Rezension
Reichsbürger mit Selbstermächtigungsphantasien – eine Deutung
Die beiden Juristen Christoph und Sophie Schönberger haben zu Reichsbürgern eine kurze Studie vorgelegt. Darin beschreiben sie die gemeinte Bewegung in komprimierter Form, legen aber auch eine interessante Deutung von ihr über deren Selbstermächtigungsphantasien vor.

Als bizarre Erscheinung gelten die Reichsbürger nach wie vor: Absonderliche Auffassungen zur Fortexistenz eines „Reichs“, Gewalttaten auch mit Todesfolge, Putschversuche gegen den demokratischen Staat prägen die öffentlichen Vorstellungen von ihnen. Doch wie kann man das gemeinte Phänomen, dem immerhin 23.000 Anhänger zugerechnet werden, bezogen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit einschätzen? Dieser Frage haben sich zwei Juristen gestellt: Christoph und Sophie Schönberger. Beide lehren Recht als Professoren an Universitäten. Ihr Buch zum Thema trägt den Titel: „Die Reichsbürger. Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung“.
Der besondere Ansatz ist im Untertitel enthalten. Es geht den Autoren darum, die Anziehungskraft zu erklären. Und dabei verweisen sie auf den Kontext von Machtfixierungen und Ohnmachtserfahrungen im Wechselverhältnis. Diese Deutung ist für Juristen etwas ungewöhnlich, löst aber gerade dadurch für das Buch entsprechendes Interesse aus. Es geht darin um eine Einführung wie um eine Interpretation des Phänomens.
Delegitimierungsfunktion einer Fortbestandslehre
Zunächst folgen die Autoren aber ihrer eigenen Berufsperspektive, wird doch die „Juristenobsession“ der Reichsbürger thematisiert. Bekanntlich beziehen sich deren Akteure auf absonderliche Deutungen von Rechtsgrundlagen, auch Bundesverfassungsgerichtsurteile mit falscher und selektiver Wahrnehmung zählen dazu. Berechtigt wird eine dortige Auffassung ironisierend kommentiert, nämlich als „das schlafende gesamtdeutsche Reich des Bundesverfassungsgerichts“.
Deutlich arbeiten die Autoren anschließend die Delegitimierungsfunktion der angesprochen Fortbestandslehre heraus, wird doch der Bundesrepublik Deutschland die Legitimation als Staat abgesprochen. Und diese Auffassung in der Ideologie hat Konsequenzen für die Praxis, was an Beispielen aufgezeigt wird, aber noch intensiver bezogen auf Potentialitäten hätte thematisiert werden können. Danach gibt es eine kurze Darstellung zur Geschichte der Reichsbürger, die in den 1980er Jahren kaum Relevanz entfalteten und ebenso wenig öffentliche Wahrnehmung auslösten. In den 1990er Jahren schien dann auch der „Spuk“ zunächst vorbei zu sein.
Besessenheit von der eigenen Subjektivität
Einzelne Fallbeispiele zeugen dann aber vom Gegenteil. Es geht dabei etwa um die Grundschullehrerin S., den bekannten Musiker Xavier Naidoo oder den „Mörder von Georgensgemünd“ Wolfgang P. Auch die Ideologie der Reichsbürger wird aufgearbeitet. Berechtigt machen die Autoren darauf aufmerksam, dass sie weder eine Einheit darstellt noch eine Systematik aufweist. Betont wird außerdem ein wichtiger Gedanke, der sich auf die Besessenheit von der eigenen Subjektivität bezieht.
Auch werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Rechtsextremismus und Reichsbürgertum im Vergleich erörtert. Hierbei fällt positiv das Differenzierungsvermögen der Schönbergers auf, was häufig in journalistischen Darstellungen zum Thema verloren geht. Einzelne Gruppierungen erfahren danach eine inhaltliche Vorstellung. Gleiches gilt für die Beschreibung des von Reichsbürgern ausgehenden Staatsstreichversuchs, einschließlich der Erinnerung an die beabsichtigte Reichstagserstürmung. Außerdem zeigen die Autoren auf, inwieweit all dies mit Verschwörungsvorstellungen zusammenhängt.
Anziehungskräfte der Reichsbürgerideologie
Abschließend geht es noch einmal ausführlicher um die angesprochene Deutung, die dann aber mitunter einen etwas psychologisierenden Eindruck macht, dabei aber eine beachtenswerte erklärende Schlussfolgerung beinhaltet: Die Biographien der Gemeinten ließen individuelle Gefühle der Ohnmacht erkennen, welche dann in die Machtphantasien des Reichsbürgertums umschlügen. Es fällt auch der Begriff „Selbstermächtigung“. Und genau der damit einhergehende Ansatz macht das Buch besonders interessant und spielt auf die erwähnte Subjektivierung an. Denn die damit in der Eigenwahrnehmung einhergehende Erhöhung erklärt wohl maßgeblich mit, warum sich auch formal gebildetere Menschen von Reichsbürgervorstellungen angezogen fühlen.
Die Autoren präsentieren ihre Betrachtung in gut strukturierter und verständlicher Weise. Ersteres erlaubt es auch, das Buch als Nachschlagewerk zu nutzen. Ihre Deutung erklärt nicht allein die Reichsbürger, was aber nicht der erhobene Anspruch der Schönbergers ist. Ansonsten verdient Beachtung: Auch in anderen politischen Milieus gibt es bedenkliche „Selbstermächtigungs“-Phantasien.
Christoph Schönberger/Sophie Schönberger, Die Reichsbürger. Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung, München 2023 (C. H. Beck-Verlag), 189 S., 18 Euro