„Vereinte Patrioten“ und „Gruppe Reuß“

Reichsbürger im Wettlauf um den Umsturz

Seit einem Jahr läuft der Terrorprozess gegen die „Vereinten Patrioten“, die mit Sprengstoffanschlägen und der Entführung von Karl Lauterbach den reichsbürgerlichen Umsturz geplant haben sollen. Der Prozess zeigt, wie gut die Szene der Reichsbürger und Corona-Leugner*innen vernetzt ist – und wie selbstverständlich man sich über Putschpläne und Waffengewalt austauscht. Auch zu den mutmaßlichen Verschwörer*innen um Heinrich XIII. Prinz Reuß gab es Kontakt.

Freitag, 17. Mai 2024
Joachim F. Tornau
Die Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ im Verhandlungssaal, Foto: picture alliance/dpa/dpa POOL | Thomas Frey
Die Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ im Verhandlungssaal, Foto: picture alliance/dpa/dpa POOL | Thomas Frey

Isabell B. entdeckte ihr Gewissen. Oder ihre Angst vor Strafverfolgung. Bei einem konspirativen Treffen in Thüringen hatte die 38-Jährige Anfang 2022 noch mit Geistesverwandten aus der Szene der Reichsbürger und Corona-Leugner*innen über einen Umsturz in Deutschland diskutiert. Über die gewaltsame Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Über das Herbeibomben eines wochenlangen Stromausfalls in Deutschland. Über die Wiedereinführung der Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871. Dann ging sie zur Polizei und schwärzte ihre Mitstreitenden an.

Die Pläne, sagte die Frau, als sie jetzt als Zeugin im Koblenzer Oberlandesgericht auftrat, seien ihrem Eindruck nach immer konkreter geworden. „Irgendwann merkt man: Das ist ernst gemeint.“ Dass sie sich den Ermittler*innen als Informantin anbot, kam in der Szene offenbar gar nicht gut an. Bei einer Demonstration von Corona-Leugner*innen in Hildesheim, berichtete Isabell B., sei sie von zwei Unbekannten bedroht worden: „Wenn du was sagst, sagst du nie wieder was.“

Weit mehr Beteiligte

Seit einem Jahr wird vor dem Koblenzer Staatsschutzsenat gegen vier Männer und eine Frau verhandelt, die als „Vereinte Patrioten“ den reichsbürgerlichen Umsturz geplant haben sollen. Und auch wenn die Angeklagten sich nach Kräften bemühen, die Pläne als bloße Gedankenspiele zu verharmlosen, die eigene Gewaltbereitschaft herunterzuspielen und die Verantwortung hin und her zu reichen: Nach mehr als 50 Verhandlungstagen darf die Frage, ob man ideologisch wirklich so verblendet sein kann, das alles sowohl für legitim als auch für machbar zu halten, wohl als beantwortet gelten: Ja, man kann.

Schwieriger zu beantworten ist eine andere Frage, die von Anfang an über dem Terrorprozess schwebt: Warum wurde allein dieses illustre Quintett – bestehend aus den beiden Ex-NVA-Soldaten Thomas O. und Sven B., dem Alleinunterhalter Michael H., der promovierten Theologin Elisabeth R. und dem Bahnarbeiter Thomas K. – als vermeintlicher Kern der „Vereinten Patrioten“ angeklagt? Denn neben ihnen gab es ganz offensichtlich eine Fülle weiterer Beteiligter oder zumindest Eingeweihter. So wie Isabell B. Oder wie ein Lokomotivführer aus Kehl, der am Donnerstag als Zeuge geladen war – und die Aussage verweigerte, um sich nicht selbst belasten zu müssen.

„Wenn es klappt, ist das die Befreiung der ganzen Nation!“

Der Prozess hat gezeigt, wie selbstbewusst sich verschiedene Gruppen von Corona-Leugner*innen, Reichsbürgern und Neonazis über ihre jeweiligen Gewaltfantasien und Umsturzpläne austauschten. Und wie sie sich gegenseitig zu übertrumpfen und anzuwerben versuchten. Auch zu den mutmaßlichen Möchtegernputschisten um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß, denen jetzt in drei Mammutverfahren der Prozess gemacht wird, standen Koblenzer Angeklagte in Kontakt.

In einem abgehörten Telefonat brüstete sich Thomas O. im Januar 2022, er lerne bald „unseren wichtigsten Mann in dieser Geschichte“ kennen: „Ich sag mal: Prinz von Reuß sagt dir was?“ In einem anderen belauschten Gespräch breitete Sven B. detailliert den Plan der „Vereinten Patrioten“ aus und löste bei seinem Gegenüber damit regelrechte Begeisterung aus: „Wenn es klappt, ist das die Befreiung der ganzen Nation!“, jubelte Matthias H. Der steht seit Ende April mit acht weiteren Angeklagten vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht, weil er laut Bundesanwaltschaft für die „Patriotische Union“ um Prinz Reuß die „Heimatschutzkompanie Nr. 221“ in Tübingen aufbauen sollte.

