Prozess um mögliche Lauterbach-Entführung

Die Reichsfanatikerin

Im Terrorverfahren gegen die „Vereinten Patrioten“ in Koblenz bekommt die mutmaßliche Rädelsführerin unbegrenzte Redezeit, trotz offenem Antisemitismus. Ein weiterer Verdächtiger aus Norddeutschland hat sich offenbar abgesetzt.
 

Montag, 31. Juli 2023
Andrea Röpke
Die mutmaßliche Rädelsführerin Elisabeth R. vor Gericht (c) picture alliance/dpa | Thomas Frey
Die mutmaßliche Rädelsführerin Elisabeth R. vor Gericht (c) picture alliance/dpa | Thomas Frey

Unbeirrt führt Elisabeth R., die sich vor Gericht immer nur die „sogenannte Angeklagte“ nennt, ihren politischen Kampf im Gerichtssaal weiter. Die Angeklagte wolle kein „Personalvieh“ der BRD sein, sie achtet weder den Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, noch die anklagende Bundesanwaltschaft und bezeichnete sie als „Justizjunta“.

Zu Beginn der beiden Prozesstage letzte Woche lief die Frau in Socken auf Zehenspitzen zu ihrem Platz im Sitzungssaal 120 des OLGs. Sofort redete sie auf ihren Anwalt ein. Dass ihr nebenher die Fesseln abgenommen wurden, registrierte sie es kaum.

Während Elisabeth R. in den ersten Verhandlungstagen desinteressiert wirkte, sprühte sie nun über vor Energie. Die Rhetorik der habilitierten Theologin und Pädagogin war schwer verständlich, pendelte zwischen akademischen Endlossätzen und zitierter Rohheit. Vieles wiederholte sich, so Passagen gegen den katholischen Papst, die westlichen Alliierten oder die Geheimdienste. 

„Rufmord und Reichsdiskreditierung gehen Hand in Hand“, jammerte sie und erwähnte, dass ihr die Pensionszahlung genommen wurden. Unerträglich waren die antisemitischen Eskapaden. Nach einem Disput zu Beginn ihrer Aussage, ließ das Gericht sie einfach gewähren. Die Frau referierte stundenlang und sah dabei kaum auf. Sie will belehren und hat kein Interesse in die Gesichter im Saal zu schauen. Sie las von den handschriftlichen Notizen ab. Wie eine Synchronsprecherin verstand es die Angeklagte, mit Tonlagen und Lautstärke zu variieren.

Elisabeth R. wird vorgeworfen, an führender Stelle der Gruppe „Vereinte Patrioten“ einen gewaltsamen Staatsstreich sowie die Entführung von Karl Lauterbach mitgeplant zu haben. Davon will sie nichts wissen. Sie sei keine Terroristin, ihr Auftrag sei ein anderer. Und darüber möchte sie dozieren. 

Die Strategie der Angeklagten

Seit über 10 Monaten befindet sich die 76-jährige in Untersuchungshaft. Die kleine Frau mit den welligen weißen Haaren und den kantigen Gesichtszügen verfolgt eine politische Strategie. R`s Vorgehen im Gerichtssaal ist nicht neu, bereits erfahrene Straftäter wie die Holocaust-Leugnenden Ursula Haverbeck, Horst Mahler oder Rigolf Hennig gehen seit Jahren so vor. Deren Ziel: Die eigene Verhandlung zur politischen Bühne für Antisemitismus und Reichsideologie werden zu lassen. Die einstige Religionslehrerin in Main, die angehende Lehrkräfte ausbildete, doziert nun über die Nicht-Existenz der Bundesrepublik Deutschland.
 

Sven Birkmann (mit schwarz-oranger Flagge) bei einer Demonstration in Kassel (c) isso.media
Sven Birkmann (mit schwarz-oranger Flagge) bei einer Demonstration in Kassel (c) isso.media

Zuvor hatte R`s Mitangeklagter Sven Birkmann laut Medienberichten eine mehrtätige „Show“ hingelegt. Der Bilanzbuchhalter aus Brandenburg, der auch Ausbilder ist, hatte über Hinterleute und Kontakte geplaudert. Das will Elisabeth R. nicht. Ihr gehe es nur um eines: Die „Reaktivierung des Deutschen Reiches von 1871“, wie sie sagte. Aber dafür brauche sie keine Gewalt. Sie lästerte über die wenigen gemeinsamen Treffen mit den Mitangeklagten. Bei einem Treffen am 18.Dezember 2021 auf dem Gelände eines ehemaligen Reha-Zentrums in Hessen hätten sich viele um einen wärmenden Bulli Ofen versammelt. Sie mokierte, dass es weniger um „umfangreiche Erläuterungen“ gegangen sei als um „Geschwätzigkeit, Amüsanz am Lagerfeuer“. Dieses Treffen, dem sie sich angeblich gerne eher entzogen hätte, schilderte sie als „Spaßrunde bis hin zur Entführungsjuxerei“.

