Reservisten

Rechtsextreme „Heimatschützer“ bei der Bundeswehr

Unter großer Geheimhaltung liefen in Niedersachsen Ermittlungen gegen eine militärische Untergrundgruppe – im Grunde gegen „Heimatschützer“ der Bundeswehr. Die Vorwürfe gegen den Kompaniechef und seine Truppe wurden eingestellt, Waffenverstöße blieben.

Montag, 23. September 2024
Andrea Röpke
Jens G. (links) auf einem Militaria-Treffen, Foto: isso.media
Jens G. (links) auf einem Militaria-Treffen, Foto: isso.media

Der Festakt in der Theodor-Körner-Kaserne in Lüneburg begann um exakt 10:20 Uhr. Unter Anwesenheit des damaligen Standortkommandanten Christian Freuding, heute Generalmajor im Führungsstab des Verteidigungsministeriums und Leiter des Lagezentrums Ukraine, fand am 13.9.2013 der Aufstellungsappell einer der drei ersten „Heimatschutz“-Kompanien der Bundeswehr in Niedersachsen statt. Selbstgewähltes Motto: „Wir dienen Deutschland – Landwehr voran!“

Ausgerechnet Oberstleutnant der Reserve, Jens G., wurde das Kommando über die Zivilistenkompanie übertragen. 2013 hätte G., Fahrtenname Trüffel, dem Verfassungsschutz längst bekannt gewesen sein müssen. G. wurde als junger Mann im rechtsbündischen „Deutsch Wandervogel“ radikalisiert, einem Bund, der von einem ehemaligen Waffen-SSler angeführt wurde. Seine Name tauchte im Semesterprogramm als Schriftwart der rechtsextremen Burschenschaft Danubia 1994/1995 auf.

Aufruf gegen Entlassung von Götz Kubitschek unterzeichnet

Als 2001 Bundeswehr- und Reserveangehörige gegen die Entlassung der damaligen Bundeswehroffiziere Götz Kubitschek und Peter Felser, mittlerweile Bundestagsabgeordneter der AfD, wegen eines Buches über den Bosnien-Krieg protestierten, unterzeichnete auch G. den Appell in der rechten „Jungen Freiheit“. 2002 nahm er an einer Sonnenwendfeier der inzwischen verbotenen, verfassungsfeindlichen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ und 2004 an einem „Ordenstreffen der Ritterkreuzträger“ des Dritten Reiches teil.

G.s Faible für die NS-Zeit und deren Kübelwägen war auch in seiner Reservisten-Kreisgruppe Hannover aufgefallen. Doch G. sei bestens „sozial vernetzt“, kannte sich erstklassig mit „dem Zusammenbauen von Waffen“ aus und hat „sogar mal Geschichte studiert“, berichtet ein Insider. Das schien ihn für die militärische Ausbildung von ZivilistInnen zu qualifizieren.

„Gleichgesinnte“

Nach der offiziellen Feierlichkeit der „Indienststellung“ zogen sich die von der Bundeswehr überprüften und „beorderten“ Mitglieder der neuen „Heimatschutzkompanie“ und deren Gäste ins Offiziersheim zu Übernachtung und Umtrunk in die Kaserne zurück. Dabei war auch ein Gast, der Zuhause am Deich im Landkreis Harburg nicht nur massenhaft Munition und Waffen hortete, sondern in einem eigens eingerichteten Zimmer auch Adolf Hitler, Heinrich Himmler und weiteren NS-Schergen huldigt.

Der Freund von Jens G. lud den Kompaniechef und etwa ein Dutzend weiterer Heimatschützer am nächsten Tag zu sich nach Hause zum Essen ein. Es seien „Gleichgesinnte“ aus der „RSU RK Nordheide“ gewesen, behauptet einer der Anwesenden. Der Militärsammler habe ihnen sein riesiges Waffenarsenal gezeigt. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg bestätigt: „Es ist richtig, dass es ein Treffen aus Anlass der Gründung der Gruppe in rechtsverjährter Zeit in Seevetal-Hörsten gegeben hat.“ 2023 durchsuchte die Gemeinde Seevetal als Untere Waffenbehörde die Räumlichkeiten und stellte eine „nicht unerhebliche Menge an Waffen“ sicher. Die Ermittlungen laufen.

