Samuel Yeboah
Mit jahrzehntelanger Verspätung: Prozess um mörderischen Brandanschlag auf Geflüchtete in Saarlouis
Mehr als 30 Jahre nach dem Mord an Samuel Kofi Yeboah in Saarlouis hat vor dem Oberlandesgericht in Koblenz der Prozess begonnen. Angeklagt ist der Neonazi Peter Werner S. Seine Verteidiger beklagen „Gesinnungsstrafrecht“ und wollen einen Freispruch erreichen.
Der Mann, der am Mittwochmorgen in Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt wird, hat nur noch begrenzte Ähnlichkeit mit seinem früheren Selbst, jedenfalls äußerlich. Das Haar trägt Peter Werner S. zwar noch immer so stoppelig wie in den neunziger Jahren, als er zu den Aktivposten der militanten Neonazi-Szene des Saarlands gehörte. Doch der 51-Jährige ist längst nicht mehr so hager wie damals, er braucht jetzt eine Brille und beginnt zu ergrauen. Einen „arbeitenden Ehemann und fürsorglichen Familienvater“ werden ihn seine Verteidiger später nennen. „Spätestens seit 2007 hat sich unser Mandant für ein bürgerliches Leben entschieden“, erklärt Rechtsanwalt Guido Britz.
Das freilich sieht die Bundesanwaltschaft ganz anders. Sie hat Peter Werner S. wegen Mordes und wegen zwanzigfachen Mordversuchs angeklagt, nach mehr als 30 Jahren: Am frühen Morgen des 19. September 1991 soll der damalige Neonazi-Skinhead Feuer in einer Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis gelegt haben, seiner Heimatstadt. Samuel Kofi Yeboah, 27 Jahre alt und aus Ghana, starb in den Flammen. Die weiteren Bewohner*innen konnten sich retten, zwei von ihnen allerdings nur, indem sie aus dem Fenster sprangen und sich schwer verletzten. „Der Angeklagte vertritt eine von nationalsozialistischen und rassistischen Überzeugungen geprägte Ideologie“, trägt die Vertreterin der Bundesanwaltschaft beim Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht in Koblenz vor. „Personen ausländischer Herkunft, Juden und Muslime lehnt er ab.“ Und das ist ausdrücklich nicht allein auf die Vergangenheit gemünzt.
Studenten zusammengeschlagen
Mit dem Brandanschlag in Saarlouis kommt, mit großer Verspätung, erstmals eine der vielen nie aufgeklärten rassistischen Straftaten der frühen Neunziger vor Gericht. Allein im Saarland gab es zwischen 1990 und 1992 rund 20 Brand- und Sprengstoffanschläge, vor allem auf Unterkünfte für Geflüchtete, aber auch auf ein Parteibüro der PDS, Vorgängerin der Linkspartei, und ein linkes Zentrum.
Bundesweit waren es Hunderte. Vielerorts versuchten Neonazis, durch Gewalt gegen Menschen, die ihnen nicht deutsch oder nicht rechts genug waren, „national befreite Zonen“ zu schaffen, auch in Saarlouis. Peter Werner S. schlug 1992 zusammen mit elf Gleichgesinnten einen Studenten in Saarbrücken brutal zusammen. Er fungierte als Ordner bei Aufmärschen und lief 1996 zusammen mit den späteren NSU-Terrorist*innen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe beim „Rudolf-Heß-Marsch“ durch Worms.
„Versäumnisse“ und „Defizite“
Wie nachlässig in jenen „Baseballschlägerjahren“ gegen rechts ermittelt wurde, das führt der Mord an Samuel Kofi Yeboah exemplarisch vor. Obwohl Saarlouis eine Hochburg des militanten Neonazismus war, obwohl Angehörige der örtlichen Szene sich sogar in einem Interview mit dem „Stern“ offen zu rassistischer Gewalt bekannt hatten, gab es lediglich oberflächliche Befragungen. Alibis wurden nicht überprüft. Nicht einmal, wer in der Tatnacht die auffällige Menge von 1,62 Litern Benzin gekauft hatte, interessierte die Polizei. Nach nur elf Monaten wurden die Akten geschlossen.
