Holocaust-Leugnung und NS-Verherrlichung

Milde Strafe für antisemitischen QAnon-Propagandisten

Oliver L. betrieb drei der reichweitenstärksten Telegram-Kanäle für QAnon-Verschwörungsgläubige im deutschsprachigen Raum. Immer wieder hetzte er dabei gegen Jüdinnen und Juden und leugnete den Holocaust. Im Prozess erklärte der 54-Jährige sein volksverhetzendes Treiben als Folge eines persönlichen Schicksalsschlags und zeigte sich einsichtig. Das Amtsgericht in Ludwigshafen ließ ihn so mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe davonkommen.

Freitag, 01. Dezember 2023
Joachim F. Tornau
Immer wieder kam es auf den Kanälen von Oliver L. zu Beiträgen, in denen der Holocaust geleugnet wurde
Immer wieder kam es auf den Kanälen von Oliver L. zu Beiträgen, in denen der Holocaust geleugnet wurde

Immer wieder postete Oliver L. dieselbe Fotomontage. Sie zeigte eine Szene aus dem Science-Fiction-Klassiker „Matrix“, die bei Verschwörungsgläubigen in aller Welt hoch im Kurs steht: die Wahl zwischen der roten Pille der Erkenntnis und der blauen Pille des bequemen Verharrens in Abhängigkeit und Dummheit. Doch bei ihm war es nicht der Hollywoodstar Keanu Reeves, der die Pillen in den Händen hält. Sondern Adolf Hitler. Und die Wahl sollte die zwischen Hakenkreuz und Davidstern sein.

„Unerträglich“ nennt das Richterin Andrea Diem, als sie am Donnerstag das Urteil gegen den 54-Jährigen aus dem Rhein-Pfalz-Kreis verkündet. „Inhaltliche Abscheulichkeiten“ habe der Angeklagte verbreitet, sagt die Vorsitzende des Schöffengerichts am Amtsgericht in Ludwigshafen am Rhein und spricht von einer „Herabwürdigung“ der Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Jüdinnen und Juden seien von Oliver L. auf seinen Telegram-Kanälen entmenschlicht, der Holocaust geleugnet worden.

Szene-Anwalt

Denn die antisemitische und NS-verherrlichende Matrix-Montage war keine Ausnahme. Der graumelierte Brillenträger aus der Pfalz betrieb bei Telegram drei der reichweitenstärksten Kanäle mit deutschsprachiger Propaganda für QAnon – jener rechten Verschwörungserzählung, die im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 von Trump-Fans gestartet wurde und insbesondere auch in Deutschland viele Anhänger*innen hat: Geheime Machteliten würden als „Deep State“ die Regierungen steuern, würden die Menschheit unterjochen, würden Kinder entführen und unterirdisch einsperren, um ihnen ein Mittel zur ewigen Jugend abzuzapfen. Was im Kern auf die alte antisemitische Mär von der jüdischen Weltverschwörung hinausläuft. Wie auch bei Oliver L.

Oliver L. am Amtsgericht in Ludwigshafen am Rhein, Foto: Joachim F. Tornau
Oliver L. am Amtsgericht in Ludwigshafen am Rhein, Foto: Joachim F. Tornau

Wegen insgesamt rund 40 Fällen der Volksverhetzung, der Holocaust-Leugnung und des Verwendens verbotener Nazi-Symbole wird er nach vier Verhandlungstagen verurteilt. Außerdem spricht ihn das Gericht der Beihilfe zu vielen weiteren solcher Taten schuldig, weil er einem Mann, der bei Telegram als „Gaskunde“ firmiert, die Administratorenrechte für einen seiner Kanäle übertrug – und ihn ungehemmt agitieren ließ. Dennoch kommt Oliver L. sehr glimpflich davon: Mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe folgt das Gericht dem Antrag von Verteidiger Tobias Weissenborn, der auch schon die prominenten Corona-Leugner und Querdenker-Ikonen Sucharit Bhakdi und Reiner Fuellmich vor Gericht vertreten hat. Staatsanwalt Wais Afschar hatte dagegen zwei Jahre und acht Monate Gefängnis gefordert.

