Yeboah-Prozess

Ex-Neonazi-Skinhead soll weiteren Mordversuch begangen haben

Im Mordprozess um den rassistischen Brandanschlag in Saarlouis vor fast 32 Jahren erheben Zeugen neue Vorwürfe gegen den Angeklagten: Peter Werner S. soll 1996 versucht haben, einen abtrünnigen Neonazi-Kameraden vom Balkon in den Tod zu stoßen. Von den vielen ehemaligen Szene-Angehörigen, die das Gericht vernimmt, wollen sich die wenigsten so klar äußern.

Dienstag, 27. Juni 2023
Joachim F. Tornau
Zivilgesellschaftliche Initiativen protestieren vor Prozessbeginn, Foto: Joachim Tornau
Zivilgesellschaftliche Initiativen protestieren vor Prozessbeginn, Foto: Joachim Tornau

Der Mann auf dem Zeugenstuhl schluchzt, seine Anwältin beugt sich zu ihm, versucht ihn zu beruhigen. „Das ist alles Vergangenheit“, flüstert sie. „Der kann Ihnen nichts mehr tun.“ Gerade hat der 48-Jährige erzählt, was ihm passiert sein soll, als er sich vor mehr als einem Vierteljahrhundert aus der Neonazi-Szene von Saarlouis verabschiedet hatte. Was ihm jener Mann angetan haben soll, der jetzt nur wenige Meter von ihm entfernt auf der Anklagebank im Koblenzer Oberlandesgericht sitzt: Peter Werner S., einstiger Aktivposten der neonazistischen Skinhead-Szene im Saarland und angeklagt wegen des rassistischen Mordes an Samuel Yeboah vor fast 32 Jahren.

Seine Beteiligung an dem tödlichen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 hat der Angeklagte gestanden. Doch wenn stimmt, was der um Fassung ringende Zeuge am Dienstag berichtet, dann hat Peter Werner S. später noch einmal versucht zu morden.

Weiterer Mordversuch?

Eine Gruppe von Neonazis, darunter der heute 52 Jahre alte Angeklagte, sei eines Nachmittags in der Wohnung seiner Freundin in Dillingen aufgetaucht, wohin er sich nach einem anonymen Drohanruf geflüchtet habe, erzählt der gelernte Maler aus Rehlingen. Sie hätten randaliert, Möbel umgeworfen, mit Springerstiefeln auf ihn eingetreten. Und Peter Werner S. habe versucht, ihn über die Balkonbrüstung zu stoßen. Im dritten Stock. Warum? „Ich weiß es nicht“, sagt der Mann. „Ich vermute, weil ich mich von der Szene distanziert hatte.“

Gleich nach ihm tritt einer, der damals, es soll 1996 gewesen sein, zu den Angreifern gehörte, in den Zeugenstand und bestätigt die Geschichte. „An dem Tag hieß es, dass er eine Packung bekommen soll“, sagt der 46-Jährige aus Merzig, der während seiner Zeit als Neonazi-Skinhead, wie er offen zugibt, auch selbst gerne zugeschlagen hat. Doch der Angriff auf den früheren Kameraden habe ihn „stark geschockt“, beteuert der Wirtschaftsingenieur. „Herzzerreißend“, sagt er, habe der Mann geschrien. „Das habe ich noch nie in meinem Leben erlebt“.

„Schelmisches Lachen“

Ermittelt wurde nach diesem mutmaßlichen Mordversuch jedoch offenbar nie. Die von Nachbarn gerufene Polizei soll sich damit zufriedengegeben haben, dass der Angegriffene – „aus Angst“, wie er erklärt – keine Anzeige erstatten wollte, und wieder abgezogen sein. Dabei hätten die Beamten bei einem derart gravierenden Tatverdacht schon von Amts wegen ein Verfahren einleiten müssen. Ungewöhnlich wäre eine derartige Ignoranz zu jener Zeit nicht gewesen: Auch nach dem Brandanschlag in Saarlouis hatte die Polizei nur sehr halbherzig in der rechten Szene ermittelt.

Beide Zeugen wollen erst nach der rassistischen Tat in die Szene gekommen und recht schnell wieder ausgestiegen sein. Beide aber erinnern sich an Treffen der Saarlouiser Skinheads in den frühen neunziger Jahren, bei denen Zeitungsartikel über den Brandanschlag hervorgekramt worden seien – begleitet von „zynischem Grinsen“ oder „schelmischem Lachen“ des Angeklagten. „Die Vermutung war immer, dass er was damit zu tun hatte“, sagt der 48-Jährige. Aber war es Peter Werner S. allein?