Was antifaschistische Initiativen von Beginn an angeprangert hatten, räumt mittlerweile auch die Polizei ein: Saarlands Polizeipräsident bat im Frühjahr um Entschuldigung für „Versäumnisse“ und „Defizite“ und versprach Aufarbeitung. Ernsthaft ermittelt wurde erst, nachdem sich im Jahr 2019 überraschend eine Zeugin bei der Polizei meldete: Ein Mann habe ihr Jahre zuvor bei einem Grillfest eröffnet, den Brandanschlag begangen zu haben. Und dieser Mann, so ergaben die Ermittlungen, soll Peter Werner S. gewesen sein. Dutzende Zeug*innen wurden daraufhin befragt, viele von ihnen aus der rechten Szene, Telefone wurden abgehört, Wohnungen durchsucht. „Die Spatzen haben ja schon vom Dach gezwitschert, dass es der S. war“, soll ein früherer Kamerad des Angeklagten zu Protokoll gegeben haben. Eine andere Zeugin erzählte, dass Peter Werner S. im Kameradenkreis scherzhaft „Feuerteufel“ genannt worden sei.
„Hier (müsste) auch mal sowas brennen“
Ob diese Indizien für eine Verurteilung reichen werden, kann erst die Beweisaufnahme der kommenden Wochen und Monate vor dem Koblenzer Staatsschutzsenat zeigen. Unzweideutige Beweise, so viel ist jetzt schon klar, gibt es nach mehr als drei Jahrzehnten keine mehr. Verteidiger Britz spricht darum von einem „auf bloßen Vermutungen beruhenden Verfahren“ und von „unzulässigem Gesinnungsstrafrecht“: „Man kann nicht von einem möglichen Motiv auf eine mögliche Tat schließen.“ Ziel der Verteidigung sei ein Freispruch für Peter Werner S., sagt Britz und kündigt an, den Tatverdacht im Prozess auf andere Personen lenken zu wollen. „Es gibt Anhaltspunkte, dass es weitere mögliche Täter gibt“, erklärt der Anwalt. „Gegebenenfalls sind weitere Ermittlungen nötig.“ An den kommenden Prozesstagen will sich sein Mandant zu dem Anklagevorwurf äußern.
Dass sich die Bundesanwaltschaft auf Peter Werner S. als Einzeltäter festgelegt hat, stört nicht nur die Verteidigung. Laut Anklage soll der Angeklagte am Abend vor der Tat unter anderem mit Peter St., dem Anführer der örtlichen Kameradschaft, gesoffen und über die Pogrome von Hoyerswerda gesprochen haben, die einen Tag zuvor begonnen hatten. Dabei habe der Kameradschaftschef die Parole ausgegeben, das „hier auch mal sowas brennen müsste“. Dennoch wurde er nicht mit angeklagt. „Die Verteidigung stellt die richtigen Fragen, aber aus der falschen Richtung“, sagt Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk. Sie vertritt einen von drei Überlebenden des Anschlags, die sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen haben.
Forderungen nach Aufarbeitung behördlichen Versagens
Begleitet wird der Prozessbeginn von einer gemeinsamen Kundgebung des Saarländischen Flüchtlingsrats, der Aktion 3. Welt Saar und der Antifa Saar, die seit nunmehr drei Jahrzehnten unermüdlich an den Mord erinnern. Der späte Prozess ist für sie nur so etwas wie ein Zwischenschritt. „Neben der juristischen Aufarbeitung muss jetzt auch das saarländische Staatsversagen in dieser Sache beleuchtet werden“, sagt Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar. „Nach Jahren des Schweigens und Leugnens erwarten wir von der aktuellen saarländischen Landesregierung, dass sie dafür Verantwortung übernimmt und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzt.“
Die Opfer müssten endlich entschädigt und die Akten von Polizei und Verfassungsschutz offengelegt werden, verlangen die Initiativen. Denn angesichts der unzähligen Neonazis, die in den Neunzigern als V-Leute spitzeln sollten, spricht einiges dafür, dass die Behörden damals auch ein Ohr in der Szene von Saarlouis hatten. Und womöglich mehr wussten, als sie zugeben wollten.