Flucht ins Ausland

„Goodbye Germany“ - Der „patriotische Kampf“ aus dem Ausland

Obwohl sich zentrale Akteure der verschwörungsideologischen und rechten Szene oft betont „patriotisch“ geben, verschlägt es viele dauerhaft ins Ausland. Nicht selten stellt dies einen Versuch dar, einer zu erwartenden Strafverfolgung zu entgehen.

Freitag, 20. Mai 2022
Florian Schäfer
Bereits 2015 setzte sich Verschwörungsideologe Oliver Janich ins Ausland ab, Foto: Screenshot
Bereits 2015 setzte sich Verschwörungsideologe Oliver Janich ins Ausland ab, Foto: Screenshot

Für Deutschland will der „stolze echte Nazi“ kämpfen, „hier bald der neue Staatschef“ werden. Trotz dieser großspurigen Ankündigung setzte sich der ehemalige Vegan-Koch, Attila Hildmann, zum Jahreswechsel 2020/21 aus Angst vor Strafverfolgung in die Türkei ab. Wie sich später herausstellte, erfuhr Hildmann durch eine Justizmitarbeiterin von einem bevorstehenden Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Volksverhetzung.

Dabei ist er nicht der einzige prominente Protagonist der Szene, der sich – zumindest vorübergehend – in Ausland absetzte. Den sich neuerdings als geläutert gebenden Xavier Naidoo zog es für mehrere Monate in das spanische Marbella. Zu denken wäre ferner an den als „Volkslehrer“ bekannten, verurteilten Holocaust-Leugner Nikolai Nerling. Dieser war Ende vergangenen Jahres kurzzeitig nach Brasilien „ausgewandert“ – wohl auch um einer Verhaftung durch deutsche Behörden zu entgehen. Auch wenn es sich im Gros der Auswanderungen um ein rezentes Phänomen handelt, hat ein Akteur diesen Schritt schon deutlich eher begangen.

Oliver Janich

Die Rede ist vom ehemaligen Wirtschaftsjournalisten und rechten Verschwörungsideologen Oliver Janich. Bereits 2015 ist er auf die Philippinen auf die Insel Tablas ausgewandert und heizt dementsprechend seit Jahren nur noch online seinen deutschen Followern ein. Er gilt unter anderem als eines der ersten deutschen Sprachrohre für den US-amerikanischen QAnon-Mythos. „Mein Grund auszuwandern war der Zusammenbruch des Finanzsystems“, hatte Janich 2016 in einem Youtube-Interview erklärt. Praktischerweise bietet Janich Gleichgesinnten gleich krisensichere Zuflüchte. So hat er ein Jahr nach seiner Einwanderung auf die Philippinen mit seinem Geschäftspartner Michael Becker eine Auswandererkolonie namens „Project Escape“ gegründet. Juristisch gesehen dürfte es für Janich von Vorteil sein, nicht in Deutschland zu weilen – schließlich forderte er noch im Dezember 2021 die standrechtliche Erschießung aller Regierungsmitglieder.

Eva Herman

Die unlängst ins rechte Milieu abgedriftete, ehemalige Tagesschau-Sprecherin, Eva Herman, lebt ebenfalls seit geraumer Zeit nicht mehr in Deutschland. Mit ihrem nicht minder verschwörungsideologischen Lebenspartner, Andreas Popp, hat sie sich im kanadischen Nova Scotia niedergelassen. Vor zwei Jahren gerieten sie und Popp in die Schlagzeilen, nachdem Recherchen des Spiegels nahelegten, sie würden mit dem Reichsbürger Frank Eckhardt auf der Insel Cape Breton die Ansiedlung rechtsextremer Deutscher forcieren.

