Geschichtsbilder im neueren Rechtsextremismus
Die Holocaust- und Kriegsschuldleugnung ist für den neueren Rechtsextremismus nicht mehr so wichtig, eher erfolgen bezogen auf den historischen Nationalsozialismus inhaltliche Umdeutungen. Nicht nur darauf macht in dem Buch „Das Deutsche Demokratische Reich“ der Historiker Volker Weiß aufmerksam.

Wie wird die Geschichte von den neueren Rechtsextremisten gedeutet? Frühere Auffassungen, wozu etwa die Holocaust- und Kriegsschuld-Leugnung zählten, stehen nicht mehr im Zentrum. Eher erfolgt hinsichtlich des historischen Nationalsozialismus eine inhaltliche Umdeutung. Dabei rechnet man ihn etwa der politischen Linken zu, um die politische Rechte moralisch-politisch zu entlasten. Es handelt sich hierbei aber nur um ein Beispiel für die politische Instrumentalisierung, die mit Geschichtsinterpretationen des gemeinten politischen Lagers verbunden ist.
Darauf macht der Historiker Volker Weiß aufmerksam, legte er doch ein ganzes Buch genau zu diesem Komplex vor: „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört.“ Der Haupttitel wirkt wie eine etwas unglückliche Wahl, kann er doch Irritationen und Missverständnisse auslösen. Denn es geht nicht um eine neue Reichskonzeption, sondern eben um Vergangenheitsmodelle, genauer um die damit einhergehende Geschichtspolitik.
„Überschreibungen und Umdeutungen des Historischen“
Der Autor spricht von „den Überschreibungen und Umdeutungen des Historischen, mit denen in der Gegenwart massiv Politik gemacht wird“. Dazu arbeitet er sich an unterschiedlichen Beispielen in dem Buch ab, wobei die einzelnen Kapitel auch für sich als Lektürestoff stehen können. Möglicherweise ist bezogen auf die Inhalte eine andere Reihenfolge empfehlenswert, wird doch das bedeutsame Bild vom Nationalsozialismus erst spät thematisiert.
Am Beginn steht die Entwicklung von Geschichtsbildern im gegenwärtigen Russland, insbesondere bezogen auf den Konflikt in der Ukraine. Aber auch die Bezüge der unterschiedlichen deutschen Rechtsextremisten darauf stehen in den Schilderungen im Zentrum. Ein Alexander Dugin, der ein bedeutsamer Geschichtsdeuter in Russland selbst ist, fand und findet auch dort eine breitere Wahrnehmung. „Die deutsche Rechte im Ost-Dilemma“ steht danach bei Weiß im inhaltlichen Zentrum. Hierbei spürt er den Ambivalenzen diesem politischen Lager mit differenzierten Statements nach.
„Umdeutungen des Nationalsozialismus“
Anschließend geht es um „Versuche zur Umdeutung des Nationalsozialismus“, insbesondere bezogen auf „die Legende von den ‚linken Nazis‘“. Diese Analysen entstanden vor der Bekundung von Alice Weidel, wonach Hitler angeblich ein „Kommunist“ und „Linker“ gewesen sei. Insofern traf der Autor hier einen Diskurs, bevor er ein öffentliches Thema war. Dabei macht er auf frühere Fälle in ähnlicher Form aufmerksam, gingen damit doch bereits mehrfach einschlägige Fehldeutungen und Instrumentalisierungen einher.
Der gelernte Historiker liefert dabei interessante Quellenarbeit, weist er doch bezogen auf ein angebliches Goebbels-Zitat nach, dass es dafür überhaupt keine abgesicherten Belege gibt. Deutlich wird dabei aus ideengeschichtlicher Betrachtung, wie es zur „Genese des ‚Deutschen Sozialismus‘“ kam, wozu es aber auch schon eine breit entwickelte Forschung gibt, worauf Weiß sich entsprechend stützte. Aufklärerische Erinnerungen sind aber angesichts einschlägiger Fehldeutungen immer wieder wichtig, was hier für einen Verdienst von Weiß steht.
„Antikommunistische DDR-Nostalgie“
Abschließend geht es um das gemeinte „Deutsche Demokratische Reich“ als antikommunistische DDR-Nostalgie. Erst hier wird durch die einschlägigen Erläuterungen deutlich, was der Buchtitel eigentlich meint. Denn die DDR erscheint bei den neueren Rechtsextremisten keineswegs nur in negativer Wahrnehmung. Der Autor spricht treffend von dem „Paradox einer antikommunistischen DDR-Nostalgie“, was sich aus der Faszination damaliger geschlossener Gesellschaftsmodelle für manche Menschen erklärt.
Deutlich werden an Beispielen entsprechende Bezüge veranschaulicht, etwa angesichts der Erinnerung an angeblich fehlende „Hilfebereitschaft“ und „Mitmenschlichkeit“. Bilanzierend heißt es: „Rechte Bewegungen und Nationalismen jeder Art, die ihre Identität aus einer verklärten Vergangenheit schöpfen, legen besonderen Wert auf Geschichtspolitik“. Anhand vieler Beispiele wird diese Funktion überzeugend herausgearbeitet, darin ist der bedeutsame Erkenntnisgewinn der Monographie zu sehen.
Volker Weiß, Das deutsche demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört, Stuttgart 2025 (Klett-Cotta-Verlag), 288 Seiten, 25 Euro