Verschwörungsideologe Jo Conrad und eine abgesagte Veranstaltung
Reichsbürger- und verschwörungsideologische Szene versuchen sich als bedroht zu inszenieren. Doch in Worpswede interessieren die Aktivitäten von Jo Conrad kaum jemanden.
In der Bötjer`schen Scheune im historischen Kern von Worpswede sollte die Veranstaltung stattfinden. Eintritt 38 Euro. Die Österreicherin Monika Donner plante ihr neues Buch „Freiheut“ vorzustellen und 280 angeblich vorliegende Anmeldungen hätten gezeigt, dass sie mit dem Thema „den Nerv der Zeit“ treffe. Doch aus dem Vortrag in Niedersachsen wurde nichts, weil „mutige Menschen, die sich für Freiheit und Frieden“ einsetzen, von „der Antifa als schlimme Rechtsradikale“ beschimpft würden. So die Erzählweise der Verschwörungsideologin Donner bei Telegram gegenüber ihren fast 16.000 Abonnenten.
Unterstützt wird sie dabei von dem Worpsweder Johannes „Jo“ Conrad, Betreiber von „Bewusst.TV“ sowie Thorsten B. aus Uelzen, Moderator des Internetmediums „Zensur Nein Danke“. Thorsten B. sei seit kurzem zum Judentum konvertiert, seine eigens gegründete Kulturinitiative habe sie eingeladen. Eine illustre Gesellschaft, „Transfrau, schwuler Moderator und bekennender Jude“, die laut Donner nur durch eine anonyme E-Mail vom Auftritt abgehalten wurden.
Drohmail erst nach Absage
Besagte Drohmail vom 1. Januar lässt allerdings Fragen offen, denn darin heißt es: „Gut das dieser Vortrag in Worpswede abgesagt wurde“. Und weiter: „Ihr seid Nazis, ne? (…) Wir beobachten euch und dann wenns nicht hört dann klatsch!“ Dubios: Die Absage ist den Verfassern schon bekannt, wozu die E-Mail? Dann im letzten Satz ein Jargon, der eher auf Österreich als Norddeutschland schließen lässt.
Worpswede, die Heimat Conrads, ist kein Hort des Widerstands. Jahrhundertelang ging es für Bauernfamilien ums harte Überleben im Teufelsmoor. Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich das Bild des Ortes, als Künstler und Schriftsteller dort eine lebensreformerische Siedlungskommune aufbauten. Die zerfiel im Nationalsozialismus, als einige sich für den völkischen Nationalsozialismus begeisterten, andere in die Sowjetunion auswanderten.
„BewusstTV“
Heute ist Worpswede im Landkreis Osterholz, nahe Bremen, mit seinen knapp 10.000 Einwohnern staatlich anerkannter Erholungsort, mit der Erinnerung an die Künstlerkolonie Worpswede und der umgebenden historischen Kulturlandschaft lässt sich gut leben. Stärkste Partei ist die CDU, Bauernhöfe gibt es noch immer, dazu viele Museen und Ateliers. Eine kulturell geprägte Szenerie, die sich nicht daran stört, dass sich mitten im Ort das Hinterhofstudio von BewusstTV befindet.
„Bewusst TV Conrad Bignose Media“ steht an einem verrosteten Briefkasten, gleich neben der Eingangstür eines kleinen unscheinbaren Gebäudes gegenüber einer Discounterkette. Im vorderen Raum befindet sich ein Atelier mit Webstühlen und feinen Webstoffen. Im hinteren Trakt, verborgen hinter einer Stahltür, befindet sich das Studio. Den Garten teilt sich das kleine Häuschen mit einem Café in einem alten Bauernhaus.