Rechte der „Heimatschutzkompanie“ treffen sich

Dieses Sympathisanten-Treffen am 14. Juni 2013 scheint den Grundstock zur Bildung einer geheimen rechten Verschwörergruppe unter Führung von Völkischen gebildet haben. Acht Jahre später, 2021, nahmen das Landeskriminalamt Niedersachsen und die Staatsanwaltschaft Lüneburg Ermittlungen gegen 13 Personen auf, denen zu Last gelegt wurde, unter Führung vom Oberstleutnant der Reserve, G., eine Wehrsportgruppe gebildet zu haben, über Anschläge gegen Migranten gesprochen und gegen das Kriegswaffenkontroll- und Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben.

Hinweise des Bundesamtes für den militärischen Abschirmdienst (MAD) sowie Erkenntnisse der Polizei hätten demnach 2021 zur Aufnahme der Ermittlungen zunächst auch wegen Terrorverdachts gegen die sogenannte „Neigungsgruppe G.“ und diversen Hausdurchsuchungen geführt. Ein extrem rechter Referent im Bundesverteidigungsministerium, Alexander B., schlagender Burschenschafter, verlor in dem Zusammenhang seinen Posten.

Überschneidungen zwischen „Neigungsgruppe G.“ und „RSU KR Nordheide“

Jens G. unterhielt auffällig viele Kontakte ins Ministerium, wie der Spiegel berichtete. Auch sein Facebook-Profil gab Bekanntschaften in die Bundeswehrspitze preis. Man kennt sich auch aus rechten Bünden und Burschenschaften, hält Kontakt über völkische oder Reservisten-Feiern. Die „Neigungsgruppe G.“ beteiligte sich an militärischen Wettkämpfen. Der von der Staatsanwaltschaft Lüneburg erhobene Verdacht, es habe Wehrsportübungen in Hameln gegeben, ließ sich jedoch nicht erhärten.

Auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) räumte der Parlamentarische Staatssekretär im Berliner Verteidigungsministerium, Thomas Hitschler, daraufhin ein, dass „eine hohe einstellige Zahl an Personen, die vom Ermittlungsverfahren gegen die „Neigungsgruppe G.“ betroffen waren, „zeitgleich der Heimatschutzkompanie „RSU KR Nordheide“ angehörten. Bei einer niedrigen einstelligen Zahl an Personen wurden erfolgreich abgeschlossene Sicherheitsüberprüfungen „im Nachhinein aufgehoben“. Landeskriminalamt Niedersachsen und die zuständige Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelten folglich gegen Mitglieder des „Heimatschutz“ der Bundeswehr. Ein empfindliches Thema.

Völkische Freunde im „Heimatschutz“

Kübelwagen-Fan G. gehörte auch zu einer Gruppe von Militärfahrzeugliebhabern, die sich in der Oertzetal-Kaserne in Munster 2015 trafen. Unter ihnen einer in SS-Uniform. Auch mit dabei war G.s Freund, Stabsunteroffizier der Reserve Christian G. aus Wriedel. Christian G. nahm wie G. an der inoffiziellen Nachfeier der „Heimatschutzkompanie“ am Deich in Seevetal teil.

G. gilt selbst unter Reservisten und Militärfahrzeug-Fans als Hardliner. Gegen ihn ermittelte die Staatsanwaltschaft Lüneburg zunächst im Zusammenhang mit der „Neigungsgruppe“, dann wegen Waffenverstößen. Christian G.s Lebensgefährtin aus Minden, Maren D., ist Waffenliebhaberin wie er und gehörte zur rechtsextremen Kameradschaftsszene. Sie war in der Vergangenheit mit einem der führenden „Blood & Honour“-Aktivisten liiert.

Der dritte im Bunde um Jens G. ist ebenfalls „beorderter“ „Heimatschutz Nordheide“-Reservist: Wolfgang F. aus Boitze. F. gilt heute als einer der wichtigen Köpfe der sogenannten rechtsextremen „Völkischen SiedlerInnen“ in der Lüneburger Heide. F. organisierte den völkischen „Maitanz“ in Edendorf bei Uelzen jahrelang mit. Dort tauchten auch die Reservistenfreunde auf.

