Rezension
Die AfD-Fraktion im Bundestag – von Provokation und Selbstverharmlosung
2017 zog die AfD erstmals in den Bundestag ein und begann dort mit ihrer Fraktionsarbeit. Eine politikwissenschaftliche Analyse zeigt dieses Wirken auf, wobei diverse Ebenen jeweils den Gegenstand der Untersuchung bilden. Insbesondere die Ausführungen zu den genutzten Strategien sind auch noch gegenwärtig von großer Wichtigkeit.

Die AfD zog erstmals 2017 in den Bundestag ein und bildete dort auch gleich die größte Oppositionsfraktion. Doch wie sah eigentlich die Parlamentsarbeit der Partei genau aus? Antworten auf diese Frage lieferten bislang einige Studien, die auf bestimmte Aspekte bezogen waren, aber kein umfassendes Bild lieferten. Eine derartige Analyse legte Fedor Ruhose vor. Im Hauptberuf ist er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz.
Seine Buchveröffentlichung „Rechtspopulismus in der Opposition. Die AfD-Fraktion im Bundestag (2017-2021)“ stellt seine politikwissenschaftliche Dissertation dar. Mit ihr will der Autor sowohl einen Beitrag zur Oppositions- wie Populismusforschung leisten. Dabei geht es ihm allgemein um Erkenntnisse zu Fragen nach Funktionen, Oppositionsauffassungen, Positionsprofilen, Strategien und Verhaltensmustern. Für die Analyse bilden dafür Auswertungen empirischer Daten ebenso eine Grundlage wie qualitative Interpretationen des Vorgehens.
Kombination von Oppositions- und Populismusforschung
Wie bei einer Dissertation üblich geht es zunächst um methodische Vorklärungen, wobei der Autor sich auf die Populismusforschung bezieht. Dezidierte Bezüge zur Extremismusforschung gibt es dabei nicht. Der Erfolg der Partei wird von Ruhose dabei mit durch eine Vertretungslücke erklärt, sahen sich danach doch bestimmte Bevölkerungsteile nicht mehr von den bestehenden Parteien vertreten. Der Autor stellt aber auch darauf ab, dass es hier um ein neues praktiziertes Oppositionsmodell geht.
Und schließlich betont er die Bedeutung von Emotionen bei derartiger Parlamentsarbeit, insbesondere was die durch Provokationen beabsichtige öffentliche Wirkung angeht. Insofern werden in der Arbeit die unterschiedlichsten Facetten von Ruhose angesprochen. Dies steht für einen multiperspektivischen Ansatz, der auch viele spätere Detailerkenntnisse möglich macht. Ob die dafür genutzten Experteninterviews immer auch nötig waren, kann angesichts von deren etwas unklarem Hintergrund indessen hinterfragt werden.
Nahezu doppelt so viele Ordnungsrufe wie alle anderen Parteien
Nach diesem methodischen Beginn finden sich viele bedeutsame Detailinformationen, wofür bereits die Angaben über das der Bundestagsfraktion eigene Sozialprofil zählen. Es wird auch akribisch das Agieren im Parlament untersucht, erhielten doch etwa AfD-Abgeordnete fast doppelt so viele Ordnungsrufe wie alle anderen Parlamentsparteien zusammen. Ausführlich geht es auch um konkrete Anfragen oder aktuelle Stunden, wobei man den inhaltlichen Markenkern ausmachen kann: Europapolitik, Migration und Sicherheit.
Interessant wäre noch das ausführlichere Aufgreifen der Beschäftigung mit Sozial- und Wirtschaftspolitik gewesen, besteht doch da zwischen öffentlich suggeriertem Bild und inhaltlich positionierter Parlamentsarbeit ein gewisser Widerspruch. Besondere Beachtung verdient dann wieder der auf die Corona-Kommentierung vorgenommene Rückblick, wo verschiedene Phasen von Ruhose herausgearbeitet werden. Sie machen schon die für die Parlamentsarbeit angewandten unterschiedlichen Strategien für die beabsichtigte Wirkung deutlich.
Entkultivierung und Provokation als Strategien
Und genau dieser Aspekt verknüpft dann die unterschiedlichen Fragestellungen der Studie, wobei hier von der Emotionalisierungsfunktion der rechtspopulistischen Opposition die Rede ist. Als herausgearbeitete Elemente gelten: Entkultivierung, Provokation, Selbstverharmlosung und Vereindeutigung. Gleichzeitig werde das bürgerliche Image einer „einzig echten“ Oppositionsfraktion vermittelt. Insbesondere der kleine Abschnitt über die AfD als „‘Demokratie‘-Fraktion“ informiert hier über die Diskursstrategie der Partei sehr überzeugend.
Die letzten Abschnitte der Arbeit widmen sich dann noch den Gegenstrategien der anderen Parteien, wobei wichtige Erfahrungswerte im Vergleich betrachtet werden. In der Gesamtschau liegt somit eine überaus informative und materialreiche Untersuchung vor, die sowohl durch den inhaltliche Detailreichtum wie auch die analytischen Perspektiven beeindruckt. Der Autor schreibt entsprechend einer Dissertation auch ohne einfache Polemik und legt bilanzierend eine beeindruckte politikwissenschaftliche Studie vor.
Fedor Ruhose, Rechtspopulismus in der Opposition. Die AfD-Fraktion im Bundestag (2017-2021), Frankfurt/M. 2023 (Campus-Verlag), 406 Seiten