Unauffälliger Bungalow
Seit 2010 betreibt Conrad BewusstTV, „Ihr Sender für den Wandel“. Bei Youtube hat er rund 75.000 Abonnent*innen, bei Telegram sind es knapp 38.000. Conrads Privathaus liegt an einer vielbefahrenen Nebenstraße des Ortes. Die Fenster des Bungalows sind auffällig mit Laken verhangen, über der Eingangstür prangt eine Kamera. In Corona-Zeiten fiel Conrad im Dorf höchstens als nichtgeimpfter Maskengegner auf. Ansonsten verkehrt Conrad, smart und 65-jährig, unter esoterischen und alternativen Lebenskünstlern. Manchen ist bekannt, dass er die Musik für einige Folgen des „Großstadtreviers“ schrieb und früher im „Offenen Kanal Bremen“ eine Show moderierte.
Donner reist am 7. Januar nach Worpswede. Immerhin sollen die Abonnent*innen von Conrads Kanal „Bewusst TV“ von ihr erfahren, dass Antifaschisten die wahren Faschisten seien, weil sie das Individuum zwangskollektivieren wollen, antijüdisch, homophob und transphob seien. „Je stärker aber das Individuum sei, desto stärker auch das Kollektiv“, so die selbsternannte „Lebensberaterin und Autorin von „Freiheut“.
Von „Corona-Diktatur“ und „Massenmigration“
Sie freut sich: „Wir haben schon gewonnen, wir werden bekämpft!“ Dann äußert sie sich zur „Corona-Diktatur“, zu Impftoten und zur „Massenmigration“. Erklärt die „satanische Umkehr“, derzufolge auch Deutschen und Österreichern die Schuld am Beginn des Ersten Weltkrieges gegeben würde. „Die Gesunden werden zu den Gefährdern gemacht“. Das Interview wird erst einige Tage später online gehen, bis dahin halten Telegram-Kanäle die Empörung und das Feindbild Antifa aufrecht.
Jo Conrad selbst verortet sich weder links, noch rechts, sondern sagt: „ich bin vorn“. Der Worpsweder ist einer der langjährigen antisemitischen Verschwörungsideologen, die der heutigen Reichsbürger-Szene den Weg bereiteten. Er war bei Facebook ebenso mit Jürgen Elsässer als auch mit Felix Menzel befreundet. 2019 zeigt ein Foto ihn bei einem Treffen Arm in Arm mit dem Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner und QAnon-Prediger Heiko Schrang.
Bezugnahme auf „Die Protokolle der Weisen von Zion“
Bereits 1996 veröffentlichte Conrad „Entwirrungen“, in seinen Büchern bezieht er sich auf den antisemitischen Hetzklassiker „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Es gibt kaum eine Verschwörungserzählung, so scheint es, die nicht online von ihm – per Interviews - verbreitet wird. Bereits 2014 ließ er den 2022 verstorbenen Holocaustleugner Rigolf Hennig im Studio die paramilitärische „Europäische Aktion“ vorstellen.
In Verden besuchte Conrad gemeinsam mit Rechtsextremen einen Prozess gegen Holocaustleugnerin Haverbeck. 2019 nahm er die „Reichsbürger“-Bewegung in der rechtsextremen „Zuerst!“ in Schutz. Im September 2022 war Reichsideologe Matthes Haug zu Gast in Worpswede. Drei Monate später verortet die Bundesanwaltschaft Haug als Unterstützer der verschwörungsideologischen Terrorgruppe „Patriotische Union“ um Prinz Reuß.
Der Leiter des Zentralen Kriminaldienstes der Polizeiinspektion Osterholz/Verden sieht zwischen Reichsbürgern und extremen Rechten kaum Schnittmengen. Seine Aussage wird Anfang Januar 2023 im Weser-Kurier verbreitet. Demnach habe die Polizei 40 namentlich bekannte Reichsbürger in den Regionen Osterholz-Scharmbeck und Verden auf dem Schirm. Eine Gefahrenlage liege nicht vor. Benannt wird nur der verstorbene Hennig, von Conrad kein Wort in dem Artikel.