Gegengift

Neonazi-Kampagne fischt im Querdenker-Milieu

Die rechtsextreme Szene versucht seit Ausbruch der Corona-Pandemie aus den Protesten gegen Infektionsschutz und Impfungen politisches Kapital zu schlagen. Mit „Gegengift2022“ wirbt eine weitere Kampagne für den „Widerstand gegen das System“. Nach außen gibt man sich zahm und versucht den Schulterschluss mit den „bürgerlichen Patrioten“ aber hinter der Aktion stehen anscheinend Neonazis.

Dienstag, 29. März 2022
Martin Hagen
Rechtsextreme mit Gegengift-Logo auf einer verschwörungsideologischen Demo in Schwerin, Foto: Pixelarchiv,  CC BY-NC 4.0
Rechtsextreme mit Gegengift-Logo auf einer verschwörungsideologischen Demo in Schwerin, Foto: Pixelarchiv, CC BY-NC 4.0

Sie seien der „Widerstand“. Die Letzten, die sich dem kranken System, der „Pandemie der Lügen“ entgegenstellen. Kämpferisch gibt man sich schon mit dem Logo: Ein DNA-Strang und ein Schwert, die zusammen eine Spritze bilden. Mit viel Pathos rufen sie zur „Impfrevolte“ auf – die Kampagne „Gegengift2022“, die seit Anfang des Jahres durch die sozialen Medien kursiert.

Auf ihrem Telegram-Kanal teilt die selbsternannte Widerstandsbewegung immer wieder Videos und Bilder von eigenen Aktivisten, die auf Corona-Protesten mitmarschieren. In Niedersachsen, Hessen aber vor allem in Sachsen sind Banner der Gruppe bei sogenannten „Spaziergängen“ zu sehen. Das erklärte Ziel: Die Vernetzung mit „bürgerlichen“ Maßnahmen-Gegnern, den „geistig gesunden Menschen“.  

Wer steckt hinter der Kampagne?

Auf der Website der Gruppierung gibt es erste Hinweise auf den politischen Hintergrund: Im Impressum wird als Sitz der Initiative ein Altbau im Chemnitzer Plattenbauviertel Markersdorf angegeben. Das Gebäude ist seit Jahren als rechtsextreme Szeneimmobilie bekannt. Hier wird „PC Records“ betrieben – ein bekanntes Musik-Label der Rechtsrock-Szene. In der Vergangenheit befand sich hier auch die Geschäftsstelle der sächsischen NPD-Jugend. Die inzwischen verbotene Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ soll das Haus außerdem lange Zeit als Treffpunkt genutzt haben.

Wenig subtil wird immer wieder Stimmung gemacht gegen "das System". Foto: Pixelarchiv, Rechtsextreme mit Gegengift-Logo auf einer verschwörungsideologischen Demo in Schwerin, Foto: Pixelarchiv,  CC BY-NC 4.0
Wenig subtil wird immer wieder Stimmung gemacht gegen "das System". Foto: Pixelarchiv, Rechtsextreme mit Gegengift-Logo auf einer verschwörungsideologischen Demo in Schwerin, Foto: Pixelarchiv, CC BY-NC 4.0

Aber nicht nur die Postanschrift wirft Fragen auf. Auf mehreren Demonstrationen wurde die Gegengift-Kampagne von NPD-Kadern vertreten: Bei einem Marsch von Maßnahmengegnern in Hamburg Ende Januar fanden sich hinter dem Banner der Gruppe mehrere Aktivisten der NPD-Jugend „Junge Nationalisten“. Auch als wenig später in Schwerin „Spaziergänger“ durch die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns zogen, waren JN-Kader mit „Gegengift“-Logos vertreten. Optisch nimmt „Gegengift2022“ zwar keinen direkten Bezug zu der rechtsextremen Partei, aber die personellen Überschneidungen, lassen zumindest vermuten, wer hinter der Aktion steht.

Verschleierung und Unterwanderung

Es ist nicht der erste Versuch von rechtsextremen Gruppierungen, die Proteste gegen Lockdowns und Impfungen zu unterlaufen. Ein Beispiel: Aktivisten der Identitären Bewegung begannen schon früh mit Bannern auf Corona-Demonstrationen für ihre Zwecke zu werben. Die NPD und ihr Umfeld verzichteten zudem seit Jahren zunehmend auf das eigene Label – zu verbrannt ist der Name der rechtsextremen Kleinpartei mittlerweile. So versteckten sich etwa im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 NPD-Kader immer wieder hinter „Bürgerinitiativen“ gegen Flüchtlingsunterkünfte oder vermeintlich harmlosen Wohltätigkeitsaktionen.

Die Macher von Gegengift2022 stellen klar, dass es ihnen um mehr geht, als um die Pandemiemaßnahmen. Sie fordern einen Systemumsturz, eine „komplette Erneuerung“. Die Anhänger fordern sie auf: „Schliesse mit unserem Staat ab“. Politiker und die sogenannten „Globalisten“ würden den „Great Reset“ planen – eine Verschwörungserzählung, die schon seit Monaten in Querdenker-Kreisen kursiert. Sollten Gruppen wie die Gegengift-Kampagne Erfolg haben, könnten Corona-Demonstrationen zu einer Radikalisierung beitragen, die auch nach der Pandemie ihre Schatten werfen dürfte.

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