Reichsbürger

Putsch oder PR?

In Hannover treffen sich erneut sogenannte Reichsbürger in einem Theater im Zentrum der Stadt. Mit dabei einer der Beschuldigten der jüngst aufgeflogenen Untergrundgruppe.

Montag, 19. Dezember 2022
Andrea Röpke
Im Leibniz-Theater kamen mehrfach Reichsbürger und Anhänger zusammen, Foto: isso.media
Im Leibniz-Theater kamen mehrfach Reichsbürger und Anhänger zusammen, Foto: isso.media

Joachim Hieke begrüßt in seinem Leibniz-Theater eine illustre Runde: Zu seiner Rechten sitzt, „allseitsbekannt, der liebe Hajo Müller“, daneben Matthes Haug und „der liebe Björn von der Familie der Auen“. Am 13. Dezember, nur wenige Tage nach der Großrazzia der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen eine rund 50-köpfige Verschwörergruppe von Reichsideologen, stehen im Theatersaal in der Hannoveraner Kommandanturstraße Putsch, Reichsbürger und 1871 auf dem Programm. Es ist keine kritische Veranstaltung, sondern eine der Szene.

94 legale und rund zehn illegale Waffen wurden bei den Angehörigen der sogenannten „Patriotischen Union“ oder auch „Neue Deutsche Armee“ genannt, festgestellt – darüber hinaus gibt es Hinweise auf Goldbarren im Wert von sechs Millionen Euro. Die Gruppe von Reichsbewegten um den 71-jährigen Immobilienhändler Heinrich XIII. Prinz Reuß soll für den Tag X einen Staatsstreich geplant haben.

„Morgens um sechs, Tür eingetreten, Rahmen kaputt“

Mit Matthes Haug nimmt an diesem Tag sogar einer der aktuell Beschuldigten teil, er wird mit Applaus in Hannover begrüßt. Hans-Joachim Müller, genannt Hajo, wird ebenfalls stolz von seiner Bekanntschaft zu Prinz Reuß berichten. In der Telegramgruppe „Startpunkt zur Freiheit“ mit 1.244 Mitgliedern wird ein Mitschnitt der Veranstaltung verbreitet. Hieke als Moderator stellt Haug die Frage, ob es um einen Putsch oder um PR gehe. Der will von einem terroristischen Vorhaben nichts wissen. „Du bist ja direkt Leidtragender, Matthes“, sagt Theaterleiter Hieke. Dann berichtet Haug von der Hausdurchsuchung wenige Tage zuvor bei ihm in Baden-Württemberg: „Morgens um sechs, Tür eingetreten, Rahmen kaputt, und dann steht man nackig da und wird mit Kabelbindern festgezurrt“.

Nur wenige Tage nach der Razzia ist Matthes Haug bereits wieder im Einsatz.
Nur wenige Tage nach der Razzia ist Matthes Haug bereits wieder im Einsatz.

Die Polizei habe ihn nach seinem Buch „Das deutsche Reich – von 1871 bis heute“ gefragt. Von Putsch und Waffen will er nichts wissen, er sei nur Vortragender. Laut Recherche der ARD sollte Haug in dem von der Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß vorgesehenen "Schattenkabinett" für Fragen des Völkerrechts zuständig sein. „Ich treffe mich ab und zu mit Prinz Reuß, er hat sehr viel über sein Fürstentum erzählt“, erzählt Haug in Hannover. „Man hat sich mal bei ihm im Jagdschloss getroffen“, räumt der Physiker auch ein. Haug solle für dessen „Leute“ zu den rechtlichen Grundlagen des Reiches referieren.

Vernetzt auf Telegram

Auch Hajo Müller kennt Reuß. Er betont, der würde niemals seine Treuepflicht gegenüber dem König von Preußen verletzen und sich zum „Reichskanzler“ ernennen, das sei für ihn Ehre. Müller, der Lehrer als seinen Beruf angibt, zeigt sich entsetzt, dass die staatlichen Handlanger sich nun auch an den Hochadel wagen würden. Reuß bräuchte auch bloß seine zwei Fürstentümer zurück, um ein Reich haben zu können, so Müller. „Prinz Reuß hat zu mir gesagt, wenn ich kein Staatsvolk habe, dann schmeißen mich die Russen gleich wieder raus.“ In einem Telegram-Post vom 11. Dezember hatte Müller behauptet, Reuß habe seiner Mutter auf dem Sterbebett versprechen müssen, „das Volk zu retten, da er der Einzige ist, der dazu in der Lage ist“. Die Mutter „hatte das Blut der Romanovs und er somit auch. Putin könne keinen Romanov hängen lassen, so Müller.