R. und das Reich

Mit ihren Ausführungen wolle sie verdeutlichen, dass sie keineswegs, wie die Anklage es ihr vorwirft, die Rädelsführerin der „Vereinten Patrioten sei, denn ihre eigentliche Gruppe sei die „W.I.R. WIR Erfreiungsbewegung“[sic!]. Von der sprach sie fortwährend und doch nebulös. „W.I.R.“ steht für „Wilhelm Imperator Rex“. Laut Telegram sieht sich diese Gruppe als „offene Bewegung von Menschen für Menschen“, droht aber: „Jeder der die Aktivierung der Gremien des Deutschen Reiches nicht unterstützt, verhält sich nicht verfassungskonform und begeht sogar Hochverrat im Besatzungszustand gemäß art. 68 Verf.1871“. Sie würden „sich zukünftig“ vor einem Militärgericht verantworten müssen, heißt es weiter. 

Im Oktober 2021 störte R. gemeinsam mit neun weiteren Personen dieser „W.I.R.“- Organisation eine Mittagsandacht im Berliner Dom. Sie hielten sich zunächst nicht an geltende Hygieneregeln und provozierten dann. „Der Dom sei seit 1918 herrenlos, da ein jüdischer Minister den König abgesetzt habe“, hätte die Frau laut Berliner „Morgenpost“ geäußert. Zudem sei das Deutsche Reich nicht untergegangen und werde jetzt von Juden überflutet, soll sie unter anderem gesagt haben. Ihre Begleiterinnen und Begleiter hätten sich in ähnlicher Weise geäußert, teilte die Polizei mit. Es kam zu volksverhetzenden Äußerungen, Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Einsatzkräfte mussten die Männer und Frauen aus dem Dom begleiten. Dabei leistete die damals 74 Jahre alte Wortführerin Widerstand.

Im Prozess prahlte R. geradezu mit dieser Aktion. Sie hätten nur ein seelsorgerisches Gespräch gefordert, doch die Pastorin habe nur „Antisemitismus“ geschrien. 

Antisemitismus im Gerichtssaal

Ähnlich ging die Pädagogin auch im Prozess vor, sie provozierte, wenn sie von einer „stillen Verjudung des Christusdoms“, von einer „Beschneidungswelt“ sprach oder behauptete ein „Jud-Großlogenmeister in Paris“ habe den 1. Weltkrieg gegen Deutschland angezettelt. Sätze wie diese blieben unwidersprochen: „Hirnwäsche-bedingt sind die Deutsch-Deutschen ahnungslose Erfüllungsgehilfen der Republik im verschwiegenen Anspruch des Bundes der Beschneidung“. Dieser Bund sei unsichtbar und hochtechnologisiert, „ist doch der Nationalsozialismus ein Ableger des Nationalzionismus“. 

Die Zuschauerbänke im Gerichtssaal in Koblenz waren meistens leer und doch weiß Elisabeth R., dass es immer mehr würden, die ihre Reichsideologie teilten. Aus Fakes sollen Wahrheiten werden, wenn sie behauptet: „Der Zweite Weltkrieg, der noch fortläuft, ist nicht Angelegenheit des Deutschen Reiches von 1871, sondern die des Nazireiches der Allierten“. 1918 sei es nur zum Waffenstillstand, zur Vortäuschung eines Friedens gekommen und „der Täuschungsvertrag wurde von dem Juden Matthias Erzberger auf den Weg gebracht“. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet die „Vereinten Patrioten“ lapidar als „Kaiserreichsgruppe“, doch R. macht deutlich, dass es sich um Rechtsextreme handelt.

