Xavier Naidoo
Die Telegram-Szene rätselt über die vermeintliche Bekehrung des Naidoo
Der Sänger Xavier Naidoo ist seit Jahren durch antisemitische und verschwörungsideologische Ausfälle aufgefallen. Nun sorgt er mit einem kurzen, scheinbar reuevollen Video für Wirbel. Kehrt der verlorene Sohn (Mannheims) nun zurück in die Mitte der Gesellschaft? Rechtsextreme und querdenkende Weggefährten wundern sich.

„Bestürzt“ und „aufgerüttelt“ gibt sich der Mannheimer Musiker und Produzent in einem am Dienstagabend auf all seinen Social-Media-Kanälen veröffentlichten Video über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Tatsache, dass Naidoos Frau gebürtige Ukrainerin ist und ihre Familie direkt von den Auswirkungen des Krieges betroffen ist, habe dazu geführt, sich und seine Ansichten kritisch zu hinterfragen, „sich selbst zu reflektieren“. Er habe sich „verrannt“ und sich gegenüber Theorien, Sichtweisen und Gruppierungen geöffnet, von denen er sich nun „ohne Wenn und Aber distanziere und lossage.“ Dazu würden insbesondere „rechte und verschwörerische Gruppen“ zählen. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus seien mit seinen Werten nicht vereinbar, weshalb er diese „auf Schärfste“ verurteile.
Dies ist insofern bemerkenswert, als dass Naidoo in der Vergangenheit immer häufiger mit extremistischen, verschwörungsideologischen, antisemitischen und homophoben Äußerungen auffällig geworden ist. Schon 1999 bezeichnete Naidoo sich in einem Interview mit dem Musikmagazin „Musikexpress“ als Rassisten, mit dem skurrilen Zusatz: „aber ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe.“ 2009 rappte er in antisemitischer Manier über einen vermeintlich tonangebenden „Baron Totschild“ und bediente 2011 im ARD-Morgenmagazin die These aus der Reichsbürgerszene, Deutschland sei aufgrund eines mangelnden Friedensvertrages immer noch ein „besetztes Land“.
„Protokolle der Weisen von Zion“
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie scheint sich der Musiker noch weiter radikalisiert zu haben. Im Sinne der QAnon-Ideologie behauptete er, satanistische Eliten würden Kinder zur Adrenochrom-Gewinnung quälen. Im Februar 2021 teilte Naidoo sogar die antisemitische Hetzschrift der „Protokolle der Weisen von Zion“ in seinem Telegram-Kanal, welche eine vermeintlich jüdisch-zionistische Lenkung des Weltgeschehens beweisen soll.
Naidoo hat sich besonders im Laufe der Pandemie-Zeit als zentraler Akteur und Propagandist der verschwörungsideologischen Szene etablieren können, zog sich aber seit Mitte des Jahres 2021 zunehmend von etwaigen Online-Aktivitäten zurück. Umso schockierter zeigt man sich nun in der Szene, wobei man ihm entweder wirtschaftliche Motive unterstellt oder sein Verhalten als Konsequenz äußeren Drucks erklärt.
In einer Reihe mit JFK und Lincoln
So fragt sich der rechte Verschwörungsideologe Miró Wolsfeld („UNBLOGD“) bei Telegram, ob Naidoos Meinungsumschwung Ergebnis eben solchen Drucks ist oder ob er etwa „nie so kritisch“ war, wie er es vorgegeben habe. Der Vorfall habe laut Wolfsfeld jedenfalls bestätigt, dass der angestrebte politische Wandel „nur von unten“ kommen könne und Prominente, trotz ihrer Reichweite, für diesen Zweck nicht zu gebrauchen seien. In einem gemeinsamen Livestream mit dem „perfekten Verschwörungstheoretiker“ Sebastian Verboket und dem rechtspopulistischen Oliver Janich ist sich Wolsfeld indes sicher, dass die Worte Naidoos nicht seine eigenen waren.
Der „Truther-Rapper“ Ukvali, mit dem Naidoo im vergangenen Jahr den gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gerichteten Song „Ich mach da nicht mit“ veröffentlicht hat, ist von der Aufrichtigkeit von Naidoos Statement ebenfalls nicht überzeugt. Ukvali könne erkennen, „dass er sich dabei ganz sicher nicht wohl gefühlt hat.“ In gleicher Weise äußert sich auch der Betreiber des verschwörungsideologischen Youtube-Kanals „Kulturstudio“, Michael Grawe, bei Telegram. In seinem Tonstudio ist „Ich mach da nicht mit“ entstanden. Grawe sei schockiert und sehe einen „sehr kontrollierten und angespannten Xavier“. Dass dieser Opfer von Erpressung sei, hält er nicht für abwegig. Immerhin hätten schon „JFK, Lincoln und viele andere“ mit dem Leben dafür bezahlt, „dass sie die Wahrheit ans Licht bringen wollten“.
Rede von einem Dolchstoß
Der österreichische Rechtsextremist und Identitäre Martin Sellner sieht in Naidoos Video eine für ihn „untypische“ und „peinlich formelhafte Distanzierung“. Seine Wandlung wertet er als einen Weg, sich wieder „geläutert“ zurück in den „Mainstream“ begeben zu können. Sellner schließt zwar eine Rückkehr Naidoos in die Szene nicht aus, befürchtet aber eine „demoralisierende Wirkung auf viele in der Dissidenten- und Wahrheits-Bewegung“.
