Verbotene NS-Parole

Verteidigung verzögert Prozess gegen Björn Höcke

Weil er bei einem Wahlkampfauftritt die verbotene Losung „Alles für Deutschland“ der nationalsozialistischen SA verwendet hat, muss sich AfD-Rechtsaußen Björn Höcke vor dem Landgericht in Halle verantworten. Beim Prozessauftakt stellt die Verteidigung einen Antrag nach dem anderen, erst nach mehreren Stunden kann die Anklage verlesen werden.

Donnerstag, 18. April 2024
Joachim F. Tornau
Foto: Der AfD-Politiker Björn Höcke am Donnerstag am Landgericht Halle, Foto: picture alliance/dpa/Reuters/Pool | Fabrizio Bensch
Foto: Der AfD-Politiker Björn Höcke am Donnerstag am Landgericht Halle, Foto: picture alliance/dpa/Reuters/Pool | Fabrizio Bensch

Es ist ziemlich genau fünf Minuten vor zwölf, als im größten Sitzungssaal des Justizzentrums in Halle an der Saale Lachen aufbrandet. Kein heiteres, eher ein resigniertes. „Dann machen wir jetzt Mittagspause“, hat Richter Jan Stengel da gerade verkündet. Der Mann sitzt der großen Strafkammer vor, die am Landgericht der sachsen-anhaltinischen Stadt seit Donnerstag über Deutschlands wohl prominentesten Rechtsextremen zu Gericht sitzt: Björn Höcke.

Es geht um eine Wahlkampfveranstaltung 2021 in Merseburg, die der thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD mit der Parole „Alles für Deutschland“ beendete. Und um den Vorwurf, dass er, der als Geschichtslehrer arbeitete, bevor er zur Galionsfigur der völkischen Rechten aufstieg, um den Gehalt dieser Worte genau gewusst habe. Es handelt sich dabei um die Losung der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA), deren Verwendung in Deutschland wie das Hakenkreuz oder der Hitlergruß unter Strafe steht.

„Die Taktik ist unverkennbar“

Das Interesse von Medien und Öffentlichkeit ist groß, an einer antifaschistischen Protestkundgebung vor dem Gerichtsgebäude beteiligen sich mehrere hundert Menschen. Doch als Richter Stengel, der die Verhandlung mit der Gemütsruhe eines wohlgesättigten Bären führt, zur Mittagspause ruft und das ungläubige Gelächter auslöst, hat die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal ihre Anklage verlesen können.

Fünfmal musste der Richter die Sitzung bis dahin schon unterbrechen, weil die Verteidigung einen Antrag nach dem anderen stellt: auf digitale Aufzeichnung und Transkription der Verhandlung (wofür es bislang noch kein Gesetz gibt). Auf ein vorzeitiges Ende des ersten Prozesstags, weil Verteidiger Ulrich Vosgerau, Teilnehmer des berüchtigten Potsdamer „Geheimtreffens“ von führendem AfD-Personal mit CDU-Mitgliedern und Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung, noch einen anderen Termin hat. Sogar auf Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, weil das Verfahren wegen der großen öffentlichen Bedeutung vom eigentlich zuständigen Amtsgericht in Merseburg ans Landgericht in Halle verlegt wurde. Das verstoße gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren, meinen die Anwälte.

Alle diese Anträge scheitern, wenig überraschend. Aber sie sorgen für Verzögerung. „Die Taktik ist unverkennbar“, grollt Staatsanwalt Benedikt Bernzen. Nach der Mittagspause darf er endlich die Anklage verlesen. Von einer 22-minütigen Rede spricht er, die Höcke vor rund 250 Menschen gehalten habe, vor allem, wer hätte es gedacht, über Migration. Und am Ende dann der Dreiklang: „Alles für unsere Heimat! Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für Deutschland!“

Zweite Anklage vorerst abgetrennt

Eigentlich sollte eine weitere Anklage gleich mitverhandelt werden: Im Dezember 2023 soll Höcke die verbotene SA-Losung bei einer AfD-Veranstaltung in Gera noch einmal verwendet haben. Er sagte dabei allerdings nur die Worte „Alles für“, das anschließende „Deutschland“ ließ er sein Publikum grölen. Weil Vosgerau, ebenso wie ein weiterer Anwalt, erst vor wenigen Tagen die Verteidigung von Höcke übernahm und noch keine vollständige Akteneinsicht hatte, wurde dieser jüngere Anklagevorwurf jedoch erst einmal abgetrennt. Staatsanwalt Bernzen beantragt nun, die beiden Verfahren erneut zu verbinden. „Deshalb hätten wir keine Sekunde länger zu verhandeln“, sagt er. Das Video des Geraer Auftritts müsse man sich nämlich ohnehin ansehen. Weil es zur Bewertung des „Nachtatverhaltens“ des Angeklagten von Bedeutung sein könnte.

Höcke hört sich das alles an, er wirkt ernst, ein wenig nervös, nicht wie jemand, der seinen Auftritt vor Gericht genießt. Der 52-Jährige hat sich AfD-Moderationskarten mitgebracht, noch aber nennt er nicht mehr als seinen Namen und sein Geburtsdatum. Denn dieser zähe erste Verhandlungstag endet bereits, als die Anklage verlesen ist.

Nur ein „Allerweltsspruch“?

Wenn der Prozess am Dienstag fortgesetzt wird, aber will der AfD-Rechtsaußen sich äußern. Seine Verteidigungslinie hat er jüngst bereits im TV-Duell mit dem thüringischen CDU-Vorsitzenden Mario Voigt offenbart: Er habe von nichts gewusst, die SA-Losung sei ein „Allerweltsspruch“, er habe damit ganz spontan das Trump‘sche „America first“ ins Deutsche übertragen. Und überhaupt werde mit den einschlägigen Strafgesetzen die Meinungsfreiheit beschnitten. In einem Dialog mit Tesla-Chef Elon Musk auf dessen sozialem Netzwerk X, vormals Twitter, verstieg sich Höcke gar zu der Aussage, die Gesetze sollten verhindern, dass sich Deutschland „wiederfinde“.

Spätestens bei seinem Auftritt in Gera muss Höcke indes genau gewusst haben, was er tat. Auch dass er in Merseburg seine Worte nicht zufällig wählte, liegt nahe, nicht nur wegen seiner Vergangenheit als Geschichtslehrer. Als leitendem AfD-Funktionär dürfte ihm nicht entgangen sein, dass vor ihm schon andere Parteifreunde Ärger wegen der SA-Parole bekommen hatten: Im Bundestagswahlkampf 2017 musste AfD-Kandidat Ulrich Oehme, der im Erzgebirge antrat, den Slogan „Alles für Deutschland!“ auf seinen Plakaten überkleben. Und am 9. November 2020 nutzte Kay-Uwe Ziegler, damals AfD-Landesvize in Sachsen-Anhalt und heute Abgeordneter im Bundestag, die verbotene Losung in einer Rede an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Auch er behauptete anschließend, er habe keine Ahnung gehabt.

Für den Prozess sind bislang noch drei Verhandlungstage bis zum 14. Mai angesetzt. Ob das reichen wird, erscheint angesichts des Prozessauftakts zweifelhaft. Bei einer Verurteilung drohen Höcke bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Erreicht das Strafmaß mindestens sechs Monate, könnte ihm das Gericht zudem für bis zu fünf Jahre das aktive und passive Wahlrecht streichen. Der Chef der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Thüringer AfD will bei der Landtagswahl am 1. September als Spitzenkandidat antreten.

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