100 Jahre

Die Ermordung von Walther Rathenau und der gegenwärtige deutsche Rechtsterrorismus

Heute vor 100 Jahren, am 24. Juni 1922, wurde Walther Rathenau von völkischen Rechtsterroristen ermordet. Es gibt bezogen auf derartige Akteure durchaus auch Gemeinsamkeiten mit dem gegenwärtigen Rechtsterrorismus, aber eben auch Unterschiede. Der vergleichende Blick lässt die jeweiligen Spezifika erkennen.

Freitag, 24. Juni 2022
Armin Pfahl-Traughber
Walther Rathenau, ermordet von antisemitischen Völkischen
Walther Rathenau, ermordet von antisemitischen Völkischen

Heute vor 100 Jahren, am 24. Juni 1922, wurde Walther Rathenau, der Reichsaußenminister der Weimarer Republik, ermordet. Die Attentäter waren antisemitische Völkische. Mit einer gewissen Berechtigung kann man von einem frühen Fall von Rechtsterrorismus sprechen. Einige Autoren haben von dort aus bis in die Gegenwart eine Linie gezogen, dazu gehören etwa Florian Huber, Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland (München 2021) oder Thomas Hüetlin, Berlin, 24. Juni 1922. Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland (Köln 2022).

Bereits hier kann aber ein inhaltlicher Einwand erhoben werden, gab es doch schon zuvor aus dem gleichen organisatorischen Kontext einen gezielten Mord: an Matthias Erzberger, einem bekannten Politiker des Zentrums. Der Blick auf die jeweiligen Hintergründe ist indessen wichtig, können so doch die Besonderheiten des gegenwärtigen Rechtsterrorismus besser erkannt werden. Dazu bedarf es aber zunächst eines Blicks auf die historische Tat:

Mord auf offener Straße

Rathenau wollte das Reichsaußenministerium an jenem Tag aufsuchen und fuhr dorthin in einem offenen Wagen. Trotz Attentatswarnungen hatte er auf Polizeischutz verzichtet, was wohl auch den Tätern bekannt war. Diese überholten ihn vor einer Kreuzung mit ihrem Wagen. Einer der Attentäter schoss mit einer Maschinenpistole auf Rathenau und traf ihn fünfmal mit tödlicher Wirkung. Der andere Attentäter warf eine Handgranate. Direkt danach flohen die Mörder. Es handelte sich um Erwin Kern, Hermann Fischer und Ernst Werner Techow, junge Männer und Studenten. Fischer beging später Selbstmord, zuvor war Kern durch eine Polizeikugel getötet worden.

Die Attentäter handelten nicht allein, waren sie doch in eine Organisation eingebunden. Darüber hinaus gab es diverse Helfer, wozu auch Ernst von Salomon zählte. Er sollte später – auch in der Nachkriegszeit – noch als Schriftsteller berühmt werden. Die gemeinten Akteure gehörten der „Organisation Consul“ (O.C.) an und die mörderische Tat muss in deren strategischem Zusammenhang gesehen werden.

Akteur im Hintergrund: die „Organisation Consul“

Die O.C. war eine paramilitärische Organisation, die von dem Kapitän Hermann Ehrhardt gegründet worden war, um die 5.000 Mitglieder und über eine geheimbündlerische Struktur verfügte. Insofern handelte es sich nicht um eine kleine terroristische Gruppe, gleichwohl agierte man wie eine solche mit politischen Morden. Dazu gehörte der erwähnte Anschlag auf Matthias Erzberger, aber auch ein gescheiterter Mordversuch an Philip Scheidemann. Heute ist die strategische Absicht derartiger Gewalthandlungen bekannt:

Es sollten Aufstandsversuche der politischen Linken provoziert werden, woraufhin die Reichswehr zu Repressionsmaßnahmen gegen diese übergehen würde. Die rechtsextremistischen Republikfeinde würden sich dann auf deren Seite stellen, was dann letztendlich eine autoritäre Diktatur von rechts zur Folge gehabt hätte. Es gab demnach ein entwickeltes Kalkül, das die Attentäter so nicht kennen mussten, aber deren Hintermänner sehr wohl. Gleiches galt für ihre aus höheren Kreisen stammenden Unterstützter.

Gemeinsamkeiten bei Ideologie und Feindbildern

Doch wie angemessen sind Aussagen bezüglich einer Kontinuität? Antworten auf diese Fragen setzen einen Vergleich voraus, wobei es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede geht.
Aus einer allgemeinen Blickrichtung können viele Gemeinsamkeiten konstatiert werden, handelt es sich doch um Gewaltakteure eben aus einem rechtsextremistischen Kontext. Demnach stimmen die ideologische Ausrichtung, etwa in Form von Nationalismus und Rassismus, ebenso wie die konkreten Feindbilder, etwa Eliten- oder Minderheitenangehörige, überein. Gleichwohl lassen sich auch Besonderheiten feststellen, welche mit anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen.

Gegen einen Angehörigen der politischen Elite gab es mit Walter Lübke gegenwärtig „nur“ eine Mordtat. Eher gehören Menschen mit Migrationshintergrund zu den Opfergruppen des heutigen Rechtsterrorismus. Auch der Antisemitismus steht für eine ideologische Kontinuität, wobei er beim Anschlagsversuch in Halle primär, in anderen Fällen eher sekundär war.

Gemeinsamkeiten bei Stratege und Zielsetzung

Die bedeutendsten Differenzen ergeben sich aus der personellen Größe, gehören den gegenwärtigen rechtsterroristischen Gruppen doch meist nur wenige Personen an. Selbst bei einer Ergänzung um ein wissendes oder unwissendes Unterstützerumfeld, hätte man es doch mit viel kleineren Gruppen und niedrigeren Personenpotentialen zu tun. Darüber hinaus besteht nicht ein annähernd so hohes logistisches und politisches Unterstützungsumfeld. Beachtenswert ist eine strategische Gemeinsamkeit, die erst bei den zuletzt aufgeflogenen rechtsterroristischen Gruppen deutlich wurde.

Dort gab es im Gegensatz zum NSU wohl konkrete Optionen, welche mit Anschlägen jeweils Gegenreaktionen - wie etwa bei der Gruppe S. - und damit einen innenpolitischen Konflikt provozieren wollten. Hier bestehen durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Kalkül des Rechtsterrorismus der Weimarer Republik. Die Aufmerksamkeit dafür kann den Blick auf den gegenwärtigen Rechtsterrorismus und seine Spezifika schärfen.

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