Verminderte Schuldfähigkeit

„Für eine Bewährung müsste ich zwei Augen zudrücken“, sagte der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. Gleichwohl sehe auch er die „menschliche Komponente“ bei diesem Fall. „Der Angeklagte hat sich völlig verloren und ist dabei, sich wiederzufinden.“ Oliver L. hatte die Anklagevorwürfe umfassend eingeräumt – und erklärt, wie er in den Sumpf der Verschwörungserzählungen geraten und immer tiefer darin versunken sei. Demnach war für den Mann, der sich bis dahin eigentlich nur für Sport, Autos, Klamotten und Frauen interessiert haben will, eine Krebsdiagnose im Sommer 2020 der Beginn seines Abschieds von der Realität. Weil er als Anhänger von Homöopathie und Anthroposophie keine Chemotherapie machen wollte, habe er im Internet nach Alternativen gesucht – und sei dabei auch auf die Heilsversprechen von QAnon gestoßen. So sehr habe er sich schließlich darin verstrickt, dass er irgendwann kaum noch etwas anderes getan habe, als seine Telegram-Kanäle „Q7 4 you“, „Q7 4 you Ersatzkanal“ und „Q7 Tartaria“ zu befüllen und in der Anerkennung seiner Follower*innen zu baden: Insgesamt folgten ihm mehr als 170.000 Telegram-Konten, einzelne Beiträge wurden hunderttausendfach gesehen.

„Jede Verschwörungstheorie war für mich wahr“, sagt Oliver L. unter Tränen in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung. Nicht nur an QAnon soll er geglaubt haben, sondern auch an Geschichten von UFOs oder Echsenmenschen. „Ich habe darauf gewartet, dass ein göttliches Zeitalter kommt und alle Probleme verschwinden.“ Von der Geschichte des Nationalsozialismus habe er keine Ahnung gehabt, beteuert der Angeklagte. Erst nachdem er vor einem halben Jahr in Untersuchungshaft gekommen sei, habe er angefangen, sich damit zu beschäftigen und historische Fernsehdokumentationen anzuschauen. „Ich schäme mich für meine Beiträge und möchte mich dafür entschuldigen.“

12.000 Euro Spenden

Wie Richterin Diem anmerkt, reichten seine historischen Kenntnisse allerdings immerhin so weit, dass er Adolf Hitler pünktlich zum Geburtstag gratulieren konnte. Aber wenn es stimmen sollte, dass der Angeklagte niemals etwas über den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden erfahren habe, nicht einmal in der Schule: „Das wäre verheerend“, meint Diem. Mit dem milden Urteil würdigt das Gericht Geständnis und Reue, aber auch die psychischen Folgen der Krebsdiagnose. Eine psychiatrische Gutachterin hatte Oliver L. Persönlichkeitsveränderungen bescheinigt. Das Ausmaß einer wahnhaften Störung habe das zwar nicht erreicht, doch die Schuld- und Einsichtsfähigkeit sei vermindert gewesen.

Über 12.000 Euro hat die Anhängerschaft für den QAnon-Propagandisten eingesammelt
Über 12.000 Euro hat die Anhängerschaft für den QAnon-Propagandisten eingesammelt

Der Zweite Weltkrieg, Corona, die „Giftspritzen“ gegen Corona, der vermeintliche Zwang zum Leben in einer Scheinwelt: Für alles machte der Angeklagte Jüdinnen und Juden verantwortlich. Die drei Kanäle, in denen er seine Tiraden postete – gerne um 17 Minuten nach der vollen Stunde, weil Q der 17. Buchstabe des Alphabets ist – sind noch immer aufrufbar. Bei Telegram, erklärt die Richterin, könnten Kanäle ab einer gewissen Reichweite nur noch von Telegram selbst gelöscht werden. Woran der Messengerdienst aber offenbar kein Interesse habe. Zumal die Followerschaft „Q7 4 you“, wie Oliver L. sich nannte, weiterhin die Treue hält. Obwohl nach seiner Verhaftung nur noch alte Posts automatisiert wiederholt werden, ist ihm bis heute lediglich ein kleiner Teil der Nutzer*innen entfolgt. Stattdessen sammelten seine Fans 12.000 Euro, um ihn zu unterstützen.

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