Aufklärer und Mahner
Der österreichische NS-Zeitzeuge Karl Pfeifer ist tot
Der österreichische Zeitzeuge und mehrfach ausgezeichnete Journalist Karl Pfeifer ist tot. Ein persönlicher Abschied.
Der Sohn aus einer assimilierten bürgerlichen Familie nahm am israelischen Unabhängigkeitskampf teil und arbeitete bis zuletzt für österreichische und internationale Medien wie der in Berlin erscheinenden „Jüdischen Allgemeinen“. Rechtsextremismus und dumpfer Nationalismus waren ihm, der einen großen Teil seiner Familie in Auschwitz „verlor“, seit seiner Kindheit zuwider. Seine letzten Lebensjahrzehnte hat Pfeifer in den Dienst der Erinnerung an die Shoah gestellt. Aufklärung und Mahnung waren seine Berufung. Ein wichtiges Herzensanliegen waren ihm Zeitzeugengespräche mit Schülerinnen und Schülern.
Der umtriebige Aufklärer über die NS-Zeit und den braunen Sumpf der Nachkriegsjahrzehnte Österreichs, der kompromisslose Kämpfer gegen rechten und linken Antisemitismus, der sensible Analytiker des modernen Antisemitismus und dessen Traditionslinien, der unermüdliche Streiter wider primitive Ressentiments und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, der Mahner, der schon früh vor dem Weg Ungarns unter Orbán, dem „Anführer und Rechtsextremisten“ (O-Ton Pfeifer) in den Autoritarismus warnte, ist im Alter von 94 Jahren in Wien verstorben. Ein großartiger, warmherziger und liebenswerter Mensch, der er trotz aller Negativerlebnisse war, ein Freund, ist nicht mehr.
Flucht nach Palästina
Geboren wurde Pfeifer 1928 in Baden bei Wien. Schon als Kind realisierte er die gesellschaftliche Isolation, in der seine jüdische Familie leben musste. 1938 floh Pfeifer mit seinen Eltern in deren Geburtsland Ungarn und musste auch dort die Erfahrung machen, dass er in den Augen vieler Einheimischer ein „Sau Jud“ war. 1940 trat er der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation „Haschomer Hatzair“ bei. Nach der deutschen Besetzung Ungarns gelang Pfeifer unter falschem Namen mit einem Kindertransport auf höchst abenteuerliche Weise die Flucht nach Palästina. Im Kibbuz Schaar Haamakim wurde er im Rahmen der Jugend-Alija erzogen.
Ab 1947 diente Pfeifer in der Elitetruppe Palmach der Untergrundorganisation Hagana, einer Phase seines Lebens, in der er viele seiner Freunde im Kampf für die Freiheit sterben sah, und später in der israelischen Armee. Über die Geburtswehen Israels berichtete Pfeifer in seinem letzten in der „Jüdischen Allgemeinen“ erschienenen Artikel im November 2022. Demnach verfolgte er in Jerusalem am 29. November 1947 im Radio die Abstimmung der Generalversammlung der UNO zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina: „Wir jubelten, als wir hörten, dass die Mehrheit für die Teilung gestimmt hatte. 50 Jahre nach Gründung der zionistischen Bewegung rückte Theodor Herzls Traum in greifbare Nähe. Heute wird oft `vergessen´, dass auch ein Staat für die Araber Palästinas entstehen sollte, die noch nie zuvor einen gehabt hatten.“ Am 29. November 1947 stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen für die Errichtung von zwei Staaten auf dem Gebiet des britischen Mandatsgebietes - eines jüdischen und eines arabischen Staates. Die Juden nahmen den Vorschlag an, die Araber lehnten ihn ab.
Redakteur für Israelitische Kultusgemeinde
1951 kehrte Pfeifer wieder zeitweilig in seine alte Heimat zurück. Dem dort immer noch herrschenden ewiggestrigen Dunst entzog er sich mit mehrfachen Orts- und Berufswechseln und avancierte zum Kosmopolit mit Stationen unter anderem in Italien, England, Neuseeland und den USA. Von 1982 bis 1995 war Pfeifer Redakteur der „Gemeinde“, dem offiziellen Organ der Israelitischen Kultusgemeinde.
Zum Hassobjekt der deutschsprachigen rechtsextremen Szene geriet Pfeifer 1995. Dem an der Fachhochschule Münster lehrenden Politologen Werner Pfeifenberger, einem „Apologeten des Nazitums“ (O-Ton Pfeifer), wies er nach, dass dieser in einem Artikel mit dem Titel „Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft?“, veröffentlicht im Jahrbuch der FPÖ-Bildungseinrichtung Freiheitliche Akademie, das NS-Regime verharmlost und den Juden vorgeworfen hat, Hitler-Deutschland 1933 zum Krieg herausgefordert zu haben.
Entschädigung
Nach der Anklageerhebung der Wiener Staatsanwaltschaft gegen Pfeifenberger wegen NS-Wiederbetätigung beging dieser Suizid. Zuvor war Pfeifenberger bereits mit Klagen wegen übler Nachrede gegen Pfeifer in zwei Instanzen gescheitert. Nach dem Tod Pfeifenbergers wurde in der von Andreas Mölzer herausgegebenen FPÖ-nahen Wochenzeitung „Zur Zeit“ gehetzt, der „jüdische Journalist“ Pfeifer habe die „Lawine gegen Pfeifenberger“ ausgelöst und sei Teil einer „Jagdgesellschaft“, die Pfeifenberger „in den Selbstmord getrieben“ habe.
Pfeifer klagte daraufhin auf Entschädigung und wurde von den österreichischen Gerichtsinstanzen abgewiesen. Im November 2007 bekam Pfeifer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht gesprochen und die Republik Österreich wurde zu 5.000 Euro Entschädigung für das Versäumnis der Gerichte verurteilt. Durch seine journalistische Arbeit wurde Pfeifer im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Brückenbauer zwischen Österreich und Israel.
Kontakte nach Ungarn
Pfeifer hatte auch eine weithin eher unbekannte Seite. So pflegte dieser seit Ende der 70er Jahre enge Kontakte zur demokratischen Opposition in Ungarns und wurde infolgedessen mehrfach aus dem vermeintlich sozialistischen Land ausgewiesen. Verhasst war dem Regime insbesondere die Presseberichterstattung Pfeifers über die Diskriminierung von Wehrdienstverweigern.
Karl Pfeifer, ein Kosmopolit und Philanthrop, NS-Zeitzeuge, Aufklärer und Mahner, Mensch und Freund, ist am 6. Januar verstorben. Nicht nur Dagmar, seiner Partnerin, wird er fehlen.