Auf dem Weg zu gesichert rechtsextrem
Warum sich die AfD selbst hochstuft
Es ist im politischen Berlin kein Geheimnis mehr, dass durch die vorgezogenen Neuwahlen eine Neubewertung der AfD durch den Verfassungsschutz vorerst nicht veröffentlicht wird. Viele Beobachter vermuten eine Hochstufung zum gesichert rechtsextremen Beobachtungsobjekt. Vermutlich reicht dafür, dass die Partei in der Verdachtsphase nicht mit den geforderten Konsequenzen gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen vorging.
Vorgaben, was eine Partei machen könne und müsse, wolle sie sich nicht verfassungsfeindliche Aussagen ihrer Funktionäre und Gliederungen zurechnen lassen müssen, machte das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Nicht-Verbot der NPD. Es ist wahrscheinlich das Feld, in dem die AfD am eindeutigsten die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in den Wind schießt und auf Zeit spielt. So werden auch Aussagen verständlich, die mutmaßlich aus dem Verfassungsschutzverbund gestreut wurden, die Partei müsse für eine Hochstufung weder qualitativ noch quantitativ radikaler werden, sondern einfach so weitermachen wie bisher.
Bewährungsversagen in der Verdachtsfallphase
Das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst schweigt sich auf Anfrage von ENDSTATION RECHTS. aus, welche Szenarien zu einer Hochstufung denkbar sind, sondern antwortete hier mit der Sprachregelung, die Bestrebungen „müssen sich zur Gewissheit verdichtet haben“, ein ohne Kontext nicht verständlicher Textbaustein des Verfassungsschutzverbundes.
Das folgend beschriebene Modell könnte als Titel „Bewährungsversagen“ tragen, heißt, die Partei reagiert nicht oder falsch auf verfassungsfeindliche Bestrebungen, die ihre Einstufung als Verdachtsfall begründen und duldet diese somit als Teil des vertretenen Spektrums.
Das Bundesverfassungsgericht hatte etwa in Bezug auf positive Äußerungen der NPD zum Nationalsozialismus und am ehemaligen Schulungsleiter der Jugendorganisation „Junge Nationalisten“, zuvor „Junge Nationaldemokraten“, Pierre D., eindeutige Vorgaben gemacht. Letzterer hatte einen „Leitfaden“ der NPD-Jugend zu verantworten, in dem laut Gericht zum Ausdruck komme, dass „der deutschen Volksgemeinschaft“ ein „abstammungsbezogener exklusiver Charakter“ zukomme und dieser vor einer Vermischung mit „andersrassigen Völkern“ zu schützen sei.
Die NPD hatte im Bundesvorstand beschlossen, die Schulungsbroschüre einzuziehen und zu vernichten. Zudem wurde versucht, Pierre D. als „Hardliner“ zu bezeichnen, der nicht repräsentativ für die NPD und die JN sei.
Das Bundesverfassungsgericht ließ das alles nicht gelten, auch weil zwischen Veröffentlichung im Januar 2013 und der Reaktion darauf im April 2014 über ein Jahr vergangen war. Eine Partei müsse sich von sich aus und in einem engen Zusammenhang mit Äußerungen ihrer Funktionäre oder Führungskräfte ihre Teilorganisationen ausdrücklich distanzieren oder Ordnungsmaßnahmen ergreifen, ansonsten müsse sie sich diese zurechnen lassen. Spätestens mit der Leitlinie aus dem Urteil war Narrativen der AfD der Boden entzogen, bei Höcke handele es sich lediglich um den Vorsitzenden eines noch dazu kleinen Landesverbandes. Nichtsdestotrotz wird es gelegentlich noch vorgebracht.
