„Vernunftkraft“

Rechter Anti-Klima-Lobbyismus

Nach den Bauernaufständen weitet sich die Protestbewegung auch in Richtung Anti-Windkraft-Bewegung aus. In Niedersachsen verbünden sich Kandidaten der „Freien Wähler“ mit dem dubiosen Verein „Vernunftkraft e.V.“

Mittwoch, 20. März 2024
Andrea Röpke
Der Verein "Vernunftkraft" kritisiert die aktuelle Energiepolitik, weist aber teils dubiose Verbindungen auf, Foto: Joachim S. Müller, CC BY NC SA 2.0
Der Verein "Vernunftkraft" kritisiert die aktuelle Energiepolitik, weist aber teils dubiose Verbindungen auf, Foto: Joachim S. Müller, CC BY NC SA 2.0

Echter Naturschutz klingt anders. Im urigen Blattpavillon der „Deutschen Lehranstalt für Agrartechnik“ (DEULA) im niedersächsischen Nienburg sorgte sich Prof. Dr. Fritz Vahrenholt darum, dass durch die umweltpolitische Energiewende und Anstieg von Windkraft eine Wirtschaftsflaute einsetzen könnte, die schließlich Deindustrialisierung und Abwanderung energieintensiver Industrien aus Deutschland zur Folge habe. Am 14. März referierte der seit langem umstrittene SPD-Politiker gemeinsam mit dem Sprecher von „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ (LsV), Anthony Lee, zum Thema „Die Energiewende – Chance oder Risiko ?

Die Veranstaltung war mit Anzeigen in den Lokalzeitungen beworben worden. Die Anmietung bei der DEULA hatte laut Recherchen der Zeitung „Die Harke“ der Steimbker Unternehmer Helmut Bohnhorst übernommen. Bohnhorst ist Anteilseigner des Hamburger Sportverein (HSV) und in der Agrar- und Landhandelsbranche tätig. „Die Harke“ hatte einen ganzseitigen kritischen Bericht zu der Veranstaltung im Vorfeld veröffentlicht. Denn Fritz Vahrenholt ist nicht nur wissenschaftlich umstritten. Der ehemalige Hamburger Umweltsenator zählt zu den erklärten Windkraftgegnern, die vor allem im rechtsoffenen Spektrum viel Anklang finden. Als „Faktenhammer gegen Klima-Wahn“ wird sein Buch mit dem Titel „Die große Energie-Krise“ von der rechtsextremen Zeitschrift „Compact-Magazin“ gepriesen.

Zu Gast bei AfD-Stiftung DES

Vahrenholts Berechnungen zielen ab auf ein Laienpublikum, warnt Victor Brovkin vom MPI Hamburg, einer der weltweit führenden Experten für den Kohlenstoffkreislauf der Erde. Den rund 100 Zuhörer*innen setzte der Redner unendliche Zahlenkolonnen und Tabellen vor, die immer wieder auf die Not der Industrie und die Infragestellung einer Klimakatastrophe anspielten. Er präsentierte eine Weltkarte zum „Blattwachstum zwischen 1982-2009“ und verkündete hinsichtlich der globalen Erwärmung „die Erde wird grüner, die Vegetation nimmt zu“. „Die Früchte werden größer, (..) wir sehen, wie schön das zuwächst, die Sahel-Zone. Eigentlich ein schönes Bild.“ Nur etwa der Hälfte der Anwesenden klatschten. Vahrenholt daraufhin: Er wolle das CO2 nicht verharmlosen, aber solche Dinge müssten die Menschen auch mal kennenlernen. Der Autor wirbt letztlich in Nienburg für Kernenergie, Kohle- und Gaskraftwerke, so steht es auf seinen Tafeln. Das seit 2017 in der Bundesrepublik verbotene Fracking solle wieder ermöglicht werden, denn in Niedersachsen gäbe es einen riesigen unterirdischen „Erdgas-Schatz“. Das kam bei zahlreichen Gästen an dem Abend nicht gut an. Von Fracking Betroffene meldeten sich kritisch zu Wort, nicht wenige verließen vorzeitig den Raum.