Ermittler stoßen auf Verbindungen

Und auch dass die Behörden der mutmaßlichen Reuß-Verschwörung überhaupt auf die Spur kamen, hat mit den „Vereinten Patrioten“ zu tun. Im März 2022 traf sich Sven B. mit dem Ex-KSK-Soldaten Peter W. aus Bayern und dem ehemaligen AfD-Kommunalpolitiker Christian W. aus Sachsen, um sie für seine Sache zu gewinnen. Zur Zusammenarbeit kam es zwar nicht, weil beide Seiten offenbar nur die eigenen Pläne anpreisen wollten. Aber dafür erfuhren die Ermittler*innen, die den Ex-NVA-Offizier und Buchhalter aus Brandenburg längst überwachten, was sich da noch so zusammenbraute.

Peter W. wird von der Bundesanwaltschaft zur achtköpfigen Führungsriege der mutmaßlichen Reuß-Putschisten gerechnet, die sich vom 21. Mai an zusammen mit der als Unterstützerin angeklagten Lebensgefährtin von Prinz Reuß in Frankfurt vor dem Oberlandesgericht verantworten muss. Christian W. ist in München angeklagt, wo der Prozess gegen acht Männer und Frauen Mitte Juni beginnen soll.

Verteidigung sieht Inszenierung

Umsturzwillige Reichsbürger werden damit immer mehr zum Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Justiz: Die drei Großverfahren gegen die „Patriotische Union“ dürften mehrere Jahre dauern. Auch in Koblenz ist es zäh und noch lange kein Ende in Sicht. Erst durfte sich Sven B., der aus unübersehbarem Stolz immer wieder bereitwillig Auskunft gibt, schier endlos in rechter Selbstgerechtigkeit ergehen. Dann dozierte die ehemalige Lehrerin Elisabeth R. über ihr zutiefst antisemitisches Weltbild, ganze sieben Tage lang ertrug das der Staatsschutzsenat. Und ebenso lang wurde schließlich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ein in die Gruppe eingeschleuster verdeckter Ermittler befragt.

Weil er einen vorgetäuschten Waffendeal einfädelte, der im April 2022 in die Festnahme der vier männlichen Angeklagten mündete, ist der Mann für die Verteidigung zentraler Angriffspunkt: Ohne ihn, behaupten sie, hätten sich die „Vereinten Patrioten“ gar nicht bewaffnet. Von einer „Inszenierung des Verfassungsschutzes“ pflegen die Angeklagten zu sprechen. Allerdings, auch das belegen abgehörte Telefonate: Ihr Interesse an Kalaschnikows und Pistolen, an Schlagringen, Schlagstöcken und Handgranaten war groß. Und sie setzten dabei offenbar keineswegs nur auf den verdeckten Ermittler.

Vater und Tochter angeklagt

So wartet in München der Neonazi Julian V. auf seinen Prozess: Der 41-jährige Ex-Soldat soll angeboten haben, Schusswaffen für die Lauterbach-Entführung in Kroatien zu besorgen. In Hamburg hat die Generalstaatsanwaltschaft einen 66-jährigen mutmaßlichen Mitverschwörer der „Vereinten Patrioten“ aus Schleswig-Holstein angeklagt, der illegal eine Waffe besessen haben soll. Weitere Ermittlungen laufen.

 

In einem Parallelverfahren zum großen „Vereinte Patrioten“-Prozess, das im April ebenfalls in Koblenz begonnen hat, sitzen jetzt schon zwei weitere mutmaßliche Beteiligte auf der Anklagebank: Robert P., ein langjähriger Ausbilder des Deutschen Roten Kreuzes in Rheinland-Pfalz, soll Stromtrassen für die geplanten Anschläge auskundschaftet haben. Er bestreitet die Vorwürfe. Die entsprechenden Fotos auf seinem Handy seien zufällig entstanden, beteuerte der 52-Jährige. Heidi O. soll die „Vereinten Patrioten“ unter anderem durch die Administration von Telegram-Gruppen unterstützt haben.

Die 33-Jährige ist die Tochter des Angeklagten Thomas O. aus dem Hauptverfahren – und schweigt, wie es auch ihr Vater vor Gericht lange getan hat. Bemerkenswert ist indes die Wahl ihrer Verteidiger*innen: Sie lässt sich nicht nur von der bekannten rechtsextremen Szene-Anwältin Nicole Schneiders vertreten, sondern auch von Peter Richter. Der Rechtsanwalt aus Saarbrücken ist führender Funktionär der Neonazi-Partei „Die Heimat“, wie sich die vormalige NPD heute nennt.

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