Publikation

Rechtsrock in Baden-Württemberg: Strukturen und Akteure

Erstmals ist eine detaillierte Publikation zu rechtsextremer Musik in Vergangenheit und Gegenwart in Baden-Württemberg erschienen. Autor von „Rechtsrock in Baden-Württemberg“ ist der investigative Fachjournalist Timo Büchner. Als Herausgeber fungiert die Landeszentrale für politische Bildung.

Freitag, 14. Oktober 2022
Anton Maegerle
Cover der Publikation "Rechtsrock in Baden-Württemberg, Foto: Recherche Nord
Cover der Publikation "Rechtsrock in Baden-Württemberg, Foto: Recherche Nord

Seit über 40 Jahren spielt rechtsextreme Musik, leider unter der verharmlosenden Bezeichnung „Rechtsrock“ bekannt, in der in sich noch zersplitterten extremen Rechten eine bedeutende
Rolle. Grundsätzlich bezeichnet Rechtsrock – in all seinen Spielarten – eine Musik mit extrem rechten Inhalten. Die erste Band in der Bundesrepublik, die extrem rechte Inhalte mit moderner Rockmusik verknüpfte, wurde 1977 in Baden-Württemberg gegründet. Die Bandmitglieder von Ragnaröck (Raum Ludwigsburg), der „Götterdämmerung“ in der nordischen Sage, stammten aus dem Umfeld der NPD.

In den 1980er- und 1990er-Jahren folgte die Gründung zahlreicher Bands, darunter 1987 die Blood & Honour-(B&H) nahe Band Noie Werte, die in der Geschichte des deutschen Rechtsrock zu einer der einflussreichsten Bands wurde. B&H-Gründer war der Brite Ian Stuart Donaldson, Sänger der Neonazi-Band Skrewdriver. Die Band spielte acht von 12 Konzerten, die in Deutschland stattgefunden haben, im Südwesten, so die Recherchen des Fachjournalisten. Aus Baden-Württemberg kam auch die Band Race War. Race War war nach Landser die zweite Rechtsrock-Band in der deutschen Justizgeschichte, die als Bildung einer kriminellen Vereinigung verboten wurde.

Musikveranstaltungen über zehn Jahre ausgewertet

Rechtsextreme Musik ist Werbemittel, Ideologieträger und Finanzierungsinstrument gleichermaßen. Sie war und ist die „Begleitmusik zu Mord und Totschlag“ und beförderte die Radikalisierungsprozesse des NSU-Milieus in den 1990er Jahren. Musikveranstaltungen dieser Art sind Erlebnis- und zugleich Rückzugsräume fernab der kritischen Öffentlichkeit, so der Autor. Die Hotspots der Szene sind mit Thüringen und Sachsen im Osten Deutschlands.

Inhaltsverzeichnis "Rechtsrock in Baden-Württemberg"
Inhaltsverzeichnis "Rechtsrock in Baden-Württemberg"

Die Publikation „Rechtsrock in Baden-Württemberg“ wirft Schlaglichter auf Ursprünge, Themen, Inhalte und Musikstile im Rechtsrock. Zudem geht Büchner der Frage nach, welche Akteure im Land aktiv sind, wie sie sich vernetzen und wie sie ihre Musik produzieren und vertreiben. Akribisch ausgewertet hat der Autor die extrem rechten Musikveranstaltungen, die zwischen 2010 und 2020 in Baden-Württemberg stattgefunden haben. Hinsichtlich der Produktions-und Vertriebsstrukturen teilt er mit, dass die Neonazi-Szene über rund zwei Dutzend Labels und rund 80 Vertriebe in Deutschland verfügt. Baden-Württemberg selbst hat nach Kenntnis von Büchner in den Produktions- und Vertriebsstrukturen „keine (sichtbare) Relevanz.“ Den Recherchen  schließen sich Überlegungen und Anregungen an, wie Staat und Gesellschaft gegen Rechtsrock agieren können.

Interview mit Undercover-Journalist

Im Rahmen seiner Recherchen hat Büchner auch Interviews mit dem Undercover-Journalisten Thomas Kuban und dem politischen Filmemacher Peter Ohlendorf geführt. Ohlendorf hat den Dokumentarfilm „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ veröffentlicht. Grundlage des Films waren die Aufnahmen von Kuban. Inzwischen wurde der Film über 2.000 Mal gezeigt und erreichte ein Publikum von weit über 100.000 Menschen. Kuban war seit den frühen 2000er-Jahren mit einer versteckten Kamera unterwegs, um heimliche Aufnahmen von extrem rechten Musikveranstaltungen zu machen. Der Journalist filmte knapp 50 Rechtsrock-Konzerte. Ungefähr 30 der 50 Konzerte wurden konspirativ organisiert. So standen am 4. Oktober 2003 im französischen Elsass die beiden Neonazi-Bands Noie Werte und Race War auf der Bühne. Es war das erste Konzert, das der Journalist mit einer versteckten Kamera gefilmt hat. „Ein gelungenes Rechtsrock-Konzert ist eine Goldgrube, da werden Umsätze im solide sechsstelligen Bereich gemacht“, so Kuban im Interview mit Büchner.

Büchner und die herausgebende Landeszentrale für politische Bildung wollen mit der informativen und flott geschriebenen Broschüre aufklären und sensibilisieren. Verdeutlicht soll werden: Rechtsrock ist an vielen Orten präsent – und weghören und wegschauen sollten keine Optionen sein.

Broschüre "Rechtsrock in Baden-Württemberg" (2022, 40 Seiten, ISBN: 978-3-945414-90-3) Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Autor: Timo Büchner. Die Broschüre kann ab sofort auf der Seite der Landeszentrale bestellt werden.

Kategorien
Tags
Schlagwörter