Dorstfeld

Dortmund: Frühere rechtsextreme Hochburg im Niedergang?

Jahrelang sorgte der „Nazi-Kiez“ in Dortmund-Dorstfeld dafür, dass die Ruhrgebietsstadt als Hochburg der rechtsextremen Szene in Westdeutschland galt. Heute schwächelt die „Bewegung“ – zumindest was öffentlichkeitswirksame Aktionen angeht.

Mittwoch, 28. August 2024
Michael Klarmann
2019 hingen Reichsflaggen aus den Fenstern in Dortmund-Dorstfeld, dem dortigen vermeintlichen "Nazi-Kiez", Foto: picture alliance/dpa | Fabian Strauch
2019 hingen Reichsflaggen aus den Fenstern in Dortmund-Dorstfeld, dem dortigen vermeintlichen "Nazi-Kiez", Foto: picture alliance/dpa | Fabian Strauch

Es ist eine Momentaufnahme: Als am Montagabend in Solingen nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Mordanschlag rund 150 Personen des rechtsextremen Spektrums aufmarschieren, fehlen die einst markanten Köpfe der Dortmunder Szene. Als Organisator fungiert zunächst der aus der Corona-Protestbewegung hervorgegangene „Solinger Widerstand“. Angeführt wird der Aufmarsch aber bereits von einem Transparent der „Heimat“, zuvor NPD, mit der Aufschrift „Remigration jetzt!“

Als die Teilnehmer immer wieder die Parole „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ skandieren und nicht mehr auf Ansprachen der Anmelderin reagieren, dies zu unterlassen, löst diese die Versammlung auf. Claus Cremer, langjähriger „Die Heimat“-Funktionär, tritt in Aktion. Cremer initiiert im Anschluss an den gestoppten Aufzug in Absprache mit der Polizei eine Spontanversammlung und der Aufmarsch kann weiter gehen.

Neue Heimat Ostdeutschland

Hooligans, Rechtsextremisten und rechte Wutbürger folgen nun Cremer und dem Banner von „Die Heimat“. Bekannte Kader aus Dortmund scheinen jedoch zu fehlen. Das wäre in der Vergangenheit fast undenkbar gewesen, zumindest bei einem mutmaßlich islamistischen Anschlag, der sich dazu eignet, Islamhass und Fremdenfeindlichkeit auf die Straße zu tragen und der Szene dazu dient, bundesweit Reichweite zu generieren. Tatsächlich ist die Dortmunder Szene unauffällig geworden, führende Köpfe sind nach Ostdeutschland abgewandert.

Nachdem zunächst Kader wie Michael Brück nach Chemnitz abwanderten und andere Aktive inhaftiert oder zur Fahndung ausgeschrieben wurden, sind seit einigen Monaten weitere Dortmunder Neonazis in Halberstadt aktiv. Erst kürzlich berichtete auch „Spiegel TV“ über den Wohnortwechsel. Inzwischen warnt zudem der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt vor den rechtsextremen Aktivitäten im Harz durch zugezogene Neonazis aus dem östlichen Ruhrgebiet und deren Vernetzungsarbeit.

Polizei lässt wenig Spielraum

Nachdem bereits im Frühjahr bekannt geworden war, dass Alexander Deptolla – Kopf der früheren neonazistischen Kampfsport-Veranstaltung und Modemarke „Kampf der Nibelungen“ – und Markus Walter nach Halberstadt umgezogen sein sollten, berichtete „Spiegel TV“, dass auch Matthias Deyda, Ingo A. und Thorben V. in den Harz abgewandert seien. Deyda soll noch für „Die Heimat“ dem Dortmunder Stadtrat angehören, zumindest im Ratsinformationssystem wird er bislang noch als Mitglied des kommunalen Gremiums geführt.

Bereits vor rund einem Monat hatte auch die taz über den Umzug der genannten Neonazis berichtet. Als einen Grund dafür nannte die taz: Deptollas Lebensgefährtin wohne in Halberstadt. Doch nicht nur durch solche Umzüge ist die Dortmunder Szene geschwächt. Im Jahr 2021 starb die Szene-Ikone Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt. Der verurteilte Neonazi und Influencer Steven Feldmann tauchte im November 2023 vor einem drohenden Haftantritt unter. Schon vor einigen Jahren hatte die Polizei die Strategie gestartet, der rechtsextremen Szene in der Ruhrgebietsstadt möglichst wenig Raum zu lassen. Eine Sonderkommission „Soko Rechts“ nahm ihre Arbeit auf.

Dortmund als Gravitationsfeld

Jahrelang war Dortmund mit seinem „Nazi-Kiez“ eine Art Schwerpunkt der „Bewegung“. Neonazis aus Teilen Nordrhein-Westfalens zogen dort hin. Es kam zu unzähligen Straftaten, Aktionen, zu Bedrohungen und Gewalttaten gegen Antifaschisten und auch Journalisten. Bis vor Jahren fanden große Aufmärsche statt, kleinere Aktionen wurden spontan zu aktuellen Anlässen organisiert. Neonazis reisten über hunderte Kilometer zu Aktionen an, die Dortmunder waren teils bundesweit aktiv und unterstützten andere „Kameraden“ vor Ort – etwa mit ihrem eigenen Lautsprecherwagen.

Die entsprechenden Häuser in der Thusneldastraße in Dortmund werden weiterhin von „Kameraden“ bewohnt. Hier soll sich der regionale Sitz von „Die Heimat“ befinden. Von dieser Adresse aus betreibt Sascha Krolzig seinen Verlag „Sturmzeichen“, einen angeschlossenen Versandhandel und das von ihm herausgegebene Strategieorgan „N.S. heute“. Auch der von Deptolla betriebene Versandhandel „Kampf der Nibelungen“ (KDN) hat laut Eintrag auf der Webseite nach wie vor seinen Sitz in der Thusneldastraße.

Treffpunkt der „Heimatjugend“

Hier veranstalteten die Neonazis unter dem Dach der „Heimat Dortmund“ am 17. August auch erneut einen „Lagerverkauf“, Anbieter sollen neben dort ansässigen Firmen und Verlagen auch weitere Unternehmen aus dem neonazistischen Spektrum gewesen sein. Auftritte von Musikern sollen hier ebenfalls stattgefunden haben. Die „Heimatjugend Dortmund“ respektive der „Stützpunkt“ der „Jungen Nationalisten“ (JN) gründete sich am 20. April – „Führergeburtstag“ – in Dorstfeld. In der Thusneldastraße hält die Gruppe „Offene Abende“ ab. Als Anfang August ein Vertreter der „Elblandrevolte“ Dortmund besuchte, traf man sich zum Austausch und zur Vernetzung in Dorstfeld.

Wirkte Dortmund und die vielen dort lebenden „Kameraden“ vor Jahren noch als aktionistisches Gravitationsfeld für die nordrhein-westfälische Neonaziszene, so geht es heute wesentlich ruhiger zu. Eher mutet die Thusneldastraße derzeit wie ein intern-strategisches, eher kleines Kraftfeld an. Manches erinnert dabei eher an eine neonazistische NRW-Version dessen, was Schnellroda für die neurechte Szene darstellt: Ein Treff- und Stützpunkt, ein Wohnort, ein Sitz von Firmen und Strukturen sowie Raum und Infrastruktur für Vernetzungsarbeit.

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