"Knockout 51"

„Knockout 51“-Prozess: Mehrjährige Haftstrafen für Neonazis

Knapp ein Jahr nach der Prozesseröffnung im August 2023 sind vor dem Oberlandesgericht Jena die Urteile gegen vier Mitglieder der neonazistischen Gruppierung „Knockout 51“ gefallen. Anders als die Bundesanwaltschaft betrachtet das Gericht die Gruppe nicht als terroristische Vereinigung.

Montag, 01. Juli 2024
Kai Budler
Die Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Jena, Foto: Kai Budler
Die Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Jena, Foto: Kai Budler

Wegen Mitgliedschaft in und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzungen, Verstößen gegen das Waffengesetz und anderer Delikte hat das Oberlandesgericht Jena (OLG) die vier angeklagten Neonazis aus der Gruppierung „Knockout 51“ am Montag zu Haftstrafen verurteilt.

Der Hauptangeklagte Leon R. wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, die Untersuchungshaft gegen ihn wurde aufgehoben. Bastian Ad. und Maximilian A. erhielten Haftstrafen von zweieinhalb beziehungsweise zwei Jahren und zwei Monaten. Der heute 21-jährige Eric K. wurde zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Ihm attestierte der Vorsitzende Richter Reifedefizite und einen nicht unerheblichen Erziehungsbedarf sowie vollkommene Empathielosigkeit.

Bundesanwaltschaft forderte deutliche höhere Haftstrafen

Die Bundesanwaltschaft hatte für R. als Rädelsführer eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren gefordert, für Ad. eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren und für A. vier Jahre und drei Monate. Bei K. plädierte die Strafverfolgungsbehörde auf eine Jugendstrafe von viereinhalb Jahren. Alle vier Angeklagten hätten sich vor allem der Mitgliedschaft sowohl in einer kriminellen als auch einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht, hieß es im Plädoyer der Bundesanwaltschaft.

Die Verteidigung hatte für R. eine dreijährige Haftstrafe und für die Mitangeklagten eine Bewährungsstrafe, eine Geldstrafe und einen Freispruch gefordert. In ihrer Anklage aus dem April 2023 hatte die Generalbundesanwaltschaft „Knockout 51“ als terroristische Vereinigung gemäß §129a StGB bezeichnet, die darauf ausgerichtet sei, Mord oder Totschlag zu begehen. Neben anderen Delikten erhob sie gegen die vier Neonazis Anklage als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung.

Terroristische Vereinigung als „juristisches Konstrukt“?

Doch der Senat des OLG hatte schon bei der Prozesseröffnung im August 2023 deutlich gemacht, dass er dieser Einschätzung nicht folgt. Die GBA liege falsch, betonte der Richter auch am letzten Verhandlungstag. Er wies auf die Definition im Strafgesetzbuch hin und bezeichnete den Vorwurf der GBA als „juristisches Konstrukt“, das nicht einleuchte.

Stattdessen hatte sie die Neonazis wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt, die eine eindeutig rechtsextreme Grundausrichtung habe. Keineswegs sei die Gruppe eine unpolitische Sportgruppe gewesen, wie die Verteidigung in ihren Plädoyers behauptet hatte. Die vier Neonazis waren bei bundesweiten Durchsuchungen im April 2022 festgenommen worden. Zwei Jahre nach ihrer Festnahme hob das OLG die Untersuchungshaft gegen An., A. und K. auf, weil eine „weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft angesichts der Straferwartung nicht mehr verhältnismäßig“ sei.

Opferberatung spricht von Täter-Opfer-Umkehr

Die Thüringer Opferberatungsstelle ezra erklärte, die fehlende Einordnung als rechtsterroristische Vereinigung sei eine gefährliche Verharmlosung des gezielten Vorgehens von „Knockout 51“, das auch mit Tötungsabsichten verbunden gewesen sei. Die Urteilsbegründung, die mit einer vermeintlichen Notwehr argumentiert, sei nicht nur eine Täter-Opfer-Umkehr, sondern legitimiere die angeklagten Taten. Der Prozess habe deutlich gemacht, dass sich eine rechtsterroristische Struktur auch im Herkunftsland des NSU weitestgehend ungestört habe etablieren können.

Mit den jetzigen Urteilen ist die juristische Aufarbeitung des Neonazi-Netzwerks aus dem Raum Eisenach nicht zu Ende. Erst im Dezember 2023 waren drei weitere Männer festgenommen worden. Zwei von ihnen sitzen weiterhin in Haft und warten auf ihren Prozess. Sie gehören zu den zehn gesondert verfolgten Personen im Komplex „Knockout 51“ und waren mit Anklageerhebung gegen die vier jetzt Verurteilten aus dem Verfahren abgetrennt worden.

Auch in Polizeikreisen dauern die Ermittlungen an. Zwar wurden sie gegen einen Staatsschutzbeamten aus Eisenach eingestellt, gegen fünf weitere Beamte wird jedoch weiterhin ermittelt, weil sie im Verdacht stehen, Informationen an Neonazis von „Knockout 51“ weitergegeben zu haben.

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