Attacke auf Journalisten
Neonazi Sven Liebich erneut zu Haftstrafe verurteilt
Das Amtsgericht Leipzig verurteilt Sven Liebich und drei weitere Angeklagte nach einem Angriff auf einen Fotografen bei einer „Querdenken“-Versammlung in Leipzig im Jahr 2020. Damals hatten Rechte Polizeiketten durchbrochen, Journalist*innen und Polizeikräfte angegriffen.
Nur ein paar Minuten dauerte die Anklageverlesung in Saal 100 des Amtsgerichts Leipzig am ersten Tag des Prozesses gegen Sven Liebich, Caroline K., Uwe H. und Matthias B. Gerichtssäle sind inzwischen nichts Neues mehr für Sven Liebich, zuletzt hat ihn das Amtsgericht Halle (Saale) zu anderthalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Liebich haben Berufung eingelegt. Nun muss das Landgericht Halle neu verhandeln.
In Leipzig geht es um einen Fall, der schon länger zurückliegt. Am 7. November 2020 demonstriert „Querdenken“ in der Stadt. Im Vorfeld gibt es juristische und politische Auseinandersetzungen um die Versammlung, am Tag selbst wird sie vorzeitig aufgelöst. Gewaltbereite Hooligans durchbrechen daraufhin eine Polizeikette, die Rechten können laufen wie sie wollen. Es kommt zu Angriffen auf Polizeikräfte und Journalist*innen.
Die Gewerkschaft ver.di berichtet am Tag danach von mindestens 32 Pressevertreter*innen, die eine Verletzung gemeldet haben. Dazu kommen tausendfache Verstöße gegen die Corona-Auflagen. Mitten in diesem Chaos zeigen Videos, die unmittelbar viral gehen, Sven Liebich. In einem weißen Schutzanzug, mit umgehängtem Megaphon, wie er hysterisch in Richtung von Polizeikräften schreit. Und sie zeigen, wie Liebich dabei ist, als mehrere Personen einen Mann festhalten und auf ihn einschlagen.
Folgt man der Anklage, wie sie der Staatsanwalt am ersten Prozesstag vorträgt, beginnt diese Situation so, dass Sven Liebich gegen den Kopf geschlagen wird und das von Paul F. (Name von der Redaktion geändert), dem Mann, bei dem in den Videos zu sehen ist, wie er selbst geschlagen wird. Nach diesem Schlag gegen Liebich, so die Anklage, wird Paul F. von Sven Liebich und Caroline K. festgehalten. Uwe H., eine unbekannte Person und Caroline K. schlagen auf ihn ein. Teil der Gruppe, die Paul F. angreift, war laut der Anklage auch Matthias B.
Die Gruppe weiß, so trägt es der Staatsanwalt vor, dass zum Zeitpunkt ihres Angriffs kein Angriff auf Liebich mehr vorliegt, Notwehr also ausscheidet. Folgt man der Aussage von Paul F., der im Verfahren als Nebenkläger auftritt und als Zeuge aussagt, beginnen die relevanten Ereignisse früher an diesem Tag. Paul F., so schildert er es, ist an diesem Tag als Fotograf in Leipzig unterwegs, wird von einer Freundin begleitet. Am Augustusplatz, Stunden vor dem Vorfall, den die Videos zeigen, trifft er das erste Mal auf die Gruppe um Liebich. „Dich kriegen wir auch noch“, soll ihm sinngemäß als Drohung zugerufen worden sein, erinnert er sich. Von wem kann er nicht mehr sagen.
Fotograf stellt Arbeit ein
Später, kurz vor dem Angriff, steht Paul F. mit seiner Begleitung hinter einer Polizeikette in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Kette löst sich auf, aus der Demonstration schert eine Gruppe aus, darunter die Angeklagten, und kommt auf ihn zu, schildert der Nebenkläger. Dann steht der Neonazi Sven Liebich direkt vor ihm. Paul F., sagt er, geht etwas zurück, dann habe er wahrscheinlich eine Bewegung nach vorne gemacht, „die Hand nach vorne gemacht“.
Diese Bewegung nach vorne, die Hand, das beschäftigt die Verteidigung der vier Angeklagten, immer wieder stellen sie dazu Fragen. Es ist deswegen auch ein Verfahren beim Amtsgericht Leipzig anhängig. Paul F. müsste dazu daher gar nicht aussagen, er muss sich nicht selbst belasten.
Er sagt trotzdem aus. Und berichtet, dass er von dem Angriff auf ihn Verletzungen davongetragen hat, am Kopf und an der Schulter. Dass er seine journalistische Arbeit danach eingestellt hat und seinen Presseausweis nicht mehr verlängert. Dass er einen Job nicht antreten konnte nach dem Angriff, sich erstmal „rausgezogen“ hat.
