Flügel-nahe AfD-Politiker
Landtagswahl in Bayern: Radikale AfD-Kandidaten auf vorderen Plätzen
Für die Landtagswahl im Oktober konnten sich Flügel- und damit Höcke-nahe Kandidaten einen Großteil der Spitzenplätze sichern und werden damit recht sicher der neuen Fraktion angehören. Innerparteiliche Gegner wurden abgestraft oder treten nicht wieder an.

„Der Ton ist rauer geworden”, bilanzierte die Landtagspräsidentin Ilse Aigner ihren Rückblick auf die vergangene Legislaturperiode. Das habe mit dem Einzug der AfD zu tun. Nachdem ihrem Eindruck nach Rügen vor allem in der eigenen Bubble als Trophäen herumgezeigt werden, sollen sie zukünftig mit einem Ordnungsgeld unterlegt werden. Aigner plant auch einen Demokratie-Kodex, mit einer Abgrenzung von Antisemitismus, Rassismus sowie Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende. Unterschrift freiwillig, allerdings wird veröffentlicht, wer ihn gezeichnet hat oder auch nicht.
Nach gegenwärtigen Umfragen wird die AfD sicher wieder in den nächsten bayerischen Landtag einziehen, eventuell sogar personell gestärkt. Gewählt werden können Personen in Bayern entweder als Direktkandidat oder über die Bezirkslisten ihrer Parteien. Die Reihung kann dabei anders als bei der Bundestagswahl vom Wähler verändert werden. Entscheidend für den Einzug „über die Liste“ im Rahmen des Kontingents an Plätzen, die dem Wahlvorschlag zufallen, sind die Gesamtstimmen einer Person. Theoretisch kann auch ein etwa auf Platz 10 gereihter Kandidat den auf Platz 1 Platzierten überflügeln, wenn die Person in der Summe mehr Erst- und Zweitstimmen erhält. Die Kandidierenden auf Platz 1 der Bezirkslisten haben allerdings einen entscheidenden Vorteil: Sie grasen persönlich die Stimmen ab, wenn Personen etwa wie von der Bundestagswahl gewohnt, die Zweitstimme ganz oben auf dem Wahlvorschlag machen, in dem Glauben, hiermit die präferierte Partei zu wählen.
Platz eins der jeweiligen Bezirkslisten ist also für alle Parteien jenseits der CSU die einzige Möglichkeit, einen Kandidaten „abzusichern“. Und von diesen „sicheren Plätzen“ konnten sich radikalere AfD-Mitglieder und Höcke-Anhänger fast alle sichern.
Höcke-Leute bilden landesweite Doppelspitze
In Niederbayern steht erwartungsgemäß die Landtagsabgeordnete Katrin Ebner-Steiner, Vertraute des Thüringers Landeschefs Höcke an der Spitze der Bezirksliste. Sie bildet zusammen mit dem oberfränkischen Spitzenkandidaten Martin Böhm, stellvertretender Landesvorsitzender und ebenfalls flügelnah, auch das Spitzenduo der AfD Bayern, das die Partei etwa in Talkrunden repräsentieren soll.
Der Landesverband hat lange gerungen, ob es formal ein solches küren soll. Bei der letzten Landtagswahl scheiterte dies noch. Der damalige Landesvorsitzende Martin Sichert, der gar nicht wählbar war, musste einspringen. Dieses Jahr spielte auch sein Nachfolger Stephan Protschka aus dem Bundestag mit dem Gedanken, unterlag aber am Parteitag. Auf Ebner-Steiner folgen auf der niederbayerischen Liste die beiden amtierenden Landtagsabgeordneten Ralf Stadler und Oskar Atzinger. Stadler selbst erklärte nach dem Eklat um die erste Strophe des Deutschlandsliedes beim Flügel-Treffen 2018 in Greding den Austritt aus der Gliederung, hatte danach noch zahlreiche extrem rechte Skandale. Atzinger, erst im Laufe der Legislatur nachgerückt, stützt in der Fraktion ohnehin des Ebner-Steiner-Lager.
Manipulation zugunsten eines JA-Funktionärs?
In Unterfranken führt der ehemalige Polizeihauptkommissar Richard Graupner die Liste an. Auch er gehört zum völkischen Lager um Ebner-Steiner und lädt auch selbst als Bezirksvorsitzender von Unterfranken Höcke gerne über die Grenze zu sich ein, wie kürzlich zum Jahrestag der Messer-Attacke von Würzburg, wo die Veranstaltung allerdings blockiert wurde. Auch die kürzlich rechtskräftige Verurteilung wegen Geheimnisverrats aus seiner Zeit bei der Polizei konnte der Kandidatur nichts anhaben.
