Neonazis bedrohen erneut politische Gegner
Die neonazistische Anschlagsserie in Berlin-Neukölln setzt sich nach mehrmonatiger Pause fort. Kritik an Ermittlungsbehörden wird immer lauter.
Obwohl bei der Neonazi-Anschlagsserie in Berlin-Neukölln (bnr.de berichtete regelmäßig, zuletzt) bislang keine Täter gefasst oder ermittelt worden waren, schien sich die Situation zu entspannen. Fast ein Jahr lang war Ruhe im Bezirk. Doch am vergangenen Wochenende zogen die Neonazi-Schmierer wieder los und bedrohten mindestens vier Menschen mit Sprühereien an deren Hausfassade.
Bei der seit Mai 2016 laufenden Angriffsserie, zu der neben Brandanschlägen auf PKWs auch Stein- und Farbflaschenwürfe auf Wohnungen sowie gesprühte Parolen bei Privatpersonen zählen, sind nach Angaben der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) mittlerweile insgesamt 55 Taten bekannt geworden. Bei der jüngsten Attacke war auch ein Mitarbeiter der Beratungsstelle betroffen. Diesem und einer weiteren Person wurde dabei auch mit Mord gedroht.
Ignorierte LKA Hinweise auf Anschlag?
Obwohl die Berliner Polizei eine eigene Sondereinheit zur Aufklärung der Serie eingesetzt hat, die so genannte „EG RESIN“ („Rechte Straftaten in Neukölln“), blieben Ermittlungserfolge bislang aus. Vielmehr wurde in den letzten Wochen bekannt, dass diese offenbar sogar Hinweise auf einen Anschlag ignorierte. Wie das „Antifaschistische Infoblatt“ (AIB) im Dezember berichtete, hatte der Berliner Verfassungsschutz (VS) die beiden Rudower Rechtsextremisten Sebastian Thom und Tilo P. dabei observiert, wie sie ihr späteres Opfer ausgekundschaftet hatten. Die beiden verfolgten einen linken Politiker gezielt nach einer Veranstaltung arbeitsteilig bis nach Hause und koordinierten sich dabei übers Telefon. Diese Beobachtungen schilderte der VS dem LKA zwei Tage vor dem Brandanschlag auf das Fahrzeug des Linken-Politikers Ferat Kocak. (bnr.de berichtete) Warum die Beamten weder die Tat verhinderten, noch die Täter bei ihrer Ausführung überführten, bleibt eine ungeklärte Frage.
Erst nach dem Anschlag kam es zu Durchsuchungen bei beiden Tatverdächtigen. Der vorbestrafte Neonazi Thom war jahrelang Chef der Neuköllner NPD, der Beginn der Anschlagsserie fällt zeitlich zusammen mit seiner letzten Haftentlassung. Bei ihm fanden die Ermittler eine handschriftlich geführte Feindesliste mit Namen und Adressen von Personen aus Neukölln. Tilo P. saß noch bis Anfang Februar im Vorstand der Neuköllner AfD. Seitdem scheinen die Ermittlungen jedoch wieder zu stagnieren. Manche Verfahren in der Serie wurden sogar bereits wieder eingestellt.
„Rechte Netzwerke in der Berliner Polizei?“
Das Ignorieren des Hinweises und die Verfahrenseinstellungen, aber auch Berichte über rechte Vorfälle beim Berliner LKA werfen bei Betroffenen die Frage auf, ob die Ermittlungen womöglich daran scheitern. „Gibt es auch in der Berliner Polizei rechte Netzwerke?“, fragte Linken-Politiker Kocak beispielsweise in einem Interview mit der „taz“. Im Juni vergangenen Jahres deckte das ARD-Magazin „Kontraste“ Neonazi-SMS‘ beim Staatsschutz des Berliner LKA auf. Wenige Wochen später wurde zudem der ehemaliger Staatsschutz-Beamte Sebastian K. wegen des Versendens eines anonymen Drohbriefs mit Fotos und persönlichen Daten mehrerer linker Aktivisten zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Daten stammten aus der Polizeidatenbank. Da manche Informationen erst nach seiner Tätigkeit beim LKA erlangt worden sein können, ist die Einzeltäterthese K.s ziemlich fraglich.
Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) verurteilte am Mittwochabend in der Bezirksverordnetenversammlung die neuerlichen Attacken und sprach den Opfern des rechten Terrors seine Solidarität aus. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Angriffsserie rufen zudem für kommenden Donnerstag anlässlich des „Internationalen Tages gegen Rassismus“ 31 Initiativen aus Neukölln zu einer Kundgebung gegen Rassismus und rechter Gewalt am U-Bahnhof Rudow auf.