Er erzählt auch, dass er Liebich schon aus Halle (Saale) kannte und die Situation als bedrohlich empfunden hat. Deswegen habe er Abstand zwischen sich und den Neonazi bringen wollen. Doch der und die Angeklagte Caroline K. hielten ihn fest, als er geschlagen und getreten wurde. Dabei wurde auch sein Name gerufen, er wurde als „Wichser“ bezeichnet.
Das ist auch den Videos zu entnehmen, die das Gericht in Augenschein nimmt. Kurze Schnipsel in unterschiedlicher Qualität, die zeigen, wie auf Paul F. eingeschlagen wird. Seine Begleitung sagt ebenfalls vor Gericht als Zeugin aus, bestätigt in weiten Teilen die Schilderungen von Paul F. Die Situation endet, so beschreibt sie es und so zeigen es auch die Videos, als die Polizei eingreift. Auch diese Zeugin spricht von einer bedrohlichen Situation.
Die Angeklagten: Drei Männer, eine Frau
Angeklagt sind in Leipzig neben Sven Liebich zwei Männer und eine Frau. Caroline K., zum Tatzeitpunkt laut eigenen Angaben Liebichs Freundin, ist die einzige ohne Vorstrafen. Schon zum zweiten Mal steht sie neben ihm vor Gericht. Zuletzt ging es glimpflich für sie aus, lediglich 500 Euro musste sie an die Staatskasse zahlen. Eine Auflage des Amtsgerichts Merseburg, das im September 2022 ein Verfahren gegen sie und Liebich wegen eines Angriffs auf ein Impfteam einstellte. Beide sind in diesem Fall also unschuldig, auch wenn das Amtsgericht Merseburg auf Presseanfrage damals mitteilte, dass durch das Gericht festgestellt werden konnte, dass Caroline K. einen Sanitäter getreten hatte.
Bundesweit sorgte sie für Aufsehen, weil sich Eltern einer Kita in Halle (Saale) dagegen wehrten, dass Caroline K. als Erzieherin ihrer Kinder eingesetzt wurde, es folgte ihre Entlassung.
In Leipzig lässt sich Caroline K. ein. Zwei Schläge auf Paul F. gibt sie zu, bei denen sie ihr Smartphone in der Hand hatte. Sie will sich damit nur gegen Tritte des Nebenklägers gewehrt haben. Festgehalten habe sie ihn, gemeinsam mit Liebich, weil dieser den Nebenkläger habe festnehmen wollen, um ihn der Polizei zu übergeben. Auch der Angeklagte Uwe H. war schon in einem Gerichtssaal mit Sven Liebich, aber als Zeuge. Es ist das zuvor erwähnte Verfahren. Die Nebenklage legt damals Screenshots vor, die Posts von Uwe H. mit einem Foto von sich zeigen, das ihn beim sogenannten Sturm auf das Reichstagsgebäude zeigen soll. Er macht damals dazu keine Angaben. Vorbestraft ist Uwe H. unter anderem wegen des Zeigens eines Hitlergrußes, aber auch wegen Unterschlagung und Betrugs. In Leipzig nimmt er sein Recht wahr, nicht auszusagen.
Ebenso Matthias B., der mit vierzehn Einträgen im Bundeszentralregister die meisten Vorstrafen unter den Angeklagten mitbringt. Es sind Delikte wie Fahren ohne Fahrerlaubnis, Beleidigung, Nötigung und Betrug. Erst kürzlich hat er eine Ersatzfreiheitsstrafe abgesessen.
Der Angeklagte Liebich äußert sich dagegen. Beschreibt ein „euphorisches“ Gefühl, dass er bei der Demonstration gehabt habe. Er meint den Zeitpunkt, nachdem die ursprüngliche Versammlung schon aufgelöst war und Neonazis durch die Polizeiketten gebrochen sind. Er hat, so behauptet es der Neonazi, nur sein Jedermann-Festnahmerecht ausgeübt, als er Paul F. festgehalten hat. Wie Caroline K. gibt er an, dass er Paul F. vor der Tat schon kannte. Auch die Angeklagten kennen sich alle schon länger – von Liebichs Demonstrationen.
„Das ist hochgefährlich“
Die Staatsanwaltschaft plädiert am zweiten Prozesstag bei allen Angeklagten auf schuldig. Paul F. sei, unmittelbar bevor er angegriffen wurde, rückwärts gegangen. Von einem Schlag gegen Sven Liebich geht er nach der Beweisaufnahme nicht mehr aus. „Der hat ihn mit der Hand weggedrückt“, formuliert es der Staatsanwalt. Das sei natürlich nicht in Ordnung, aber kein Schlag. Er verweist auf die aufgeheizte Stimmung, in welcher sich der ganze Fall ereignet, spricht davon, dass die Leute hätten zeigen wollen, dass sie es dem Staat „jetzt geben“.