Platz zwei sicherte sich überraschend Daniel Halemba von der vom Verfassungsschutz beobachteten Jungen Alternative. Der 21-jährige stammt eigentlich aus dem Main-Tauber-Kreis, arbeitete dort schon für die Höcke-Vertraute Christina Baum und ist Mitglied der immer wieder unter Rechtsextremismus-Verdacht stehenden Prager Burschenschaft Teutonia in Würzburg. Halemba wurde unter dubiosen Umständen und zur Verärgerung lokaler AfD-Funktionäre im Stimmkreis Rhön/Hassberge nominiert. An der ersten Wahlversammlung nahmen wohl nur sieben stimmberechtigte Personen teil, wobei drei erst kürzlich zugezogen sein wollten und vor Ort unbekannt waren. Versammlungsleiter Graupner akzeptierte sie als stimmberechtigt, was angesichts der geringen Beteiligung ausschlaggebende Wirkung hatte.
Die Wahlkreisbehörde regte laut Main-Post eine Wiederholung der Versammlung an. Der Bezirksverband um Graupner setzte diese über die Köpfe der lokalen AfD an, wie eine örtliche AfD-Stadträtin gegenüber den Medien angab. Bei der neuen Abstimmung sei der JA-Auflauf sogar noch größer gewesen als beim ersten Mal, so die Kommunalpolitikerin. Auf Platz zwei hat Halemba einen kleinen Startvorteil gegenüber den weiter hinten platzierten AfD-Kandidaten. In Graupners Stimmkreis Schweinfurt, wo dieser mit der Erststimme gewählt werden kann, führt der 21-Jährige die AfD-Liste an und wird so sicher einige Zweitstimmen extra bekommen. Seine Kandidatur in Haßberge wurde zunächst als Verlegenheit beworben, weil er in seinem Wohnort Würzburg nicht gegen einen amtierenden Stadtrat antreten wolle. Besagter Stadtrat landete auf Platz acht und somit deutlich hinter Halemba.
Ebner-Steiner-Lager siegt auch in der Oberpfalz und Schwaben
Zu Kampfkandidaturen um die Spitzenplätze kam es auch in zwei anderen Bezirken. In der Oberpfalz setzten sich die amtierenden Abgeordneten Roland Magerl und Stefan Löw durch. Sie wurden herausgefordert von den Kandidaten aus Schwandorf und Cham, Reinhard Mixl und Wolfgang Pöschl. Gegen beide laufen Parteiausschlussverfahren. Mixl hatte etwa Corona-Demos organisiert, Pöschl an einem Treffen teilgenommen und eine Rede gehalten, bei dem auch die Landesvorsitzende der Neonazi-Partei Dritter Weg anwesend war. Pöschl vermutete eine Einflussnahme des Landesverbandes zugunsten Magerl und Löw. Tatsächlich waren aber sowohl er als auch Mixl Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Münchens, durch den dem Landesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung des Landesverbandes ermöglicht wurde. Magerl und Löw stützen beide im Landtag das Lager von Ebner-Steiner. Löws Auftritt mit Gasmaske am Rednerpult wird immer wieder als ein Tiefpunkt der Legislatur genannt.
Bei der Kampfkandidatur um die Spitze in Schwaben setzte sich vor einiger Zeit schon der Bezirksvorsitzende und Burschenschafter Christoph Maier gegen seinen Konkurrenten Gerd Mannes durch. Maier hatte zwei Mal seine Stellung als Abgeordneter genutzt, um studentische Verbindungen, darunter auch die vom Verfassungsschutz beobachtete Aktivitas von Münchner Danubia und Erlanger Frankonia zu „Kneipen“ in den Landtag einzuladen. Beide Male hatte es schlagzeilenträchtige Vorfälle gegeben. Beim letzten Besuch wurde ein Journalist angegangen und Gäste Maiers zeigten die als White Power lesbare bekannte Geste. Mannes war schon in der Kampfabstimmung um den Bezirksvorsitz unterlegen. Er wirbt auf Landesparteitagen mit seiner Arbeit beim organisatorischen Parteiaufbau. Damit scheint er noch unverzichtbar, hatte aber zuletzt Schwierigkeiten, in die Landesspitze gewählt zu werden und ist aktuell nur dritter Stellvertreter des Landesvorsitzenden. Platz zwei in Schwaben bekam der amtierende Fraktionsvorsitzende Ulrich Singer. Er wird dem Lager der Ebner-Steiner-Gegner zugerechnet. Besagte Parteifreundin verletzte ihn, als sie mit der Faust gegen eine Corona-Schutzscheibe schlug und diese zu Bruch ging.