Obgleich Fritz Vahrenholt als einer der Pioniere der industriellen Windkraft gilt, plädiert er heute eher dafür, keine weiteren Anlagen ans Netz zu bringen. Als Politiker genehmigte er 1996 die erste an der A1. Er war Manager beim Ölkonzern Shell, bevor er zum Windkraftanlagen-Hersteller RePower und schließlich in die Ökoenergie-Sparte des Energieriesen RWE wechselte. Nach dem Supergau im japanischen Atomkraftwerk Fukshima verlor der Konzern den Kampf um längere Laufzeiten für Nuklearenergie. Inzwischen publiziert Fritz Vahrenholt Bücher mit Titeln wie „Unerwünschte Wahrheiten“, wettert gegen die Medien und referierte bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung zum Thema „Macht der Klimawandel Pause?“

Energiewende-Populismus

Vor einem „Energiewende-Populismus“ warnen die Autor*innen Beate Küpper und Fritz Reusswig in dem 2022 erschienenen Artikel „Tyrannei der Minderheit?“ für die Bundeszentrale für politische Bildung. Klimaschutz sei in Darstellungen oft das Projekt einer korrupten politischen Elite, die ohne Mandat und gegen die Interessen der Mehrheit die Energiewende von oben durchsetze und dem Volk die Mehrkosten dafür aufbürde – in Gestalt von Ökostrom-Umlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Landschaftszerstörung durch Windkraftanlagen oder Belastungen durch Lärm und Ultraschall. Zu dieser Elite zählten neben der Bundesregierung „willfährige“ Landesregierungen, Energieagenturen und Genehmigungsbehörden. Diese verträten die Interessen einer gesellschaftlichen Minderheit, die aus einer vermeintlichen Klimahysterie heraus die bewährte Energieversorgung infrage stelle und damit den Wohlstand des Landes gefährde.

„Freie Wähler“ im Hintergrund

Während Vahrenholt referiert, halten sich zwei Politiker im Hintergrund: Anthony Lee und Christian Lohmeyer. Lee aus dem niedersächsischen Weserbergland kandidiert im Juni für Hubert Aiwangers „Freie Wähler“ zur Europawahl, Lohmeyer hat den Kreisverband der „Freien Wähler“ im Landkreis Nienburg mitgegründet. Dabei ist auch er – wie Lee – durch die Bauernproteste bundesweit bekannt. Als cholerisch auftretender Schafzüchter und Agrar-Blogger macht er ordentlich Stimmung beim Landvolk. Lohmeyer schaffte es mit seinem Kampf gegen den Wolf bis in die Sendung von Markus Lanz. In Nienburg aber wollen sie nicht offen für die „Freien Wähler“ auftreten. Lee wiegelt geradezu ab, er sei „heute Abend nicht wegen seiner Kandidatur hier“ und wolle niemanden überzeugen, ihn zu wählen – „überhaupt nicht, um Gottes Willen“. Doch die Veranstaltung wird von ihm und Lohmeyer live gestreamt und über 2.000 Menschen schauen zu. Vahrenholt ruft irgendwann doch noch dazu auf, Lee zu wählen. Und die Veranstaltenden fordern die Gäste auf, sich in eine Unterschriftenliste der „Freien Wähler“ gegen das Gendern einzutragen. „Kein Zwang zu falschem Deutsch. Stoppt das Gendern für Niedersachsen!“ heißt es und etwas kleingedruckter: Gendersprache sei diskriminierend, integrationsfeindlich und voller Vorurteile. „Auch erschwert sie die sprachliche Integration von Migranten.“

