Geplante Entführung von Karl Lauterbach
Reichsbürger aus dem Odenwald muss ins Gefängnis
Zum vierten Mal ist ein Mitglied der als „Vereinte Patrioten“ bekannten Reichsbürger-Verschwörung verurteilt worden: Wilhelm P. muss für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Der 62-Jährige wollte in seiner Garage Waffen für die geplante Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach lagern – und verbreitete in Chatgruppen Nazi-Symbole.
Man muss als Richter genau hinhören können. Jürgen Bonk, Senatsvorsitzender am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main, kann das ganz offensichtlich. Als er am Montag das Urteil gegen ein Mitglied jener Reichsbürger-Verschwörung verkündete, die unter anderem die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant hatten, begann er mit einem Zitat aus dem letzten Wort des Angeklagten. „Es ist besser, im System zu leben als dagegen anzukämpfen“, hatte Wilhelm P. gesagt – und damit wohl Reue und Einsicht ausdrücken wollen.
Doch Richter Bonk verstand. „Da schwingt immer noch Skepsis an der Legitimität der Bundesrepublik mit“, sagte er. „Es kommt zum Ausdruck, dass Sie mit dieser Gedankenwelt noch nicht ganz gebrochen haben.“ Gemeint war die Gedankenwelt aus Reichsbürger-Ideologie, NS-Verherrlichung und einem wilden Potpourri an Verschwörungserzählungen, die den 62-Jährigen aus Gorxheimertal im Odenwald dazu gebracht hatte, sich den „Vereinten Patrioten“ anzuschließen. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens wurde der gelernte Kfz-Mechaniker nun zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Per Segelboot zu Putin
Neben der gewaltsamen Entführung des bei Corona-Leugner*innen verhassten SPD-Politikers hatten die „Vereinten Patrioten“ mit Sprengstoffanschlägen für einen wochenlangen Stromausfall im ganzen Land sorgen wollen. Ihr Ziel: die angeblich illegitime Bundesregierung zu stürzen und die vermeintlich immer noch gültige Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Wilhelm P. hatte unter anderem angeboten, seine Garage als Waffenlager zur Verfügung zu stellen. Außerdem war er bereit, mit einem Segelboot über die Ostsee zu schippern, um bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Unterstützung für den Umsturz nachzusuchen.
„Sie wussten über den Tatplan in Gänze Bescheid“, betonte Bonk. „Sie befanden sich auf der dritten, im Übergang zur zweiten Führungsebene.“ Über eine Gruppe von reichsbürgerlichen Corona-Leugner*innen namens „Kraftreich“ war Wilhelm P. mit einem der Rädelsführer der „Vereinten Patrioten“ in Kontakt gekommen – und in kürzester Zeit Feuer und Flamme. Er selbst hatte das als eine Art Hineinschlittern geschildert, befördert durch wirtschaftliche Probleme und exzessives Kiffen während der Pandemie. Doch es wirkt eher, als hätte er in den Mitverschwörer*innen seine politische Heimat gefunden.
Radikalisierung auf Telegram
Wilhelm P. teilte Chats mit Nazi-Symbolen, widersprach nicht, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe das Menschsein abgesprochen wurde, hielt persönlich Vorträge über die Verfassung von 1871. Und selbst dass die Erde eine Scheibe und der Mond ein Raumschiff sei, war Wilhelm P. nicht zu abstrus. Der Angeklagte habe sich „in den Wirren des Internets verfangen“, formulierte Richter Bonk. Vor allem aber war er auf Telegram unterwegs: 1.332 Kontakte mit über 300.000 gesendeten und empfangenen Nachrichten seien auf seinem Handy gefunden worden.
Das Facebook-Profil des Angeklagten zeigt indes, dass der Fan von Donald Trump und Wladimir Putin auch vor Corona schon kein lupenreiner Demokrat war. Da gefielen ihm die AfD und andere rechtsextreme Hetzseiten. Er teilte Beiträge gegen Geflüchtete und solidarisierte sich mit dem reichsbürgernahen Sänger Xavier Naidoo, als der 2017 seine antisemitische Verschwörungshymne „Marionetten“ veröffentlicht hatte.
Urteil bereits rechtskräftig
Wilhelm P. ist das vierte verurteilte Mitglied der „Vereinten Patrioten“. Die Strafen, die von verschiedenen Gerichten verhängt wurden, haben trotz der stets sehr ähnlich gelagerten Vorwürfe eine bemerkenswerte Bandbreite. Die Oberlandesgerichte in München und Hamburg ließen Mitverschwörer mit Bewährungsstrafen davonkommen, obwohl es in beiden Fällen auch um Waffen ging. Der bayerische Möchtegern-Umstürzler, der Neonazi Julian V., genannt „Landser“, aus Wolfratshausen, hatte sogar angeboten, tonnenweise Waffen und Munition aus einem angeblich vergessenen NATO-Depot auf dem Balkan zu besorgen – allerdings ohne dem Taten folgen zu lassen.
Dagegen schickte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen ehemaligen Bundestagskandidaten der Corona-Leugner*innen-Partei „Die Basis“ für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis: Marc G. hatte sich an Sprengstoffanschlägen auf Stromleitungen beteiligen wollen. Wobei auch diese Pläne bloß Theorie geblieben waren. Auf dasselbe Strafmaß hatte im Frankfurter Prozess gegen Wilhelm P. die Generalstaatsanwaltschaft plädiert, das Gericht blieb jedoch darunter – und unterbot damit sogar noch die Forderungen der Verteidigung. Der Staatsschutzsenat rechnete es Wilhelm P. hoch an, dass er schon im Ermittlungsverfahren alle Vorwürfe eingeräumt hatte. Weil sowohl Angeklagter als auch Anklagebehörde auf Rechtsmittel verzichteten, wurde das Urteil noch im Gerichtssaal rechtskräftig.
Mutmaßlicher Haupttäter spricht von „wahnsinnigen Ziele“
Gegen sieben weitere Mitglieder der „Vereinten Patrioten“, darunter die mutmaßlichen Köpfe der Verschwörung, wird noch in zwei parallelen Prozessen in Koblenz verhandelt, zum Teil bereits seit anderthalb Jahren. Nach langem Schweigen hat hier mittlerweile auch der als Haupttäter geltende Thomas O. ein Geständnis abgelegt. Anders als die meisten seiner ehemaligen Mitstreiter*innen verzichtete der 57-Jährige aus Neustadt an der Weinstraße dabei auf Beschönigungen oder ideologische Rechtfertigungen. Er bestätigte, dass die Reichsbürger-Vereinigung zum Erreichen ihrer, wie er sagte, „wahnsinnigen Ziele“ Tote und Verletzte in Kauf genommen hätten. Er schäme sich dafür und wolle die „volle Verantwortung“ übernehmen.
Zu den vielen, die die Anklagebehörden für weniger schuldlos halten als sie sich selbst, gehört auch eine Frau, die in Koblenz als Belastungszeugin ausgesagt hatte. Die 38-Jährige aus dem Raum Hildesheim hatte sich als bedrohte Verräterin dargestellt, wurde jetzt aber trotzdem von der Generalstaatsanwaltschaft Celle angeklagt: Isabell B. habe zumindest anfangs an Treffen der „Vereinten Patrioten“ teilgenommen und dabei unter anderem Nahkampfausbildungen angeboten. Im kommenden Jahr könnte der Prozess beginnen. Noch hat das zuständige Oberlandesgericht Celle aber nicht über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung der Hauptverhandlung entschieden.