Kein Terrorverdacht gegen rechtsextremen Offizier der Reserve

Unauffällig schied G. als Kompaniechef der „RSU RK Nordheide“ nach 2014 aus, Wolfgang F., nur „Mannschafter“ im unteren Rang, dagegen blieb noch jahrelang dabei, heißt es vertraulich. 2021 wurden dann die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen die zum großen Teil aus Mitgliedern der „Heimatschutzkompanie RSU RK Nordheide“ bestehende konspirative „Neigungsgruppe G.“ bekannt.

„Ich habe mit Reservisten nur Reservisten-Dinge getan, im Rahmen meiner dienstlichen – wie soll ich sagen – Dinge und das war´s“, hatte Jens G. dem Politik-Magazin „Kontraste“ Anfang 2021 gesagt. Der Kreisvorsitzende der hannoverschen Reservisten, Dirk Kemmerich, zeigte sich gegenüber „Kontraste“ erschüttert über die Vorwürfe gegen G. und zwei weitere seiner Reservisten aus dem Raum Hannover. Die beschuldigten Uniformträger wurden damals von ihren Mandaten entbunden.

Kemmerich betonte gegenüber den Medien, dass die „Neigungsgruppe G.“ sich im privaten Rahmen vernetzt haben müsste. Von der engen Verbindung zum „Heimatschutz Nordheide“ war nicht die Rede. Über das Ermittlungsverfahren und die Ergebnisse der Razzien gegen die mutmaßliche militärische Untergrundgruppe sickerten erstaunlich wenig Informationen durch. Schließlich hieß es 2023 vonseiten der Staatsanwaltschaft Lüneburg, die Verfahren gegen die 13 Beschuldigten seien „mangels hinreichenden Tatverdachts oder aus Opportunitätsgründen“ eingestellt worden. Eine Verschwörergruppe hat es demnach nicht gegeben.

Urteile wegen Waffenverstößen

Waffenverstöße gegen G. und Teile seiner 13-köpfigen privaten Truppe wurden jedoch weiter verfolgt. Auf Nachfrage gibt die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Lüneburg jetzt an, dass allerdings „im weiteren Sinne aus diesem Kontext heraus“ zwei Verfahren, darunter ein Reservist, wegen unerlaubten Waffenbesitzes anhängig seien. Drei Ermittlungsverfahren seien an die Staatsanwaltschaft in Hannover weitergegeben worden, eines nach Detmold und eines nach Berlin. In Berlin lebt inzwischen einer der ehemaligen Beschuldigten der G.-Gruppe. 2010 wollte Kay S. in die NPD in Niedersachsen eintreten, seit 2016 ist er AfD-Mitglied in Brandenburg.

Jens G. wurde vom Amtsgericht Burgwedel zu einer Geldstrafe nach dem Waffen- und Sprengstoffgesetz verurteilt, ihm wurde nachgewiesen, Munition, Gehäuseteile eines Gewehrs und einen sogenannten „Polenböller“ besessen zu haben. Ein anderer aus der „Neigungsgruppe“, ein Stabsgefreiter der Reserve, wurde vom Amtsgericht Burgwedel im Oktober 2023 wegen Verstößen u.a. gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die beiden Urteile sind rechtskräftig. Letzterer ist trotz Verurteilung weiterhin als Fotograf für die Reservisten-Kreisgruppe Hannover unter Dirk Kemmerich tätig.

Problem: Rechte Reservisten

„Heimatschutzkompanien“ der Bundeswehr bestehen seit 2012 und sollen kritische Infrastrukturen schützen, während die kämpfende Truppe an der Front im Einsatz ist. TeilnehmerInnen der „Heimatschutzkompanien“ der Bundeswehr müssen mindestens 17 Jahre alt sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Sie absolvieren dann einen siebenmonatigen Crash-Kurs an der Waffe.