Die AfD in Mittelfranken hatte durch die Austritte von Raimond Swoboda und Ralf Müller den größten Aderlass zu beklagen. Der einzig verbliebene Abgeordnete, Ferdinand Mang aus dem Lager von Ebner-Steiner, findet sich dennoch auf der Liste nur auf Platz drei wieder. Spitzenkandidat ist mit dem Bezirksrat Johannes Meier (dort Nachrücker für Müller) aus Ansbach ein eher unbeschriebenes Blatt, der bislang nicht größer aufgefallen ist. Die Junge Alternative verkauft ihn in Telegram als ihren Kandidaten. Platz zwei nimmt die Bezirksrätin Elena Roon ein. Die AfD-Politikerin organisierte aus dem Milieu der Russlanddeutschen heraus nach Fake-Nachrichten Demonstrationen gegen die deutsche Zuwanderungspolitik. Zu ihren vielfältigen Skandalen gehörte etwa das Versenden von Hitlern-Bildern mit Aussagen wie er werde wieder in Deutschland gebraucht und Video mit der Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck. Eine AfD-interne Kommission entlastete Roon wegen angeblicher Sprachbarrieren. Innerparteilich geschadet hat ihr die Affäre nicht. Sie gehört seit dem letzten Wahlparteitag dem Landesvorstand an.
Die Ausgebooteten
Einzig in Oberbayern konnte sich mit dem Rosenheimer Andreas Winhart ein Vertreter des gegen Ebner-Steiner gerichteten Lagers innerhalb der Fraktion Platz eins sichern. Aber auch er ist inhaltlich kein „Kind von Traurigkeit“ wie schon in der Vergangenheit seine offensive Verwendung des N-Wortes zeigte, das ihn bis in die „Heute Show“ brachte. Bei seiner Bewerbung um die bayernweite Spitzenkandidatur war er chancenlos. Weitere Angehörige des Lagers, besonders Franz Bergmüller, der Gegenspieler von Ebner-Steiner, wurden bei der Aufstellungsversammlung durchgereicht. Der Rosenheimer erhielt nur Platz 18, kann aber mit einem guten Erststimmenergebnis und bezirksweiter Bekanntheit über als Gastronom und Verbandsvertreter eventuell noch hoffen.
Schwieriger wird es für den Münchner Uli Henkel, 2018 noch auf Platz zwei hinter Bergmüller, schneidet doch die AfD in Großstädten eher schlechter ab. Die 1955 geborene Anne Cyron, die im Fokus der „Umsturz-Chats“ stand und von Teilen der Landtagspresse ebenfalls den angeblich „Gemäßigten“ zugerechnet wurde, tritt nicht erneut an. Ebenso der deutlich jüngere Bamberger Abgeordnete Jan Schiffers, der in der Fraktion die AfD-Leib und Magenthemen „Lebensschutz“ und „Anti-LGBTQI“ bearbeitet hatte.
Weitere besonders Radikale auf dem Sprung
Die zukünftige AfD-Fraktion wird nicht nur den Frauenanteil im Landtag wieder nach unten drücken. Auf den meisten Bezirkslisten beträgt der Anteil der Kandidatinnen gerade mal 10 Prozent, in Oberfranken und Schwaben tritt für die AfD gar keine Frau an, in der Oberpfalz immerhin zwei von acht. Hinter den Spitzenkandidaten gibt es auch noch eine Reihe von jüngeren radikalen Kandidaten auf vorderen Plätzen, die zumindest die Mitglieder im Landtag sehen wollen.
In Oberbayern folgt auf Winhart der Ingolstädter Stadtrat Oskar Lipp. Er nahm 2018 etwa im Flügeltreffen in Greding teil und war in der letzten Legislatur erster Nachrücker in Oberbayern und gibt an, Mitarbeiter der Landtagsfraktion zu sein. Der Münchner Stadtrat Markus Walbrunn wird formal nicht dem Flügel zugerechnet. Er beteiligte sich kürzlich mit Mitgliedern der Jungen Alternative in München an einer provozierenden Banneraktion zur Bewerbung des homophoben extrem rechten Kampagnenclaims „Stolzmonat“. Für den amtierenden Landtagsabgeordneten Ingo Hahn aus dem Lager von Ebner-Steiner blieb immerhin Platz vier im Bezirk. Er war bei der Aufstellung der Bundestagsliste mehrfach gescheitert, die zerstrittene Fraktion im Maximilianeum gegen den Reichstag zu tauschen.
