AfD-Parteitag
„Die AfD könnte umso machtloser werden, je erfolgreicher sie ist“
Mit dem Parteitag am Wochenende hat für die AfD eine neue Epoche in ihrer Entwicklung begonnen, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Die „Altparteiisierung“ könnte die AfD jedoch vor ein Dilemma stellen.
Viele hatten einen turbulenten Parteitag der AfD in Essen erwartet. Am Ende scheint er sehr harmonisch verlaufen zu sein. Wie haben Sie den Parteitag wahrgenommen?
Auf jedem Parteitag gibt es eine Vorderbühne und eine Hinterbühne. Auf der Vorderbühne hat die Parteitagsregie effizient gearbeitet. Die AfD hat auf dieser Ebene eine „Altparteiisierung“ durchlaufen. Konflikte wurden nicht offen ausgetragen. Fast niemand wurde mit einem schlechten Ergebnis abgestraft. Die dafür notwendigen Kompromisse wurden vorher im Hinterzimmer verabredet.
Die direktdemokratischen Initiativen aus der Mitte der Partei, die früher die Parteitage der AfD geprägt haben, sind weitestgehend ausgeblieben und erfolglos gewesen. Stattdessen gab es eine Professionalisierung des Auftritts im Sinne einer inszenierten Einheit. Diese hat sich in den Wahlergebnissen der Parteiführung, aber auch bei inhaltlichen Fragen ausgedrückt. Entgegengesetzte Meinungen wurden im Vorfeld des Parteitags angenähert. Anderes, wie die Frage eines Generalsekretärs, wurde an die Satzungskommission verwiesen.
Wie sah es auf der Hinterbühne aus, um in Ihrem Bild zu bleiben?
Hinter den Kulissen hat eine intensive Debatte über den Kurs der AfD stattgefunden. Der große Unterschied zu früheren Parteitagen ist, dass sie nicht im Plenum ausgetragen wurde. Inhaltlich hätte das aber auch nichts geändert, da die radikalen Kräfte die Partei fest im Griff haben. Gründe zu diskutieren, gibt es bei der AfD ja genug, nicht zuletzt wegen der Europawahl.
Hier waren die beiden Protagonisten, Spitzenkandidat Maximilian Krah und der zweite auf der Liste, Petr Bystron, in Essen gar nicht dabei. Waren Sie trotzdem ein Thema?
Nicht ausdrücklich, aber natürlich spielte das Abschneiden bei der Europawahl immer wieder eine Rolle. Schließlich hat die Europawahl deutlich gemacht, dass die AfD ein erhebliches Potenzial hat, das sie aber nicht ausschöpfen konnte. Im Vergleich zu ihren europäischen Schwesterparteien wie dem „Rassemblement National“ in Frankreich und den „Fratelli d'Italia“ hat die AfD eher schlecht abgeschnitten. Ihre ideologische Position hat ja sogar zum Ausschluss aus der ID-Fraktion geführt. Auch das führt innerhalb der AfD zu Debatten.
Inwiefern?
Eine Minderheit in der Partei würde gern den Weg der Melonisierung gehen, also einen nach außen moderateren Kurs einschlagen. Eine Mehrheit lehnt das jedoch aus ideologischen und auch aus personellen Gründen ab. Der Parteitag hat deshalb ja auch den Austritt aus der ID-Parteienfamilie beschlossen.
Vorher war sie schon aus der ID-Fraktion im Europaparlament ausgeschlossen worden. Welche Bedeutung hat das für die AfD?
Der Ausschluss aus der ID-Fraktion war die größte Niederlage der Reformer innerhalb der Partei. Damit ist die AfD in Europa an den Rand katapultiert worden. Auch in Europa erstarkt zwar der Rechtsextremismus, aber im Parlament hat er keinerlei Einfluss auf die personelle und strategische Ausrichtung der Europäischen Union.
Vor dem Parteitag hieß es, Tino Chrupalla könnte bei der Wiederwahl zum Vorsitz durchfallen. Schließlich erhielt er aber sogar ein besseres Ergebnis als die Co-Vorsitzende Alice Weidel. Wie bewerten Sie das?
Tino Chrupalla hat nichts dem Zufall überlassen. Zum einen hat er im Vorfeld sehr intensiv Bündnispartner identifiziert und bei denen geworben, die ihn jetzt beim Parteitag unterstützt haben, allen voran der Landesverband Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommt, dass er als Sachse einen gewissen Bonus hat mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Es hätte für die AfD keinen Sinn gemacht, vor diesen Wahlen einen ihrer bedeutenden Ost-Akteure zu degradieren. Und schließlich wird die Arroganz von Alice Weidel vermutlich auch eine Rolle gespielt haben, die auch in ihrer Bewerbungsrede zum Ausdruck gekommen ist. Jenseits von taktischen Einschätzungen dürfte sie ihr Auftreten einige Stimmen gekostet haben.
Rund um die Gruga-Halle, in der der Parteitag stattgefunden hat, gab es massive Proteste gegen die AfD. Haben die eine Wirkung auf die Partei und ihre Anhänger*innen?
Es gelingt der AfD sehr gut, den Protest umzudeuten und eine Opferrolle einzunehmen, indem sie sich als die eigentliche Kraft der Meinungsfreiheit darstellen kann. Die Protestkultur um die Gruga-Halle herum war sehr vielfältig. Die AfD hat das dann so dargestellt, als würde ihr das demokratische Recht verwehrt, ihren Parteitag abzuhalten. Die Proteste führen also dazu, dass sich die Reihen bei der AfD schließen. Manchmal nimmt das fast religiöse Züge an.
Wohin steuert die AfD nach diesem Parteitag?
Dieser Parteitag ist der Beginn einer neuen Epoche der AfD als Partei. Organisatorisch stellt sie sich so auf, wie die von ihr benannten Alt-Parteien. Festmachen lässt sich das an Elementen der Inszenierung und dem demonstrativen Zur-Schau-Stellen von Einheit bis hin zu Hinterzimmer-Politik. Der basisdemokratische Ansatz der ersten Jahre ist damit endgültig Geschichte. Gleichzeitig gibt es eine klare Kontinuität in der Radikalität der AfD. Mit Blick auf die Wahlen in diesem und im kommenden Jahr werden die Erfolgsaussichten der AfD weiter zunehmen. Gleichzeitig wird sie aber machtloser werden.
Wie meinen Sie das?
Die AfD hat programmatisch keinerlei Anschlussfähigkeit im Parteienspektrum der Bundesrepublik. Ob das von den anderen Parteien dauerhaft auch so gesehen wird, muss sich noch zeigen. Nicht umsonst wird ja regelmäßig über die sogenannte Brandmauer diskutiert. Das kann zu der Situation führen, dass die AfD umso machtloser wird, je erfolgreicher sie ist. Ein innerparteilicher Kampf zwischen denen, die die AfD in Regierungsverantwortung führen wollen und denen, die auf Fundamentalopposition setzen, wäre dann vorprogrammiert. Aufgrund der klaren Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei ist nicht absehbar, dass es eine Annäherung an die demokratische Struktur der Bundesrepublik geben wird. Die AfD bleibt so eine in großen Teilen rechtsextreme Partei, die strukturell bekämpft werden muss.
Wolfang Schroeder ist Professor für das Politische System der BRD an der Universität Kassel. Schroeder ist Fellow am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).
Das Interview erschien zuerst beim "vorwärts".