teil, wie Fotos belegen. Im Juni 2018 beteiligt er sich am sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ von NPD und militanter Kameradschaftsszene in Goslar.

Keine Konkurrenz durch AfD

Neun Prozent werden der BiW, die sich als „Law and Order“-Partei aufspielt, prognostiziert. Die sieht ihre Hauptaufgabe darin, Bremen als „Hochburg des Verbrechens“ – vorgeblich migrantischer Gewalt – aufzubauschen. Eine Parole lautet: „Das größte Sicherheitsrisiko in Bremen ist der rot-grün-rote Senat“. Die Kleinstpartei des Ex-BKA-Mannes Jan Timke, Spitzenkandidat in Bremerhaven, profitiert vom Ausschluss der beiden zerstrittenen AfD-Parteilisten und soll rund 300.000 Euro Wahlkampfhilfe vom unterstützenden „Bündnis Deutschland“ erhalten haben.

Ex-Bundespolizist Timke versteht es, die Gemüter zu beruhigen und den Anschein von Bürgerlichkeit zu wecken. Provokationen scheint der Bremerhavener seiner Ehefrau Melissa zu überlassen. Als Schlagersternchen Klara Korn sang sie Zeilen wie „Wir warten alle auf den Tag X“. Als Tiktokerin „konservativ und frei“ wettert sie gegen Gendern, die Flüchtlingshilfsorganisation „Mission Lifeline“ oder Klimaschutzaktivitäten.

Ehemalige AfD-PolitikerInnen

Ein Mann der leisen Töne ist der ehemalige Lucke-Fan Piet Leidreiter, der als Spitzenkandidat für Bremen antritt. Leidreiter gründete 2013 die AfD in Bremen mit, wurde ein Jahr später sogar deren Bundesschatzmeister. 2017 wechselte er zu „Bürger in Wut“. Die BiW baut ihre Wahlkampfliste mit mehreren ehemaligen AfD-PolitikerInnen auf. Nicht immer sind die Methoden der Kleinstpartei transparent. Auf Listenplatz 2 zur Bürgerschaftswahl kandidiert „Holger Fricke, Jahrgang 1959, Journalist“. Dabei handelt es sich bei dem in Bremen als Holger Bloethe bekannten politischen Bild-Zeitungsreporter. Ähnlich wie bei Heiko Werner wird auch über André Minne, immerhin auf Listenplatz 3, nicht mehr als nötig bekannt gegeben.

„Keine Angst Jenzo bald geht der Wahlkampf los“, schreibt André Minne bei Facebook einem Freund und kündigt an: „Da hört man diesmal so viel von uns, das die LinksGrünen im Strahl kotzen“. „AF Minne“, wie er sich im Netz gern nennt, fällt äußerlich auf in einer Riege um die bieder wirkenden Spitzenkandidaten Jan Timke und Piet Leidreiter. Lange Haare zum Zopf gebunden, braungebrannt, trainiert, Partyfotos. „Jobcoach für Geflüchtete“ gibt er als Beruf an, Jahrgang 1971. Den, den er vertraulich „Jenzo“ nennt, ist Jens W., ein in Bremen umstrittener Kampfsporttrainer. W. ist mit rechtsextremen Hooligans der berüchtigten „Standarte“ und Mitgliedern des verbotenen Charters der „Hells Angels“ befreundet. In den sozialen Netzwerken wird er ausfällig. Einen Artikel über die aus der Haft entlassene Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck kommentierte Minne-Freund Jens W. mit dem Satz: „Wenn es denn die Wahrheit ist, warum darf man dann nicht drüber reden bzw. es anzweifeln ??? verstehe ich nicht“.

Dubiose Bekanntschaften

BiW-Kandidat Minnes Freundeskreis bei Facebook ist groß. Dazu gehört auch Stefan Ahrlich, eine stadtbekannte Rotlichtgröße. Die Bekanntschaft mit Ahrlich bescherrte Ex-Werder-Torwart Tim Wiese jüngst Ärger mit seinem Ex-Verein. Ahrlich macht aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl. Vor Jahren leistete er sich einen NPD-Mann als Chauffeur, vermummte sich mit der rechtsextremen Hooligan-Truppe „Standarte“ bei einem Nordderby oder er trägt die Kutte der „Hells Angels“-Vorgruppe „MC Legion“.

BiW-Kandidat Minne gibt ein „gefällt mir“, wenn Ahrlich einen großen Fisch aus der Weser zieht. Einen von Ahrlichs Posts zur Pandemie kommentiert Minne mit vermeintlichem verschwörerischen Hintergrundwissen. André Minnes Kontakt ins Rotlicht-Rocker-Hooligan-Milieu ist in Bremen nicht allzu ungewöhnlich. Bereits 2015 kandidierte Fritjof B. für die „BiW“, verließ die Partei dann. Als B. dann 2016 gemeinsam mit Anhängern der „Hells Angels“ versuchte, im Bremer Stadtteil Walle ein Clubhaus der kriminellen Gang aufzubauen, erhielt er Unterstützung durch einen damaligen BiW-Beirat.

„Mobile Beratung“ warnt vor Mischszene

Man kennt sich im kleinen Bremen, auch seitdem es mehrere rassistische Bürgerinitiativen gab. Um 2015 versuchten in Bremen-Nord und dem angrenzenden niedersächsischen Umland hunderte von Menschen Unterbringungen für Asylsuchende zu verhindern. Zu einer der Hauptinitiatorinnen von damals hält André Minne bis heute online Kontakt, er lädt sie bei Facebook ein, die BiW zu wählen. Auch Jan Timke und Piet Leidreiter gehörten damals den Facebookgruppen an, die sich zum Teil in aggressiven Protesten vor Ort Bahn brachen. Die Stimmung auch bei Bürgerversammlungen war aufgeheizt. In der nahe Bremen gelegenen Gemeinde Schwanewede marschierte anschließend sogar eine Bürgerwehr.

„Es ist ein breites, rechtes Spektrum entstanden von AfD, BiW bis hin zu Neonazis mit Umsturzphantasien“, warnt die „Mobile Beratung gegen Rechtextremismus im Land Bremen“. Deren Kenntnis zufolge versuchen Internet-User wie „Sturmbrigade 18“, der dort mit Waffe posiert, Kontakte aufzubauen. Der junge Mann, gegen den wenig später eine Polizeirazzia erfolgte, nahm laut „Mobiler Beratung“ an einem Interessierten-Treffen der BiW im Januar in einer Kneipe im Bremer Stadtteil Neue Vahr teil.

Dieses heterogene Milieu stärkt die BiW. Und so nimmt André Minne im Netz kein Blatt vor den Mund. Er betreibt mehrere Facebook-Accounts und postet bei Twitter. Wenn der Kampfsportrainer Jens W. lästert: „Warum darf der Selensky jeden verdammten Tag was im TV erzählen und Putin nicht ??“ – dann pariert Minne mit dem Spruch: „Weil die westliche Propaganda dann in sich zusammenfällt“. Im Februar 2022 schrieb „AF Minne“: „Mal verschiedene Sichtweisen betrachten“ und postete ausgerechnet einen Kommentar der Hamburger Rotlichtgröße Kalle Schwensen. Gegen Blockaden der „Letzten Generation“ lästert er mit dem Spruch: „Der ZeckenKärcher könnte es „lösen“. Banal kommentiert BiW-Kandidat Minne die Umbenennung der Bremer Langemarkstraße in Georg-Elser-Allee: „Was ne Woke scheisse“.

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