Zur Zeit produzieren Herman und Popp mehrfach in der Woche ein ideologisch stark gefärbtes „Nachrichtenformat“, welches vor allem dazu dient, apokalyptische Szenarien eines unmittelbar bevorstehenden Untergangs von Staat und Wirtschaft zu beschwören. Passend dazu werden in ihrem Telegram-Kanal, welcher mit über 210.000 Abonnenten überdurchschnittlich einflussreich ist, Notstromaggregate des rechts-esoterischen Kopp-Verlags verlinkt. Es drängt sich so der Eindruck auf, dass die durch das Paar aufgebaute, imaginierte Bedrohungslage vor allem den Zweck verfolgt, die Gelder der verunsicherten Follower „den richtigen Stellen“ zukommen zu lassen - sie also innerhalb der Szene bleiben.

Bodo Schiffmann

Der HNO-Arzt und QAnon-Verschwörungsideologe Bodo Schiffmann, welcher sich innerhalb der Querdenker-Szene als Führungsfigur hervortun konnte, ist mit seiner Frau vor knapp einem Jahr nach Tansania ausgewandert. Als Grund nannte er erhaltene Morddrohungen sowie eine angeblich mangelnde Rechtsstaatlichkeit Deutschlands. Tatsächlich scheint Schiffmanns Auswanderung in engem Zusammenhang mit gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren zu stehen. So war seine Praxis in Sinsheim bereits 2020 Gegenstand von polizeilichen Durchsuchungen geworden, da er Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben soll, ohne die Personen untersucht zu haben. Vor knapp einem Monat hat die Heidelberger Staatsanwaltschaft nun bekannt gegeben, dass sie in mehreren Punkten Anklage gegen Schiffmann und seine Frau erhoben hat.

Trotz seiner physischen Abwesenheit ist Schiffmann nach wie vor innerhalb der Szene sehr einflussreich. Mittels Telegram streut er verschwörungsideologische und „systemkritische“ Inhalte unter seinen über 160.000 Telegram-Followern. Auch hindert es ihn nicht auf deutschen Querdenker-Demonstrationen in Erscheinung zu treten – wenn auch nur telefonisch. So ließ man Schiffmann auf der letzten Samstag in Hannover stattgefundenen Querdenker-Demonstration per Smartphone eine Rede halten. In dieser diskreditierte er deutsche Politiker:innen als vermeintlich homosexuell und ungebildet. Aber auch NS-Relativierungen ließ sich Schiffmann nicht nehmen. Etwa wenn er sich und die Bewegung in Nachfolge der durch die Nationalsozialisten ermordeten Geschwister Scholl zum Widerstand stilisiert. In seinem Telegram-Kanal teilte Schiffmann zuletzt ein Video von der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

Carola Javid-Kistel

Ebenfalls aus Deutschland geflüchtet und durch NS- und Holocaust-Relativierung aufgefallen, ist die Duderstädter Ärztin Carola Javid-Kistel. Sie organisierte nicht nur mehrere Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Duderstadt, Mitte Februar verglich sie gar die Corona-Schutzimpfungen mit dem Holocaust. Was derzeit in Deutschland passiere, sei sogar „schlimmer als der Holocaust“, soll sie verlautbart haben. Neben dem Straftatbestand der Volksverhetzung wird gegen Javid-Kistel derzeit auch wegen des mutmaßlichen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse ermittelt. Laut eigener Angabe stellt dies aber nicht den Grund für ihre Flucht dar. Nachdem sie sich Anfang des Jahres weigerte, nach ihrer Einreise aus einem Hochrisikogebiet in Quarantäne zu gehen und stattdessen mehrere Querdenker-Veranstaltungen besuchte und sogar Patienten behandelte, wurde sie in ihren Praxisräumen von der Polizei aufgesucht. Seitdem hält sich Javid-Kistel in Mexiko auf.