Platz fünf bekam der Freisinger Kandidat Tobias Teich. Er nahm sowohl am Flügeltreffen in Greding als auch an der „Compact-Grenzsschutzkonferenz“ in Garmisch teil. Bei früheren Recherchen zum AfD Kreisverband Freising waren Likes bei Aussagen wie „8.Mai – wir feiern nicht“ und intensive Kontakte zu Angehörigen der Identitären Bewegung aufgefallen. Kurz nach der Aufstellung äußerte Teich gegenüber Matthias Helferich, der es immer noch nicht geschafft hat, nach ihm zugeschriebenen Aussagen wie er sei „das nette Gesicht des NS“ wieder in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen zu werden, die Bereitschaft, sich von ihm im Wahlkampf unterstützen zu lassen.
Eingeladen wird Helferich noch im Juli von Benjamin Nolte. Der Burschenschafter war Teil des AfD-Landesvorstandes unter Martin Sichert, wurde allerdings in Folge von Ordnungsmaßnahmen aus dem Gremium ausgeschlossen. Das Ergebnis: Sichert wurde als Landesvorsitzender nicht wiedergewählt, hat mittlerweile das Bundesland verlassen und Nolte ist seit dem letzten Parteitag wieder Teil der Landesspitze. Er bekam auf der Bezirksliste Platz zehn. 2018 hatte er in Regensburg kandidiert und dürfte sich mit Platz zwei auf der Liste der AfD Oberpfalz auch Chancen ausgerechnet haben, allerdings wurde er von dem Polizisten Stefan Löw verdrängt. Nolte kandidiert nicht im für die AfD schwierigen München, sondern im Stimmkreis Weilheim-Schongau. Teil der Veranstaltung mit Helferich ist neben der Hamburger Abgeordneten Olga Petersen auch der Münchner Landtagskandidat und Kreisvorsitzende Rene Dierkes.
Zusammen mit Nolte wurde damals auch der Kulmbacher Georg Hock aus dem Landesvorstand ausgeschlossen. Hock war einer von zwei Ansprechpartnern des formal aufgelösten Flügels in Bayern. Auch er gehört mittlerweile wieder dem Landesvorstand an. Auf der Liste der AfD Oberfranken reichte es aber nur für Platz fünf. Weiter vorne gereiht auf Platz vier ist in Schwaben Simon Kuchlbauer. Der Name des Mitarbeiters der Landtagsfraktion findet auch bei den Unterzeichnern der Erfurter Resolution wieder, dem „Gründungsdokument“ des AfD-Flügels. In Schwaben stellte die AfD in der letzten Legislaturperiode vier Abgeordnete. Danach folgt mit Franz Schmid auf Platz sechs der Bundesschatzmeister der Jungen Alternative. Er hatte mit führenden Kadern der Identitären Bewegung unter dem Motto „Partei trifft Vorfeld“ im Landtag posiert.
Andreas Jurca auf Platz sieben machte vor allem durch seinen Streit mit seinem früheren Arbeitgeber, Markus Bayerbach, Schlagzeilen. Der inzwischen ausgetretene und abgewählte Vorsitzende des Bildungsausschusses hatte Jurca entlassen und wegen angeblich gefundener Bilder angezeigt, was eingestellt wurde. Er musste nicht lange nach einer neuen Anstellung suchen, sondern fand sie in der damals noch vom Ebner-Steiner-Lager dominierten Fraktion an gleicher Wirkungsstätte. Bayerbach hatte auch kurzzeitig zur Querdenker-Aktivistin aufgestiegene Vicky Richter beschäftigt. Trotz früherer Kontakte zu Skinhead-Kameradschaft „Voice of Anger“, die Allgäu Rechtsaußen thematisierte und mit denen der Bayerische Rundfunk die AfD-Landesspitze konfrontierte, wurde auch Patrick Herkomer Landtagskandidat der Partei. Er erhielt in Schwaben Platz neun von 13. In Mittelfranken findet sich mit Matthias Vogler zudem ein Teilnehmer des Flügeltreffens von 2019 in Greding auf Platz sieben wieder.