Anti-Windkraft-Lobbyismus mit rechtsextremer Unterstützung

Während Fritz Vahrenholt sein neues Buch bewerben und die „Freien Wähler“ im Norden expandieren möchten, hat eine weitere Organisation Interesse an neuen Netzwerken: die Bundesinitiative „Vernunftkraft“. Im Auftrag des niedersächsischen Ablegers hat Heinz-Christian Gresens aus Cuxhaven die Veranstaltung in Nienburg eröffnet. Gresens ist erklärter Windkraftgegner seit sein denkmalgeschützter Gutshof vor Jahren mit „Windmühlen umstellt“ werden sollte. Gresens klagte erfolgreich für den Abriss und gründete 2013 den Verein Vernunftkraft mit.

Die Initiative sei inzwischen in allen Bundesländern aktiv, mit ein „paar Kontakten in Berlin“. Er lernte Professor Vahrenholt kennen, der habe sich bereit erklärt, diese Vorträge zu machen. Auf der Homepage von „Vernunftkraft“ wird Vahrenholt als Unterstützer aufgeführt. „Jetzt werden wir von allen, die Haus und Hof verlieren aufgrund der Energiewende um Hilfe gebeten, das tun wir auch“, sagt Gresens. Laut Lobby-Control ist „die Bundesinitiative Vernunftkraft ein Dachverband von Anti-Windkraft-Initiativen und ihren Landesverbänden, der sich für die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und den Stopp des subventionierten Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik einsetzt.“

Rechtsextreme Tarnorganisation oder Lobby-Verein ?

Bei Facebook postet die niedersächsische Landes-Organisation auch AfD-Hetze: „Grünen-Plan bedeutet das Ende des Eigenheims“. Der gemeinnützige Verein kümmert sich um Verbreitung von Wissen „um technische, ökonomische und ökologische Zusammenhänge auf dem Gebiet der Energiepolitik“, heißt es auf der Homepage. Die Dachstruktur werde von angeblich bundesweit 900 Bürgerinitiativen getragen. Der Verein unterstütze sie vor Ort mit ehrenamtlich engagierten Verfechtern einer „vernünftigen Energiepolitik“. Bevorzugte Medien scheinen der Radiosender Kontrafunk, Tichys Einblick oder The Epoch Times zu sein. Eine „Vernunftkraft“-Akteurin ist Kreisvorsitzende der AfD Ammerland. Die damalige Vereins-Kassenwartin war 2019 AfD-Kandidatin bei der Kommunalwahl in Brandenburg.

2023 wurde eine „Vernunftkraft e.V. -Tour“ mit dem Autor des Buches „Klimadämmerung“ massiv im Telegramkanal von „Freies Thüringen“ beworben. Diese Vernetzungsplattform und ihre Protagonist*innen hegen enge Kontakte u.a. zu den rechtsextremen „Freien Sachsen“ oder in die Reichsbürger-Szene. Die Vortragsreise mit dem Titel „Windkraft: Fluch und Segen“ wurde von Andreas S. begleitet, einem sogenannten „Waldbürger“. Die Mobile Beratung in Thüringen stuft die „Waldbürger-Initiative“ „als rechtsoffenes Protest-Spektrum mit Anbindung an die Reichbürger-Szene“ ein.

Völkische Siedler*innen

Der Verein „Schöne Harzer Heimat“ gibt an, Bestandteil der „Vernunftkraft“-Bewegung zu sein. Diesem Verein, der im Harz massiv Stimmung gegen Windkraft macht, gehört die völkische Siedlergemeinschaft „Weda Elysia“ aus Wienrode an, die vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden.

Update, 21.03.2024

Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von „Vernunftkraft“, Christoph Canne, hat ENDSTATION RECHTS. kontaktiert bzgl. eines im Text erwähnten Posts auf Telegram. Laut seiner Aussage stamme dieser nicht von ihm, es handle sich um eine Form von Identitätsdiebstahl. Wir haben die Passage vorerst entfernt.

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