Ähnlich wie Schiffmann würde sie sich in „Deutschland nicht mehr sicher fühlen“. Die „Jagd“ auf sie und die Diskreditierung ihrer Person soll ihr eine posttraumatische Belastungsstörung beschert haben. Von Mexiko aus warnt Javid-Kistel nun über ihren Telegram-Kanal vor dem angeblichen „Great Reset“, einem drohenden „Dritten Weltkrieg“ und natürlich vor „schwersten Impfschäden“. Allerdings scheint Javid-Kistel aufgrund ihrer Ideologisierung nicht alle Impfstoffe pauschal abzulehnen. So teilt sie in ihrem Telegram-Kanal eine offensichtliche Satire-Nachricht über den russischen Impfstoff „Sputnik V“. Dieser würde angeblich das Haarwachstum unterstützen wie „für eine gesunde Darmflora“ sorgen – dies würden „zufriedene Sputnik-V Kunden berichten“. In einem Video von vergangenem Mittwoch schließt sie eine baldige Rückkehr ihrer Person indes aus: Sie wäre laut eigener Aussage weder verhandlungs- noch reisefähig, zu den anstehenden Prozessen würde sie „nicht erscheinen können“.

Ignaz Bearth

Weil er in seiner Heimat, der Schweiz, vermeintlich „politisch verfolgt werde“, hat sich der rechtsextreme Ex-Politiker Ignaz Bearth im Juli 2021 entschieden, dauerhaft nach Ungarn auszuwandern. Bearth, welcher bereits 2013 die ungarische rechtsextreme Jobbik-Partei in ihrem Wahlkampf unterstütze, hatte 2015 erfolglos versucht, Pegida in Zürich zu etablieren. Nachdem es um ihn infolge eines Skandals um gekaufte Facebook-Likes ein wenig ruhiger wurde, gelang es ihm, sich im Zuge der Corona-Pandemie auch mit der Querdenken-Szene zu verbrüdern. So waren Michael Ballweg oder auch Bodo Schiffman bei ihm in seinen fast täglich stattfindenden Livestreams zu Gast.

In einem Interview mit der rechten Zeitschrift „Info Direkt“ gab Bearth an, in seiner Auswanderung keinen Widerspruch zu seinem „Patriotismus“ zu sehen. Auch sei er eben kein „illegaler Wirtschaftsmigrant“, mit dem „im Kontext zum Great Reset vor allem die Umvolkung“ vorangetrieben werden solle. Klassisch rassistisch argumentierend könne in seinem Fall eher „von qualifizierter Migration aus kulturaffinen europäischen Nationen“ die Rede sein. Am Donnerstag trat Bearth bei einer Veranstaltung der von ihm so betitelten „Deutschsprachigen Gemeinschaft Balaton“ auf – zusammen mit dem rechtspopulistischen Österreicher Hans-Christian Strache von der FPÖ.

Volksverhetzung fällt nicht unter Meinungsfreiheit

Letztlich lässt sich festhalten, dass sich der Anreiz für eine Auswanderung in vielen Fällen aus dem Bedürfnis ergibt, sich einer Strafverfolgung durch deutsche Behörden zu entziehen. Während im Falle von Hildmann und Javid-Kistel nicht von einer baldigen Rückkehr ausgegangen werden kann – zumindest nicht um sich den strafrechtlichen Konsequenzen zu stellen –  lässt Schiffmann-Anwalt Künnemann verlautbaren, dass sein Mandat kein Problem damit habe, „sich der deutschen Justiz zu stellen“. Davon abgesehen eint jedoch alle ausgewanderten Verschwörungsideologen die Überzeugung, in ihrer Heimat Opfer einer angeblichen politischen Verfolgung zu sein – wobei von den Akteuren justiziable Aussagen allzu oft mit „Meinungsfreiheit“ verwechselt werden.

Auch lässt sich wohl nicht attestieren, dass die Auswanderungen vieler zentraler Protagonisten mit einer „Entschleunigung“ rechter und verschwörungsideologischer Milieus einhergeht. Lokale Strukturen müssen unter Umständen zwar neugeordnet und Hierarchien neu verhandelt werden – einflussreich bleiben Herman & Co. dennoch: Auf digitalem Wege verbreiten sie weiterhin rassistische, antisemitische und verschwörungsideologische Propaganda.

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