„Rechtsextremismus im Sport“
Studie: Die extreme Rechte nutzt Sport als politisches und gesellschaftlichen Vorfeld
Die Studie „Rechtsextremismus im Sport“ wurde in aktualisierter Form veröffentlicht. Mitautor Robert Claus warnt im Interview vor einer Professionalisierung in vielen Bereichen, speziell im Kampfsport. Rechtsextreme Akteure sind aber längst auch in Sparten wie Outdoor-Hindernis-Läufen oder Dart zu finden.

Die grundsätzliche Frage: Wie gefährlich sind Rechtsextreme, die sich in normalen Sportvereinen engagieren – und wie gefährlich sind sie, wenn sie eigene Vereine und Sportgruppen unterhalten?
Robert Claus: Sie sind immer gefährlich. In normalen Sportvereinen normalisieren sie extrem rechte politische Einstellungen und behandeln Menschen aus diskriminierten Gruppen schlecht, in eigenen Sportgruppen trainieren sie oftmals ihre Gewaltfähigkeiten. Sport ist für extrem rechte Organisationen somit in jeglichen Organisationsformen sehr relevant. Sie bearbeiten den Sport als wichtiges Feld, in dem unsere Gesellschaft ihr Selbstverständnis aushandelt, nutzten ihn zur Rekrutierung von Nachwuchs und um sich physisch aufzurüsten. Jenseits der angesprochenen Sportvereine gibt es übrigens noch die kommerziellen Anbieter.
Zeigt Ihre Studie Veränderungen im Vergleich zu früheren? Agieren Rechtsextremisten heute professioneller im Sport?
Seit der Studie von 2014 ist viel geschehen: Die AfD wurde 2013 gegründet und hat sich zum wichtigsten politischen Projekt der extremen Rechten entwickelt. Zweitens sind neue Sportarten entstanden bzw. enorm gewachsen. Dazu gehören u.a. Mixed-Martial-Arts im Windschatten der UFC oder auch die Landschaft kommerzieller Anbieter von Outdoor-Hindernis-Läufen. Und drittens sind die sozialen Medien heute natürlich hochrelevant. Ein Großteil der Selbstinszenierung extrem rechter Gruppen und ihres Sports hat sich dorthin verlagert. Tendenzen der Professionalisierung sind vor allem im Kampfsport zu beobachten. Denn insbesondere im Osten des Landes stammt eine ganze Reihe an Studios aus Kreisen extrem rechter Hooligans.
Die neuen Aufmärsche der eher jüngeren Neonazis, wie jene gegen die CSD, erinnern optisch und im Auftreten an die Baseballschlägerjahre, an die Zeit der „Boneheads“ und „Kraken“. Damals waren Rechtsextreme und rechte Hooligans in den Fußballstadien West- und Ostdeutschlands sehr präsent. Und heute?
Die Fanszenen des Fußballs haben sich politisch stark ausdifferenziert, was unter anderem am Aufkommen der Ultraszene um die Jahrtausendwende und dem Engagement von Fußballfans gegen Diskriminierung zurückzuführen ist. Insofern ist die bundesweite Landschaft sehr heterogen. In Bremen haben extrem rechte Hooligans seit langem keine Hoheit mehr, viele Kurven sind umkämpft, in Cottbus beispielsweise ist sie noch immer von neonazistischen Hooligans dominiert. Allerdings waren die Fanszenen nicht Fokus unserer Studie.
In der rechten Szene wird Kraft- und Kampfsport trainiert, angeblich um sich auf den „Tag X“ vorzubereiten. Wofür trainieren die „Kameraden“ wirklich?
Es geht extrem rechten Gruppen immer darum, sich Gewaltkompetenzen anzueignen. Das bedeutet, sie wollen den Umgang mit Gewalt lernen, Angriffs- und Abwehrtechniken sowie die Fähigkeit, mit dem Stress gewaltvoller Situationen umzugehen. Dazu dient nicht allein Kampfsport. Viele militante Gruppen üben sich auch im Schießen. Und wenn man sich extrem rechte Quellen näher anschaut, dann wird in ihrer Begründung, wozu sie Sport treiben, eines immer wieder deutlich: Die Ziele ihres Sports liegen weit außerhalb des Sports selbst. Ihnen geht es also weniger darum, Wettbewerbe zu gewinnen, sondern sich für politische Gewalt aufzurüsten. Der in der extrem rechten Szene viel beschworene „Tag X“ – der politische Umsturz – ist die letzte Konsequenz dessen.
Was ist mit dem Schießsport? Der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war in einem Schützenverein...
Der Attentäter aus Hanau war es auch. Selbstredend ist es für Rechtsextreme hoch interessant, den Umgang mit Waffen zu lernen. Eben weil sie eine gewaltvolle Ideologie vertreten.
Lübckes Mörder stand der AfD nahe. Eine Stichwortsuche in Ihrer Studie ergibt, dass das Kürzel der rechtsradikalen Partei 96 Mal vorkommt, das der NPD/„Heimat“ dagegen nur 23 Mal. Sind die AfD und ihr „Vorfeld“ im Sport aktiv?
