„Heldengedenken“

Alt- und Neonazis marschierten am SS-Ehrenmal in Marienfels auf. Die Taunusgemeinde will keine „Pilgerstätte“ für Rechtsextremisten sein.

Donnerstag, 27. November 2003
Tomas Sager

Totenehrung neben dem Marienfelser Friedhof. 250 Neonazis haben sich auf der Wiese im Rechteck aufgebaut, vorne am Lautsprecherwagen ihre Vorbilder: Alt-SS’ler, die ungebrochen zu ihrer Vergangenheit stehen. Sepp Biber, der sich als knapp 17-Jähriger freiwillig zur SS-Division „Hitlerjugend“ meldete und nach dem Krieg bei der Wiking-Jugend braunen Nachwuchs rekrutierte, ist einer von ihnen. Vom „Endkampf für unser geliebtes Deutschland“ schwadroniert er, erzählt dem mit leuchtenden Augen lauschenden Jungvolk von den „ungeheuren Leistungen“ der SS-Divisionen. Der Hamburger Thomas Wulff, der an diesem 22. November beim Aufmarsch der Alt- und Neonazis in Marienfels Regie führt, leitet auch das Heldengedenken. „Ich rufe die Toten der Waffen-SS und unserer europäischen Verbündeten“, spricht er ins Mikrofon und erntet ein 250-faches: „Hier!“ „Ich hatt’ einen Kameraden“, singen die Alten und die Jungen, dann noch die erste Strophe des Deutschlandlieds, ehe sie abziehen und sich Ruhe über das 370-Einwohner-Dörfchen im Westtaunus senkt.

Den Friedhof dürfen sie an diesem Samstag nicht betreten. Dort befindet sich seit jetzt 32 Jahren das Objekt alt- und neonazistischer Begierde. 1971 hatte der Gemeinderat von Marienfels dem „Kameradschaftsverband der Soldaten des 1. Panzerkorps der ehemaligen Waffen-SS e.V.“ grünes Licht für den Bau des wuchtigen Ehrenmals gegeben. Dort steht es nun seit mehr als drei Jahrzehnten etwas oberhalb jenes Denkmals, das die Gemeinde für die Toten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs gebaut hat. Alljährlich rückten zum – je nach Geschmack – Volkstrauertag oder Heldengedenktag die alten Kameraden am SS-Ehrenmal an, um das auszudrücken, was oben auf dem Gedenkstein steht: „Treue um Treue“. Doch es kamen nicht nur die Alten und deren Familienangehörige, berichtet Bürgermeister Axel Harlos. Vor allem in den letzten drei, vier Jahren, sagt er, kamen auch Jüngere, und es seien nicht nur Söhne oder Enkel der Alten gewesen. Marienfels wollte nicht zur „Pilgerstätte“ für Neonazis werden, und so verlangte die Gemeinde nach Ablauf des auf 30 Jahre geschlossenen Pachtvertrages, die Feierlichkeiten des Kameradschaftsverbandes auf deren Mitglieder und Familienangehörige zu beschränken – oder das SS-Ehrenmal abzureißen.

Der Kameradschaftsverband mochte aber auf seine Gäste nicht verzichten. „Am Volkstrauertag hat doch wohl jeder Deutsche das Recht, an den Gedenkveranstaltungen teilzunehmen“, erklärte der Vorsitzende Claus Cordsen in einem Interview der „Jungen Freiheit“ – und unterschlug, dass es in Marienfels eine Gedenkveranstaltung von Gemeinde und Kirche gibt, an der jeder teilnehmen kann, ohne sogleich ein Bekenntnis zu SS-Einheiten abzugeben. Für eine breite Ratsmehrheit blieb damit nur die Forderung, das Ehrenmal zu entfernen.

Bei der „Jungen Freiheit“ fanden die alten Kameraden Fürsprecher. Unter Überschriften wie „Dem Vergessen preisgeben“ und „‘Zum Abschuss frei’“ startete das Blatt im September eine Kampagne für das Denkmal und gegen Bürgermeister Harlos sowie den evangelischen Pfarrer Mathias Moos. Im Oktober stimmte auch die Hardcore-Fraktion der Rechtsextremisten ein. „Wir können es nicht widerstandslos hinnehmen, dass das Heldengedenken der Waffen-SS verboten und das Ehrenmal zerstört wird“, meinte das Aktionsbüro Nord, das zu der Demonstration am 22. November einlud. Der Neonazi Ralph Tegethoff, Autor eines im Deutsche-Stimme-Verlag erschienenen Buches über Otto Ernst Remer, rief bei einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Dortmund zu dem Aufmarsch in Marienfels auf. Konterfeis von Harlos und Moos fanden sich im Internet. Und im Ort verteilten Rechtsextreme Flugblätter mit der Aufforderung: „Harlos muss weg!“

Der konnte jetzt bei der Demonstration, zu der das „Ehrenkomitee 8. Mai“, NPD’ler und „Freie Kameradschaften“ geladen hatten, hören, was Neonazis den „vaterlandslosen Gesellen im Marienfelser Gemeinderat“, so Timo Pradel, Vize der NPD in NRW, im Grunde ihres Herzens wünschen: „Wer in einem anderen Land etwas Derartiges fordern würde, würde unweigerlich und zu Recht am nächsten Baum oder an der nächsten Laterne aufgehängt.“ Und deutlich wurde, welcher Gesinnung die Leute sind, die das Denkmal nach Marienfels lockt. „In Deutschland gab es den nationalen Sozialismus“, rief Altnazi Otto Riehs, das Ritterkreuz stolz am Hals tragend, seinen Zuhörern zu, „und den befürworte ich heute noch.“

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