Bundesverfassungsgericht verlangt ausdrückliche Distanzierungen
Zudem wird auch klar, dass für die AfD der Zug für etliche Distanzierungen längst abgefahren ist. Die vom Verfassungsschutz vorgelegten und von Gerichten einschlägig gewerteten Belege beginnen wie in zahlreichen Artikeln dargelegt bei der Parteichefin und designierten Kanzlerkandidatin Alice Weidel und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. In Sachsen umfassen sie etwa große Teile des aktuellen Landesvorstandes, in Bayern schwerpunktmäßig einige gewichtige Mitglieder des Landesvorstandes, darunter des rechtspolitischen Sprechers der Landtagsfraktion, wobei das bayerische Landesamt für die AfD im Freistaat nur schlaglichtartig Belege liefert.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt zudem eine ausdrückliche Abkehr von den Aussagen. Gelegentlich wird kolportiert, dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen werde Geltungskraft entzogen, weil sich die Ausführungen im Urteil auf Aussagen vom Europaabgeordneten Maximilian Krah und der Bundestagsabgeordneten Christina Baum stützten – und beide nun nicht mehr dem Bundesvorstand angehörten. Ohne Platz auf der Landesliste dürfte Baum zudem aus dem Bundestag ausscheiden.
Das wird den Gerichten allerdings nicht reichen. Ohne ausdrückliche Erklärung bleibt unklar, warum beide scheinbar in Ungnade gefallen sind. Bei Krah ist zudem zu vermuten, dass eher der Skandal um den mutmaßlichen chinesischen Spion ausschlaggebend war und weniger seine Aussagen zum ethnischen Volksverständnis. Krah wird zudem innerhalb der Partei, besonders in Bayern, weiter prominent eingeladen, erhält Bühnen und strebt angeblich eine Kandidatur für den Bundestag an. Nach Abkehr sieht das nicht aus.
Kosmetische Ordnungsmaßnahmen
Die AfD scheint zudem häufig mit Abmahnungen zu agieren und diese vor Gericht zu präsentieren. Auch diese rein nach innen wirkenden Maßnahmen dürften den Anforderungen bei weitem nicht genügen. Besonders der bayerische Landesverband reagiert damit, aber höchstens kosmetisch. So wollte der Schriftführer im Landesverband, zugleich rechtspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, einen Mitarbeiter, den er für fragwürdige Postings verantwortlich machte, nur abgemahnt haben. Dierkes wiederum soll vom Landesverband intern abgemahnt worden sein, wobei auch hier dem Gericht nicht klar wurde, ob für die verfassungswidrigen Thesen oder für seine Posts zum Sylt-Video.
Dass die Gerichte hier mehr verlangen dürften, deutet das Bundesverfassungsgericht ebenfalls in den Ausführungen zu Pierre D. an. Gegen die versuchte Klassifizierung als „Hardliner“ spreche seine lange andauernde und führende Tätigkeit innerhalb der JN und der Umstand, dass er bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden aufstieg. Die jüngst veröffentlichten Gründe zur Beobachtung der AfD in Bayern liefern ein ähnliches Bild. Gerade in den Kategorien Angriffe auf die Menschenwürde und demokratiefeindliche Thesen kamen bis auf ein AfD-Mitglied auf niemanden ernsthafte Konsequenzen zu.
Teilweise stiegen die Personen sogar noch weiter auf. Harald Meußgeier wurde Landtagsabgeordneter und dem Parlament als Vizepräsident vorschlagen. Rene Dierkes und Franz Schmid wurden in den Landesvorstand gewählt, Benjamin Nolte in diesen wieder kooptiert, ebenso wie der islamfeindliche Aktivist Erhard Brucker. Auch dessen Nominierung zum Bundestagskandidaten wird wohl kein Gericht der Welt als nachhaltige Distanzierung werten. Auch das verkündete Ausschlussverfahren gegen den damaligen stellvertretenden Kreisvorsitzenden, Reinhard Mixl, wurde nur mit einer Abmahnung beendet. Er stieg inzwischen zum Vorsitzenden für Schwandorf und Cham auf. Ordnungsmaßnahmen gegen die im Urteil genannten Kreisverbände oder die Kreistagsfraktion in Aichach-Friedberg sind nicht bekannt. Und auch an der Spitze der AfD blieb Gauland Ehrenvorsitzender und soll laut Medienberichten erneut mit einer Kandidatur für den Bundestag liebäugeln. Maßnahmen gegen ihn oder auch gegen Weidel bzw. Höcke sind momentan als utopisch anzusehen. In Sachsen müsste gegen große Teile der Landesführung vorgegangen werden.