Ähnlich begreift auch der seit längerem untergetauchte, rechtsextreme Antisemit Attila Hildmann Naidoos Sinneswandel. In einer auf seiner Website veröffentlichten Sprachnachricht spricht Hildmann von „Dolchstoß“ und „Verrat“. Naidoo wolle laut Hildmann versuchen, seinen Ruf vor dem Hintergrund anstehender Konzerte gerade zu rücken. Allerdings habe es für den ehemaligen Star-Koch auch in der Vergangenheit Hinweise auf einen angeblichen Verrat gegeben, wobei er antisemitisch auf Davidsterne und angebliche Freimauersymbolik auf Naidoos Plattencover verweist. Auch in der von Naidoo maßgeblich verbreiteten QAnon-Ideologie sieht Hildmann wirr nicht mehr als ein „CIA- und Mossad-Ablenkungsmanöver“.
„Gegner der Aufklärung“?
Der als „Volkslehrer“ bekannte und wegen Volksverhetzung verurteilte Nikolai Nerling nimmt in seinem Telegram-Kanal ebenfalls Stellung. Er könne Hildmanns Dolchstoß-Deutung nachvollziehen, fände aber „nicht schlecht, was passiert ist“, schließlich würde die daraus erwachsene Debatte zu einem „weiterem Aufwachen“ führen. Die Gründe für Naidoos Meinungsumschwung sind für Nerling dabei noch ungeklärt. Es sei für ihn denkbar, dass Naidoo sich Feinde beim „Zentralrat der Lügen“ (die Diffamierung für den „Zentralrat der Juden“ hätte Naidoo genutzt) gemacht hätte, die ihn nun unter Druck setzen und ihn aus Zwang handeln lassen würden – was freilich als antisemitische Deutung zu verstehen ist. Möglich wäre jedoch auch, dass er von Anfang an ein „Gegner der Aufklärung“ gewesen sei und die Opposition nur angeführt hätte, um sie „ins Verderben [zu] führen“.
Der Querdenker-Aktivist und Anwalt Markus Haintz stellt derweil in seinem Telegram-Kanal pseudo-kritische Fragen, die eine „Fremdlenkung“ Naidoos suggerieren sollen. Auch versucht er, das Geschehene verschwörerisch in größere Zusammenhänge einzuordnen. Etwa, wenn er danach fragt, warum die Veröffentlichung des Videos nur kurze Zeit nach einem „massiven medialen Angriff auf die Bewegung“ stattfand.
Ein strategischer Schachzug?
Laut dem rechtsextremen Videoblogger Matthäus Westfal („Aktivist Mann“), welcher Sektenmitglied der „Organischen Christus-Generation“ um den Schweizer Ivo Sasek ist, würde die „mainstreamhafte Sprache“ ebenfalls nicht dem Stile Naidoos entsprechen. Eher würde er von einem anwaltlichen Schreiben ausgehen. Allerdings scheint Westfal als einziger innerhalb der Szene von Naidoos Wandlung wenig beeindruckt und verunsichert. Der Sänger sei „ein Stratege“, er wolle der Szene „nicht in den Rücken fallen“ und habe stattdessen „etwas Größeres vor“. Fast schon verständnisvoll sieht Westfal die Beweggründe im Pragmatismus. Eine pro-russische Positionierung könnte Naidoo die Einreise in die Ukraine erschweren oder sich sogar als potentiell lebensbedrohlich herausstellen, glaubt der Videoblogger.
Auf Naidoos Facebook-Seite sind die Reaktionen auf sein Video unter seinen Fans gemischt. Von einer Seite wird ihm zu seiner Einsicht und vermeintlichen Rückkehr beglückwünscht. Jeder mache Fehler und er habe eine zweite Chance verdient. Gleichzeitig zeigen sich viele enttäuscht, werfen ihm vor, er hätte seine Einstellung verkauft oder betonen, „bei ihm [habe] die Inquisition ihre Wirkung gezeigt“. Auch hier wird über eine mögliche Erpressung oder Bedrohung spekuliert. So wundert sich etwa eine Userin: „Wenn du dir selbst deine Lieder und Aussagen anhörst, weißt du genau, dass du nicht erst seit 2 Jahren alles hinterfragt hast sondern seit sehr sehr vielen Jahren. Was ist hier passiert?“
Keine wirkliche Distanzierung
In der Tat ist unklar, wie ernst es Naidoo mit seiner Reue-Bekundung wirklich ist. In seinem Video benennt er nicht klar, von welchen „Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen“ er sich lossagt. Josef Holnburger, Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), weist darauf hin, dass der Sänger sich nicht nur habe "zum Teil instrumentalisieren" (Zitat von Naidoo) lassen.
Der 50-Jährige hat auch aktiv antisemitische Inhalte hochgeladen sowie rechtsterroristische Kanäle verbreitet. Eine wirkliche Distanzierung braucht also mehr als ein kurzes Videostatement. Ob nun der vermeintliche Aussteiger dennoch zu zahlreichen Talkshows als vermeintlich geläuterter Gast eingeladen wird, bleibt abzuwarten.