Zwischen 2021 und 2023 wurden 60.142 freiwillig Wehrdienstleistende für den „Heimatschutz“ sogenannten Soldateneinstellungsüberprüfungen durch den MAD unterzogen. Dieser Freiwilligendienst speist sich vor allem aus den Reservistenkameradschaften. 2021 gab der MAD an, rund 1.200 Personen innerhalb der ehemaligen Soldatenschaften seien als rechtsextreme Verdachtsfälle eingestuft worden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg kritisierte als Präsident des Verbands der Reservisten der Bundeswehr mit 115.000 Mitgliedern die Recherche des Geheimdienstes. Der Jura-Professor behauptete gegenüber dem FOCUS: „Nicht ein einziger dieser Fälle würde einer rechtlichen Überprüfung standhalten.“ Von „Übertreibung“ war im Artikel die Rede.

Der AfD zugeneigt

Im April 2022 berichtete die Frankfurter Rundschau: „AfD-Rechtsaußen führt die Reservisten der Bundeswehr an“. Das Bundesministerium für Verteidigung gab daraufhin in einer Kleinen Anfrage von Martina Renner an, dass es zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 30. April 2022 2.400 „Sachverhalte“ mit Hinweisen auf Rechtsextremismus bei ReservistInnen an den MAD gegeben habe. Grundsätzlich sei dafür aber das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig, Reservistenverbände unterliegen nicht der Wehrüberwachung.

Die Kreisgruppe Ahlhorn im Landeskommando Niedersachsen des Reservistenverbandes lud im Herbst 2023 zur „Waffen- und Geräteausbildung“. Die Leitung der Ausbildung in der Delmetal-Kaserne in Delmenhorst hatte ein Hauptfeldwebel der Reserve, Tammo R. Auf Facebook macht R. keinen Hehl aus seiner Wut auf die Regierung, zeigt dagegen Begeisterung für die AfD und deren PolitikerInnen wie Alice Weidel oder Karsten Hilse.
Reichsbürger-Reservisten gründeten eigene Heimatschutzkompanien

Angelehnt an den Freiwilligendienst der Bundeswehr gründete auch der „militärische Arm“ der mutmaßlichen Terrorgruppe um Prinz Heinrich XIII. Reuß in Niedersachsen sogenannte Heimatschutzkompanien. Zum Kern der Verschwörergruppe gehören ehemals hochrangige Elitesoldaten.
„Militärische Heimatschutzkompanien“ sollten im Falle eines gewaltsamen Umsturzes die Macht sichern, heißt es vonseiten der Anklage gegen Reuß und Mitbeschuldigte. Vor den Verhaftungen der mutmaßlichen RechtsterroristInnen hatten sie damit begonnen, gleichgesinnte ZivilistInnen durch hochrangige ReservistInnen in ihren Reichsbürger-Reihen anzuwerben. Bei den Razzien der Gruppe Reuß, die sich in Mammutprozessen vor den Oberlandesgerichten in Stuttgart, Frankfurt und München verantworten muss, fand die Polizei 273 Schusswaffen und 44.000 Patronen.

„Offenbar keine Fehlerkultur“

Die Linken-Innenexpertin Martina Renner warnt: „Bundeswehr und Reservistenverband versagen im Umgang mit Reichsbürgern, Nazi- und SS-Fans in Ihren Reihen. Dem MAD ist überhaupt nicht bewusst, welche Anziehungskraft Heimatschutzkompanien auf die extreme Rechte haben. Nicht umsonst heißen die militärischen Einheiten um Prinz Reuß genauso. Die Sicherheitsüberprüfungen bei der Bundeswehr stehen bereits seit Beginn des Prozesses gegen den rechtsextremen Elitesoldaten Franco A. in der Kritik.“

Renner zieht ein Fazit aus Erfahrungen der letzten Jahre: „Offenbar gibt es keine Fehlerkultur und wahrscheinlich kann auch niemand sagen, ob die Beschuldigten solcher und ähnlicher Strafverfahren weiterhin waffenrechtliche Erlaubnisse haben und an welchen für Anschlagsplanungen relevanten Übungen der Bundeswehr sie teilgenommen haben.“

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