Der jovial auftretende Leipziger Hans-Joachim Müller ist einer der Stars unter Querdenkern und Reichsbürgern. 2020 verbreitete Müller die antisemitische Verschwörungsideologie QAnon mit. Bei Telegram hat er eigene Kanäle. In einem gemeinsamen Video mit Martin Kohlmann, dem rechtsextremen Kopf von „Freies Sachsen“, schwärmten sie davon, in diesem Bundesland ein eigenes Königreich zu errichten.

„Lass uns mal einen anderen Staat machen“

Laut Zeit Online sagte Müller bei einem Vortrag im März 2020: „Die BRD ist nicht unser Staat, es ist eine Simulation. Und die BRD ist unser Feind.” Dem sächsischen Landeskriminalamt war Müller zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, gab ein Sprecher gegenüber Zeit Online an. Beim „Zukunftsprozess Deutschland“ der Szene im thüringischen Pfiffelbach ging es im Oktober dieses Jahres auch um die Adelsfamilie Reuß. Müller warb für „eine Gemeinschaft gemäß 1871“ und nebenher spielte der paramilitärisch geprägte Neonazi Axel Schlimper dort auf der Gitarre.

Der Hannoveraner Theaterleiter Hieke sagt stolz, dass er Müller seit zwei Jahren kenne. „Lass uns mal einen anderen Staat machen“, darüber seien sie ins Gespräch gekommen. Joachim Hieke ist in Hannover als Gegner staatlicher Corona-Maßnahmen bekannt. Der Kulturschaffende sieht sich durch die Pandemie massiv geschädigt. In seinem YouTube-Beitrag „Maskenball“ offenbart er auch klare verschwörungsideologische Elemente. Demnach seien Corona-Zahlen gefaked und Bill Gates gehe dagegen vor, dass es so viele Menschen auf der Erde gebe.

Trotz Razzia soll es weitergehen

Schnell sind sich auf dem Podium am 13. Dezember alle einig, dass das mutmaßliche Vorhaben der Reuß-Truppe ausschließlich positive Propaganda für sie darstelle, „der Putsch ist in aller Munde!“. Eine Art „Aufweckprogramm für die deutschen Schlafschafe“, witzelt Hieke. Seine Gäste behaupten in Hannover, 1871 seien die Menschen wirklich frei gewesen. Gepriesen werden Bismarck und die Verfassung des Deutschen Reiches. Für sie ist die BRD eine ungeliebte Verwaltungseinheit, die weggeschafft gehöre, während das Deutsche Reich noch schlummere. „Es ist eine Riesenchance, wenn wir 1871 anknüpfen, eine einmalige Chance für Deutschland“, so Haug. Die Reichsideologen wittern ihre Chance, das Volk sei unzufrieden und auf Wandel aus.

Bereits am 2. Juli dieses Jahres hatte Uta B. von der Reichsbürgergruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ einen Vortrag vor rund 50 Besuchern im Leibniz-Theater gehalten. Die Germaniten imaginieren eine Staatsgründung in den Grenzen von 1937. Sie bezeichnen sich als bedrohte „Native Nation“. Bei einem Online-Vortrag am 19. Juni sagte die dunkelhaarige Frau mit dem schmalen Gesicht mit fester Stimme vor rund 190 Zuhörenden: „Wir nehmen nur eine Menschenart nicht auf, dass sind Pädophile, Kinderschänder und rechtskräftig verurteilte Mörder. Da verlassen wir uns mal ein bisschen auf das System, die wollen wir nicht haben. Wenn sich jemand dahingehend entwickelt, könnte wir ihn des Volkskörpers entfernen, wir bereinigen uns, er wäre staatenlos und könnte von jedermann Selbstjustiz erfahren“.

Handgreiflichkeiten gegenüber der Presse

Auch vergangenen Samstag, den 17. Dezember, tagten wieder Reichsideologen in diesem Theater. Per Telegramgruppe „Wahlkommissionen“ wurde zum Vortrag mit Niklas aus Hessen und Erhard aus Solingen zum Thema „Der rechtliche Weg in die Verfassung 1871“ mobilisiert. Autos kamen auch aus Wolfenbüttel, Wittmund oder Flensburg. Sie tagten Samstag lange in den Theaterräumen.

Ein Teilnehmer der Veranstalter bedrängt einen Fotografen.
Ein Teilnehmer der Veranstalter bedrängt einen Fotografen.

Einer der Referenten, Finanzcoach Erhard Golla, der sich wie Müller beim „Zukunftskongress Deutschland“ in Thüringen engagierte, setzt sich auch für die deutsch-russische Freundschaft ein. Es geht um viel mehr als das „Deutsche Reich“. Medien, die vor dem Leibniz-Theater filmen, stören da nur. Fragen werden gar nicht erst zugelassen, sofort stürmen Besucher heraus, schimpfen und es kommt zu Handgreiflichkeiten.

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