Chemnitz
Fünf Jahre Chemnitz: Die AfD beflügelt brutale Kräfte
Vor fünf Jahren kam es in Chemnitz zu einer Bluttat. Die extreme Rechte nutzte diese für rassistische und fremdenfeindliche Mobilisierung. Am 1. September 2018 kam es dann zum Schulterschluss zwischen AfD und der militanten Szene. Teilnehmer der antifaschistischen Gegenproteste wurden angegriffen, darunter Sozialdemokraten und Jusos aus dem hessischen Marburg.

In einigen Monaten beginnt die juristische Aufarbeitung in Chemnitz. Anlässlich des Jahrestages sprach ENDSTATION RECHTS. mit einem Betroffenen über die damaligen Angriffe: mit der SPD-Mitglied Georg Simonsky.
Wie fühlt es sich für die Opfer an, so lange auf einen Prozess zu warten?
Georg Simonsky: Das ist natürlich kein gutes Gefühl, ganz besonders nicht für Menschen, die an ihrer Gesundheit geschädigt wurden. Man möchte natürlich schon erwarten dürfen, dass, wenn ein Verbrechen begangen wird, auch für die daran Beteiligten schnell eine Strafe erfolgt. Nur so lernt man es ja, dass der Staat reagiert, wenn man etwas macht, was nicht erlaubt ist. Das ist ja ein schwerwiegender Angriff gewesen und da finde ich schon, da muss die Justiz schneller reagieren.
Kommen wir zu Chemnitz: In der Stadt war tagelang eine enorm aufgeheizte, radikalisierte und aggressive Stimmung. Spürten Sie diese bei Ihrer Ankunft im Reisebus schon?
Das stellte sich für uns erstmal nicht so dar. Wir sind in der Innenstadt angekommen und wir haben natürlich die Polizeipräsenz wahrgenommen, weil wir auch wussten, dass an dem Tag eine Veranstaltung der Rechten stattfindet. Wir sind dann zu dem Bürgerfest „Herz statt Hetze“ gegangen. Da war eigentlich eine solidarische Stimmung mit vielen Menschen. Es gab Redebeiträge und das lief soweit alles friedlich.
Welches Gefühle hatten Sie während der Demonstration? Eskalierte es dabei schon?
Es gab natürlich Absperrungen und man wusste, dahinten ist die andere, rechte Demo. Aber es gab bei uns keine Auseinandersetzungen, die ich wahrgenommen hatte.
Auf dem Rückweg zum Bus wurden Ihre Reisegruppe attackiert?
Wir mussten durch einen kleinen Park. Als wir aus diesem Park rauskamen und der Bus gar nicht mehr so weit entfernt war, kam von der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gruppe auf uns zugelaufen, die uns dann angegriffen hat.
Suchten die Angreifer sich dabei gezielt Menschen aus, die sie systematisch oder besonders brutal angriffen?
Unsere Gruppe trug Fahnen bei sich, aus der Ferne vorwiegend als rote Fahnen zu sehen, also Jusos- und SPD-Fahnen. Man kann sagen, dass der Angriff schon gezielt war. Das ganze hat gar nicht so lange gedauert, aber es sind sehr viele Details passiert. Auf jeden Fall gingen sie auf uns los. Ich selbst konnte noch weglaufen und habe die Polizei angerufen. Aber Leuten, die Fahnen dabei hatten, wurden sie weggenommen und Fahnenstangen zum Teil zerbrochen.
Wer wurde körperlich angegriffen?
Es gab Personen, die haben Schläge abbekommen, eine Person auch auf dem Kopf. Und jemand in der Gruppe, der deutlich als jemand zu erkennen war, der Migrationshintergrund hat, den man sich gezielt ausgesucht hat. Angreifer liefen hinter ihm her, als er in den Park floh. Und, wie wir dann später erfahren haben, haben sie ihn nicht bekommen. Aber er hatte natürlich Todesangst.
Der Hessische Rundfunk berichtete, die Angreifer seien teils bekannte Neonazis und Kampfsportler gewesen?
Das habe ich auch gelesen. Dass das Täter der rechten Szene sind, das hat sich uns allen erschlossen – wegen Aussagen wie „Deutschlandverräter“ konnte man darauf schließen. Dass das bekannte Neonazis und Kampfsportler sind, das wussten wir damals natürlich nicht. Ich habe persönlich auch niemanden wiedererkannt. Das ist auch das Spannende an den beginnenden Verfahren, ob da noch Menschen Leute wiedererkennen. Die sind ja nicht grundlos angeklagt. Aber an dem Abend selbst gab es in Chemnitz noch weitere Vorkommnisse.
Der spätere Mörder von Walter Lübcke, dem Regierungspräsidenten in Kassel, war am selben Tag in Chemnitz wie Sie, er war in der extrem rechten Versammlung. Monate später wurde er, sozusagen als (früherer) Neonazi aus Hessen und nunmehr rechtsextremer AfD-Sympathisant, zum Mörder. War Ihrer Meinung nach die AfD 2018 etwas ähnliches wie der parlamentarische Rückzugsraum für militante Rechte?
Es zeigt halt schon, dass die Geisteshaltung der Leute sich sehr ähnelt. Und dass auch brutale Kräfte eine Plattform gefunden haben, um ihre kranken Ideen ausleben zu können. Die AfD beflügelt hier in unserem Land solche Leute, gibt ihnen auch den Raum, um sich entfalten zu können.
Das Interview führte Michael Klarmann.