Die AfD ist mit all ihren Ressourcen – vor allem parlamentarischen Mandaten, Mitarbeitern und Mitteln – nunmal deutlich relevanter als die NPD/„Heimat“ für die gesamte extrem rechte Szenerie. Die Partei bearbeitet das Feld des Sports auf verschiedenen Wegen. Sie hat sportpolitische Thesen veröffentlicht, in denen der Sport als ausschließlich für den weißen Teil der Bevölkerung inszeniert wird. Sie betreibt also Sportpolitik und agitiert auch dort vehement gegen das Thema Vielfalt. Zudem haben einige Landesverbände der Jungen Alternative – bis Januar 2025 Jugendorganisation der AfD – Kampfsport angeboten und dies wie neonazistische Akteure mit dem Begriff der Wehrhaftigkeit beworben. Darüber hinaus inszeniert sich die Partei regelmäßig mit Sportarten, in denen nur wenige Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte zu finden sind, u.a. Handball, Eishockey und Biathlon.
Die AfD verbreitete 2019 intern ihr Strategiepapier „Strategie 2019 - 2025. Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei“. Bis zur Bundestagswahl 2025 wollte man demnach in viele Vereine vordringen und sich dort als bürgerlich inszenieren. Inwieweit ist der Partei eine Art völkische Graswurzelrevolution speziell in Sportvereinen gelungen?
Sie war mit dieser Strategie vor allem in den Regionen erfolgreich, in der die Partei sowie ein extrem rechtes Milieu ohnehin gut etabliert sind. Dort finden sich dann Beispiele für AfD-Funktionäre in den Vorständen von Ringer-, Fußball-, Kampfsport- oder auch Schachvereinen. Der Sport ist also integraler Bestandteil einer politischen Gesamtstrategie.
Welche Sportarten außer den bereits genannten sind heute noch für das rechte Spektrum interessant?
Outdoor-Hindernisläufe sind sehr attraktiv und werden in den sozialen Medien als quasi-militärische Trainings inszeniert. Außerdem sind sie ideologisch anknüpfungsfähig, als Vorbereitung auf den Sturz der liberalen Demokratie.
In Ihrer Studie stellen Sie überraschenderweise fest, dass eine der derzeit beliebtesten Sportarten im extrem rechten Spektrum Dart ist. Das erscheint mir auf den ersten Blick nicht logisch...
Warum nicht? Wir sagen ja nicht, dass Darts oder alle Darts-Spieler extrem rechts sind. Sondern dass Dart ein niedrigschwelliger Sport ist, für den es nur ein Dartgerät braucht, die es wiederum in vielen Lokalen gibt. Dart findet also oft im sozialen Nahraum statt und lässt sich in Kneipen gesellig mit Alkohol verbinden. Hier wie bei vielen Sportarten gilt: Er wird von Rechtsextremen vor allem in den Regionen und Stadtteilen betrieben, wo diese ohnehin stark etabliert sind. Dart in der lokalen Eckkneipe ist für Rechtsextreme die alltägliche soziale, politische und kulturelle Raumnahme.
Sie haben dem klassischen Denksport – siehe Schach – in Ihrer Studie auf den ersten Blick nahezu gar keinen Platz eingeräumt. In einer kürzlichen Debatte wurden hochprofessionelle Kampfsportler als dumme Raufbolde oder stumpfe Straßenschläger abgetan – was sehr verharmlosend wirkte. Wieviel Denksport aka Strategie steckt in einem trainierten Kampfsportler, auch oder erst recht solchen im rechten Spektrum?
Erstens kommt Schach in der Studie vor. Und zweitens teile auch ich solch pauschale Bilder über extrem rechte Hooligans nicht. Die Szene hat sich professionalisiert und wirtschaftliche Strukturen im Kampfsport mit eigenen Modemarken, Studios, Events und engen Verbindungen in die Rockerszene aufgebaut. Zudem wird in unserer Studie sehr deutlich, dass das Thema Rechtsextremismus im Sport sich nicht auf extrem rechte Hooligans reduzieren lässt, wenngleich Kampfsport großen Raum einnimmt. Sport ist ein zentrales politisches Feld, in dem das gesellschaftliche Miteinander verhandelt wird. Und Rechtsextreme stehen hier – wie auch in anderen Feldern – für ein Ideal der Gewalt und der Ausgrenzung, sowohl durch physische Trainings als auch durch die entsprechende Sportpolitik.
Die Studie „Rechtsextremismus im Sport – in Deutschland und im internationalen Vergleich“ (Gunther A. Pilz u.a.) ist 2009 und 2014 erschienen. Mit „Rechtsextremismus im Sport. Wissensstände – Leerstellen –Gefahrenlagen“ legen Robert Claus und Sabine Behn eine Aktualisierung vor, Herausgeber ist das „Bundesinstitut für Sportwissenschaft“.
Das Interview führte Michael Klarmann.