Opferberatung
Sachsen: 21 Prozent mehr rechte und rassistische Gewalt
Rechtsmotivierte Gewalttaten haben in Sachsen im Jahr 2023 zugenommen. Darauf weist die Opferberatung „Support“ in ihrer heute veröffentlichten Jahresstatistik hin. Die bereits 2022 festgestellte gewalttätige rechte Raumnahme setzt sich demnach in den Großstädten, in ländlichen Regionen und Kleinstädten fort.
Die Opferberatungsstelle registrierte nach eigener Zählung im Jahr 2023 insgesamt 248 rechtsmotivierte Angriffe. Davon waren mindestens 380 Personen direkt betroffen. Im Jahresbericht wird dies als deutlicher Anstieg um 21 Prozent gegenüber 2022 bilanziert. Im Vorjahr hatte die Beratungsstelle 205 Angriffe registriert, von denen 314 Menschen betroffen waren. Es gibt demnach eine deutliche Zunahme von Bedrohungen. Körperverletzungsdelikte sind mit 63 Prozent aller Gewalttaten aber nach wie vor das häufigste Delikt.
Als häufigstes Motiv für Angriffe stellte „Support“ weiterhin Rassismus fest. Darüber hinaus wurde eine Zunahme von Angriffen auf Nichtrechte und Personen, die von den Tätern offenbar dem alternativen Spektrum zugeordnet werden, verzeichnet. Auch Angriffe auf LGBTIQ*-Personen sind demnach weiterhin hoch. Zudem wurden sechs antisemitisch motivierte Angriffe registriert – drei davon im Zusammenhang mit den Folgen des Hamas-Terrors gegen Israel am 7. Oktober.
Rückgang nur bei Angriffen auf Journalisten
Ein Rückgang ist bei den Angriffen auf Medienvertreter zu verzeichnen. Während die Opferberatungsstelle im Jahr 2022 noch zwölf solcher Angriffe registrierte, war es laut Jahresbericht im vergangenen Jahr nur noch einer. Dazu heißt es in dem Text: „Ein Grund für diesen Rückgang dürfte darin zu finden sein, dass es weniger rechte Demonstrationen als in den Vorjahren gab, die regelmäßig Gelegenheit für Attacken“ auf Medienvertreter boten. Demnach gehen „Querdenker, Pegida oder Freie Sachsen“ zwar immer noch regelmäßig auf die Straße, aber mit deutlich weniger Zulauf als in den Vorjahren.
In Sachsen registrierte die Opferberatung die meisten rechten Gewalttaten und Bedrohungen in den Großstädten Leipzig (70) und Dresden (42). In Leipzig stiegen sie damit um 40 Prozent (2022: 50), in Dresden sanken sie um 34 Prozent (2022: 64). Einen deutlichen Anstieg um 64 Prozent gab es in Chemnitz mit 23 Taten (2022: 14). Schwerpunktregionen sind laut Jahresbericht 2023 ferner weiterhin die Landkreise Zwickau (21), Leipzig (17), Bautzen (17) und der Landkreis Görlitz (17 Gewaltdelikte). Andrea Hübler, Geschäftsführerin der Beratungsstelle, nannte die große Zunahme solcher Taten im Raum Görlitz einen „besorgniserregenden Anstieg“.
Anstieg nach den Pandemie-Jahren
In früheren Jahren hatte eine aufgeladene, ablehnende bis feindselige Stimmung gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten zu vielen rassistischen Angriffen geführt – Stichwort unter anderem Heidenau. Registriert wurden 2015 in Sachsen 477 Gewalttaten und 2016 437 solcher Delikte. Im Jahr 2018 betrug deren Zahl sachsenweit 317. Als Grund dafür werden die Vorfälle in Chemnitz genannt. Dort war es 2018 nach einer Bluttat zu tagelangen rechtsextremen und rassistischen Demonstrationen und Ausschreitungen gekommen. In den Jahren der Corona-Pandemie war laut Fachstelle dann ein Rückgang zu verzeichnen. Seither nehmen rechtsmotivierte Angriffe jedoch wieder zu.