Welche Konsequenzen ein fehlendes Vorgehen gegen Führungskräfte hat, lässt sich im NPD-Urteil zur Frage nachlesen, ob die heutige „Heimat“ als wesenverwandt mit dem Nationalsozialismus anzusehen sei. Die NPD hatte hier vorgebracht, sie lehne einige Grundprinzipien des Nationalsozialismus ab und sei auch nicht nach dem „Führerprinzip“ organisiert. Das Bundesverfassungsgericht ließ das nicht gelten und blickte dafür auf die große Bandbreite an positiven NS-Bezügen durch führende Funktionäre oder Teilorganisationen. Aufgeführt werden in den Belegen Äußerungen und Handlungen beginnend von Holger Apfel, damaligen Bundesvorstandsmitgliedern wie Thomas „Steiner“ Wulff und Karl Richter, der damaligen Vorsitzenden der Frauenorganisation, Maria Frank, einzelnen Landtagsabgeordneten wie Jürgen Gansel bis hin zu Landesvorständen und Kreisvorsitzenden.
Verfassungsfeindliche Thesen müssen nicht einhellig geteilt werden
Es komme auch nicht darauf an, so das Bundesverfassungsgericht sehr eindeutig, „ob die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus durch die Antragsgegnern einhellig geteilt wird. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer entsprechenden Grundtendenz bei der Antragsgegnerin, so dass die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus nicht als „Entgleisung“ Einzelner angesehen werden kann.“ Ähnliches ließe sich auf Basis der öffentlichen Urteilsgründe auch für die AfD und die Bezüge zum ethnischen Volksverständnis herstellen, das gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip verstößt.
Eine solche Grundtendenz gegen vereinzelte Beschlüsse hatte bereits das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster gesehen, als es der AfD eindeutig ins Stammbuch schrieb, ein Verdacht extremistischer Bestrebungen entfalle nicht, wenn ein Zusammenschluss ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablege, sonstige Aktivitäten dies aber konterkarierten.
Modell „Bauernopfer“ funktioniert nicht
Der NPD hatte damals auch nicht geholfen, dass sie tatsächliche Maßnahmen gegen einzelne einfache Parteimitglieder ergriffen hatte bzw. diese durch Austritt gegenstandslos wurden, während sie gegenüber relevanteren Mitgliedern aus der Spitze tatenlos blieb und auch nichts vorgetragen wurde.
In der Gedankenwelt der AfD mag es nur ein kleiner Schritt sein, von einem noch grundgesetzkonformen zum verfassungswidrigen ethnischen Volksverständnis. Für die Gerichte, angefangen von Bundesverfassungsgericht, ist es aber entscheidend für die Beurteilung, schließlich geht es hier um zwei der innersten Kerne der Verfassung: Menschenwürde und Demokratieprinzip.
Dieses bisher beobachtete Dulden kritische Mitglieder bzw. Aussagen dürfte das stärkste Argument darstellen, dass verfassungsfeindliche Sichtweisen innerhalb der AfD akzeptiert werden und damit in politischem Handeln münden könnten. Zumal sich die Frage stellt, wer überhaupt innerhalb der Partei noch ernsthaft dagegen vorgehen wollte und könnte. Es müsste, wie bereits gerichtlich niedergelegt, bei Weidel, Gauland oder Höcke beginnen.
Die AfD könnte sich hier auch nicht auf Unkenntnis berufen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht damals bei der NPD nur bei Äußerungen einfacher Parteimitglieder und Funktionäre akzeptiert, aber ein Einschreiten bereits ab Kenntnis verlangt. Und der AfD sind nach Entscheidungen etlicher Gerichte längst hunderte problematische Aussagen quer durch die Partei bekannt.