„Gottkaiser“

Die Bundesanwaltschaft ermittelt noch gegen zwei weitere Männer: gegen Heiko S., einen wenige Jahre nach dem Anschlag aus der Szene ausgestiegenen Ex-Neonazi, den der Angeklagte in seinem Geständnis zum Haupttäter erklärt hat. Und gegen Peter St., den langjährigen Anführer der Saarlouiser Neonazis, den er von jeglicher Mitwisserschaft oder gar Tatbeteiligung freizusprechen versucht hat. Die Anklagebehörde aber glaubt, dass der Kameradschaftschef seinen Freund zu der mörderischen Tat aufgefordert haben könnte, und hat den 54-Jährigen deshalb kürzlich sogar in Untersuchungshaft genommen.

Etliche ehemalige Mitglieder der neonazistischen Skinheadszene des Saarlands hat das Gericht mittlerweile vernommen. Zu Heiko S., dem angeblichen Haupttäter, ist ihnen allen bemerkenswert wenig eingefallen. Zu Peter St. und zum Angeklagten dagegen umso mehr. Als „Psychopath“ und „Gottkaiser“ beschrieb den Kameradschaftsführer ein Mann, der nach eigenen Angaben zwei Jahrzehnte sehr aktiv in der rechten Szene war, unter anderem in der NPD und dem später verbotenen Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“, der aber immer „unpolitisch“ gewesen sein will. Peter St. sei empathielos, mitleidlos, manipulierend, sagte der 50-jährige Servicetechniker aus St. Ingbert. Und: „Er war der Kopf. An dem haben sich in Saarlouis alle orientiert.“

Zeugen mit auffälligen Erinnerungslücken

Ein 49-jähriger Ex-Skinhead aus Saarlouis konnte oder wollte sich an kaum noch etwas erinnern, wusste aber zumindest eines noch: wie Peter St. und der Angeklagte nach dem Anschlag gemeinsam darauf gedrungen hätten, dass ihre Kameraden bei der Polizei keinerlei Aussage machen sollten. Hektisch und nervös hätten sie auf ihn gewirkt, sagte der Zeuge. „Das war verdächtig, eindeutig verdächtig.“

In seinem Geständnis hatte Peter Werner S. seinem Freund, dem Neonazi-Führer, einen Persilschein ausgestellt: Peter St. habe Brandanschläge strikt abgelehnt und deshalb weder vorher von der Tat gewusst noch hinterher etwas davon erfahren dürfen. Eine Darstellung, die mit jeder Vernehmung einstiger Szeneangehöriger freilich weniger glaubhaft wird. Ob es irgendjemanden im Kameradenkreis gegeben habe, der sich klar gegen solche Attentate ausgesprochen habe? „Da fällt mir jetzt keiner ein“, antwortete ein Zeuge. Der 44-Jährige aus Beckingen war nicht nur der Trauzeuge des Angeklagten, sondern auch so etwas wie der politische Ziehsohn von Peter St.: Als der Chef mal wieder ins Gefängnis musste, vertrat er ihn als Kameradschaftsführer.

„Da haben sie einen abgefackelt“

Die beiden nun am 34. Prozesstag vernommenen Männer zeichnen das Bild einer Szene, in der Gewalt und rassistische Pöbeleien Alltag waren, in der der Tod von Samuel Yeboah hämisch kommentiert oder beredt beschwiegen wurde. Ihre klaren Worte fallen besonders auf, weil am Vortag genau das Gegenteil zu erleben war. Eine 56-Jährige aus Saarlouis versuchte, fast alles zurückzunehmen, was sie im Ermittlungsverfahren zu Protokoll gegeben hatte. In der Szene sei man „schon geschockt“ gewesen nach dem Mord an Samuel Yeboah, sagte sie – und wollte sich zunächst gar nicht erinnern, dass sie bei der Polizei das genaue Gegenteil gesagt hatte. „Die Szene hat es gefeiert, es wurde darauf getrunken“, hatte sie da berichtet. „Es wurde gejubelt, geklatscht: Da haben sie einen abgefackelt.“

Die Saarlouiser Skinheads seien „unpolitisch“ gewesen, behauptete sie, und sie selbst erst recht. Dabei fungierte die Kinderpflegerin zeitweilig als führende Aktivistin der Sektion Saar von „Blood & Honour“ – die Verbotsverfügung im Jahr 2000 bekam sie, wie sie auf Befragen von Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk einräumen musste, persönlich zugestellt. Aber was das politische Programm der rassistischen Organisation war? „Alles vergessen.“

Weitere Zeugen aus früherer Neonazi-Szene

Gleich mehrfach hatte sich die Frau bei der Polizei gemeldet, um ihre Aussage zu ergänzen. Jetzt dagegen mauerte sie so offensichtlich, dass Senatsvorsitzender Konrad Leitges irgendwann etwas entnervt fragte: „Wissen Sie, was ich glaube? Dass Sie umgedreht worden sind.“ Doch die Zeugin bestritt, vor ihrem Auftritt vor Gericht von irgendjemandem aus der rechten Szene kontaktiert worden zu sein: „Mich hat keiner manipuliert.“

Noch bis Ende August will der Senat weitere ehemalige Neonazi-Skinheads als Zeug*innen hören. Im September könnte dann ein Urteil verkündet werden.

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