Andrea Hübler, Geschäftsführerin der Beratungsstelle, sagte bei der Vorstellung des Jahresberichtes, dass nach den Pandemie-Jahren eine Reaktivierung bestehender Strukturen feststellbar sei. Weitere solche würden neu aufgebaut, bestehende ausgeweitet. Das betreffe seit rund zwei Jahren überwiegend wieder klassisch neonazistische Strukturen. Neue Kameradschaften, Kleinstparteien wie Der Dritte Weg oder die in Die Heimat umbenannte NPD könnten, so Hübler, nun wieder verstärkt Jugendliche rekrutieren. Es würden „neue Stützpunkte“ geschaffen und neue „Aktionen sichtbar. Das bleibt nicht ohne Folgen.“
Rechtes Weltbild und Dominanzstreben
Diese „Folgen“ manifestierten sich, so die Projektleiterin weiter, in einem Anstieg rechter Gewalttaten und Bedrohungen. Von den 248 rechtsmotivierten, rassistischen und antisemitischen Angriffen im Jahr 2023 waren laut Jahresbericht 157 Körperverletzungsdelikte, 79 weitere Taten fielen demnach in den Bereich Nötigung und Bedrohung, womit Mord- oder Gewaltandrohungen gemeint sind. Laut Hübler hätten solche „eine zunehmende Bedeutung“, um Menschen einzuschüchtern, die als Gegner oder Feinde wahrgenommen werden.
Auch solche Fälle beschreibt der Jahresbericht. In Bautzen etwa bedrohten vermummte Neonazis Jugendliche und andere Besucher einer Lesung von Jakob Springfeld und umstellten einen Jugendclub. Besucher hatten auf dem Heimweg zudem Angst, dass ihnen die Neonazis auflauerten. In Sebnitz bedrohte ein Senior aus rassistischen Motiven eine Familie von Migranten in der Nachbarschaft mit einer Schreckschusspistole. Hübler erinnerte daran, dass Auslöser für solche Taten ein rechtes Weltbild und Dominanzstreben seien. Dort, wo Vertreter des rechten Spektrums davon ausgingen, in weiten Teilen der Bevölkerung Rückhalt zu haben, häuften sich rassistisch, antisemitisch, sozialdarwinistisch oder queerfeindlich motivierte Übergriffe.
Anstieg bei Kommunal- und Landtagswahlen
„Der Anstieg rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen ist mit Blick auf die bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen besorgniserregend“, so Hübler weiter. Die Geschäftsführerin befürchtete, dass Vertreter aus dem rechten Spektrum nahezu alle anderen als Feinde oder Gegner ansehen und es zu Angriffen kommen könnte. Zu den Opfern gehörten dann wohl Vertreter demokratischer Parteien – vor allem von den Grünen und von Die Linke. Aber es könne auch Menschen treffen „die sich angesichts der von der AfD ausgehenden Gefahr gegen Rechts und für Demokratie einsetzen.“
Gast des Pressegesprächs zur Vorstellung des Jahresberichts war auch der 2002 in Zwickau geborene Autor und Student Jakob Springfeld. Er las seinerzeit in Bautzen aus seinem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“ – auch er wurde später von der Opferberatung betreut. Er berichtete, dass er immer mehr wahrnehme, dass kommunalpolitisch Engagierte zunehmend Angst vor rechten Übergriffen hätten. Zudem radikalisiere sich die Mitte der Gesellschaft weiter. Gerade im ländlichen Raum, sagte Springfeld, nehme er eine immer größer werdende „Hürde“ wahr, dass sich Menschen überhaupt noch demokratisch oder kommunalpolitisch engagierten.
309 Beratungen im Jahr 2023
Die Opferberatung „Support“ des RAA Sachsen e.V. unterstützt und berät seit 2005 Opfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Fachstelle ist Teil des Beratungsnetzwerks im Demokratie-Zentrum Sachsen und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert. Im Jahr 2023 hat „Support“ nach eigenen Angaben landesweit in 309 Fällen Menschen beraten – dazu zählten 232 neue Betroffene, die anderen Beratungen stammten aus den Vorjahren und dauerten noch an.