Er äußert Verständnis dafür, dass der Nebenkläger Angst gehabt habe. „Und in so einer Situation soll jetzt Herr F. Liebich eine verpasst haben, das passt doch nicht, das ist doch Selbstmord“. Dass Liebich und Caroline K. den Nebenkläger nur hätten festhalten wollen, um ihn der Polizei zu übergeben, hält der Staatsanwalt für „Käse“. Das sehe man auch daran, dass sie die ersten gewesen seien, die abgehauen seien, als die Polizei kam. Als „hochaggressiv“ beschreibt er Caroline K. in der Situation und bezieht sich auf die Videos, die das Gericht in Augenschein genommen hat.
Matthias B. sei insofern eine „tragische Figur“, als dass er auch in erkennbar aggressiver Stimmung gewesen sei, aber erstmal keine Möglichkeit gefunden habe, auch auf Paul F. einzuschlagen, da ihm die anderen Angeklagten im Weg gewesen seien. Uwe H. sei aus seiner Sicht eindeutig zu identifizieren, auch wenn er in den Videos der Tat nicht mit dem Gesicht zu sehen sei, führt der Staatsanwalt weiter aus und verweist auf die Bekleidung des Angeklagten am Tattag und Zeugenaussagen dazu. Zwei Mal habe Uwe H. auf den Kopf von Paul F. eingeschlagen, „das ist hochgefährlich“.
Rechtsanwalt Zünbül, der Paul F. im Verfahren vertritt, bezeichnet Liebich als „Hetzer“ und „mehrfach verurteilten Kriminellen“, als „Intensivtäter“. Er sei ein „Feind der Demokratie und des Rechtsstaats“, der bald im Gefängnis über seine Taten nachdenken könne. Fünf Personen hätten hier eine Person angegriffen, weder Notwehr greife ein, noch sei es hier um eine Festnahme gegangen.
Rechtsanwalt Lehr bleibt für seinen Mandanten Sven Liebich auf dessen Linie. Er sei freizusprechen, habe nur sein Festnahmerecht ausgeübt. Für Uwe H. fordert dessen Anwalt Miksch ebenfalls einen Freispruch, er stellt schon in Frage, ob sein Mandant überhaupt richtig identifiziert worden sei in den Videos. Die Verteidigung von Matthias B. plädiert ebenso auf Freispruch wie jene von Caroline K.
Gericht folgt Verteidigung nicht
Die Richterin am Amtsgericht, welche das Verfahren als Einzelrichterin führt, folgt den Anträgen der Verteidigung nicht. Sie verurteilt Sven Liebich zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung, Caroline K. zu sieben Monaten und einer Woche, ausgesetzt zur Bewährung auf zwei Jahre, dazu 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Caroline K. wird auch verurteilt, weil sie Cannabis in geringer Menge bei sich hatte, als die Polizei sie nach dem Angriff auf Paul F. feststellt.
Matthias B. wird zu sechs Monaten Haft verurteilt, ebenfalls zur Bewährung auf zwei Jahre ausgesetzt. Auch er muss 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Uwe H. muss dagegen 1.500 Euro an den Weißen Ring zahlen, er wird unter Einbeziehung vorheriger Strafen zu zehn Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung auf zwei Jahre verurteilt.
Die Verurteilungen erfolgen alle, ausgenommen wegen des Besitzes von Cannabis, wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Angeklagten gemeinschaftlich gehandelt haben. Liebich und Caroline K. hätten Paul F. festgehalten, Caroline K., Uwe H. und eine unbekannte Person ihn geschlagen. Matthias B. sei ebenfalls beteiligt gewesen, ihm ordnet das Gericht auch die Aussage „Wichser“ über Paul F. zu, zielgerichtet sei er auf den Nebenkläger zugerannt und müsse sich hier die Taten seiner Mittäter zurechnen lassen. Von ihm sei der aggressivste Angriff ausgegangen, auch wenn er nicht zugeschlagen habe.
Dass es darum gegangen sei, Paul F. festzuhalten, um ihn der Polizei zu übergeben, glaubt das Gericht nicht. „Für mich ist keine Festnahmehandlung zu erkennen“, führt Richterin Zunft aus. Sie verweist auch darauf, dass in einer späteren Online-Anzeige von Liebich gegen Paul F. dessen Name und Adresse angegeben wurde. Auch eine Notwehrlage kann das Gericht nicht erkennen, auch wenn es von einem Schlag oder heftigen Schubser gegen Sven Liebich ausgeht. Zu Gunsten aller Angeklagter berücksichtigt das Gericht etwas, das gar nicht in der Hand der Angeklagten liegt: Die lange Verfahrensdauer.
Rechtsanwalt Zünbül zeigt sich nach dem Urteil zufrieden. Es spiegele wider, was die Nebenklage im Plädoyer gefordert habe. „Was mir auch wichtig war, dass es deutlich wurde, dass es ein Angriff gegen Journalisten war, ein Angriff gegen die Pressefreiheit“, so der Nebenklagevertreter.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.