Rechtsextreme Netzwerke

Das wird besonders deutlich bei zwei Treffen der „Vereinten Patrioten“. Am 11. Dezember 2021 und am 20. Februar 2022 trafen sie sich laut der Angeklagten R. mit weiteren Sympathisantinnen und Sympathisanten in der Südstraße in Verden an der Aller. Im Haus des mehrfach verurteilten Holocaust-Leugners und ehemaligen NPD-Politikers Dr. Rigolf Hennig habe man diesen den Haftbefehl für Karl Lauterbach unterschreiben lassen sowie die Urkunden für potenzielle Mitglieder der neuen angestrebten „konstituierenden Versammlung“. Hennig sollte das repräsentative Oberhaupt der Umstürzler werden, doch der schwerkranke Kader starb wenig später nach dem zweiten Treffen im Frühjahr 2022. Insbesondere die Vernetzung zu ihm verdeutlicht die Verankerung der „Vereinten Patrioten“ im rechtsextremen Spektrum.

Mindestens vier der fünf Angeklagten im Terrorverfahren von Koblenz haben politische Vorgeschichten. Sven Birkmann trat zu Beginn der Corona-Pandemie im Dienste der russischen „Nationalen Befreiungsbewegung“ und dessen verschwörungsideologischen Ableger „Arminius Erben“ in deren einschlägigen Medien auf oder beteiligte sich mit anderen aus der Telegramgruppe der „Vereinten Patrioten“ an einem militärischen Biwak im September 2021 in der Nähe von Eisenach. 

Thomas O. besuchte Corona-Proteste in Rheinland-Pfalz und der Mitangeklagte Michael H. aus Bad Zwischenahn hatte als politischer Comedian und Administrator größerer regionaler Telegramgruppen Einfluss. Er organisierte 2020 Schlager und Pop-Events „für einen guten Zweck“. Der ihm nahestehende Kanal „Nix ist wie es scheint“ hatte über 12.000 Abonnenten. Dort wurden „Talks“ mit Michael H. und seinen Gästen live gestreamt. Dazu zählten u.a. die Corona-leugnende Ärztin Carola Javid-Kistel oder der Hitlergruß zeigende Homöopath Rolf Kron. Michael H. moderierte Veranstaltungen mit Gernot von Hagen von den „Arminius Erben“, dem ehemaligen AfD-MdB Volker Münz und dem verschwörungsideologischen Autor Peter Frühwald.

Auf der Flucht? Der Finanzier aus Hannover

Der Norddeutsche Michael H. lernte zudem einen Mann kennen, der eine dubiose Rolle bei den „Vereinten Patrioten“ spielt: David W., aus Cottbus stammend, inzwischen wohl in Dubai lebend. 
Laut Anklageschrift wird er als „gesondert verfolgt“ bezeichnet. 

Er soll an drei Treffen der „Vereinten Patrioten“ teilgenommen haben, etwa am 20. Februar 2022 in Verden. Sven Birkmann berichtete, zur Finanzierung ihrer Untergrundvorhaben sei David W. ins Gespräch gebracht worden. Sie benötigten etwa 50.000 Euro. Als die Gruppe sich bei Sven Birkmann in Falkensee am 9. April 2022 traf, habe W. „Gold und Silber im Wert von 12.500 Euro übergeben“. W. könnte „grundsätzlich Geld“ auftreiben, behauptete der Angeklagte Sven Birkmann. Bei Social Media protzte David W. mit Reichtum, ließ sich bei Partynächten in Hannover ablichten. 2021 war er auf dem Cover des „Sachwert Magazin – Wissen für Anleger“. Die Generalbundesanwaltschaft äußerte sich am Freitag nicht zu ihm. 

David W. kam laut Aussagen der Angeklagten in Koblenz über den Niedersachsen Michael H. ins Boot. Einige Jahre lebte der der glatzköpfige „Cashflow Experte“ mit teurer Attitüde in Laatzen bei Hannover. Am 23. November 2021 postete David W. bei Facebook: „Letzten Monat wurde ich gefragt, ob ich für SAT1 für ein Interview zur Verfügung stehe. Dieses Angebot habe ich abgelehnt. Vor zwei Wochen wurde ich von Michael H. zum Dirty Talk eingeladen. Dieses Angebot habe ich gern angenommen.“ Er verwies auf den Live Stream bei „Nix ist wie es scheint“. Es ging um Fragen wie: „Finanzen, kommt der große Crash?“ W. leugnete in den Medien die Pandemie, wetterte gegen die Regierung. Am 23. Januar 2022 verbreitete David W. eines der Zitate des extrem rechten Rocker Tim Kellner. Im Dezember 2022 wurden seine virtuellen Auftritte weniger, dann berichtete er aus Kite Beach Dubai.

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