Saarlouis

Brandanschlag: Ehemalige Neonazi-Szenegröße verhaftet

Über 30 Jahre nach dem tödlichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis wurde der ehemals szenebekannte Neonazi Peter Werner S. verhaftet.

Montag, 04. April 2022
Anton Maegerle
Demonstration zum Gedenken an den Mord an Samuel Yeboah in Saarlouis, Foto: Kai Schwerdt, CC BY-NC 2.0
Demonstration zum Gedenken an den Mord an Samuel Yeboah in Saarlouis, Foto: Kai Schwerdt, CC BY-NC 2.0

Die Bundesanwaltschaft hat heute aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof (BGH) vom 23. März den deutschen Staatsangehörigen Peter Werner S. (Jg. 1971)  durch Beamte des Landespolizeipräsidiums Saarland festnehmen lassen. S. wird im Laufe des heutigen Tages dem Ermittlungsrichter beim BGH vorgeführt werden.

Der Mann war schon länger im Visier der Ermittler, 2021 hatte die Bundesanwaltschaft bereits dessen Wohnung und Arbeitsplatz durchsuchen lassen. Nun haben die Ermittler offenbar so viel belastendes Material, dass ein Haftbefehl gegen S. erwirkt werden konnte. Es besteht der dringende Tatverdacht des Mordes, des versuchten Mordes zum Nachteil von 20 Menschen sowie der Brandstiftung mit Todesfolge.

19. September 1991

27 Jahre war der 1964 in Ghana geborene Samuel Yeboah alt, als er am 19. September 1991 an den Folgen eines Brandanschlags auf das als Flüchtlingsheim genutzte ehemalige Gasthaus „Weißes Rößl“ in der Saarlouiser Straße 53 in Saarlouis-Fraulautern starb. Mitten in der Nacht wurde ein Brandanschlag auf die Unterkunft verübt.

Die meisten BewohnerInnen konnten sich retten, zwei Flüchtlinge aus Nigeria, damals 33 und 37 Jahre alt, sprangen aus einem Fenster des obersten Stockwerks und überlebten mit Knochenbrüchen. Yeboah starb Stunden später im Krankenhaus. 18 weitere Personen blieben unverletzt. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft geht von einem rechtsextremen und rassistischen Motiv des Anschlags aus. Es gehe um eine „staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung“.

Bereits der fünfte Angriff

Laut Bundesanwaltschaft feierte Peter S. in dieser Nacht mit mehreren Neonazis in einer Saarlouiser Kneipe. Sie sollen sich über rassistisch motivierte Anschläge unterhalten haben. Als die Gaststätte schloss, sei der heute 50-Jährige offenbar als Einzeltäter zu dem Wohnheim gegangen. Im Treppenhaus soll er Benzin aus einem Kanister vergossen und angezündet haben. Der Brandanschlag war bereits der fünfte Angriff auf Flüchtlingsunterkünfte in Saarlouis seit 1987. Im Umfeld des Tatorts hatte es weder ein Bekennerschreiben, noch rechtsextreme Schmierereien gegeben.

Elf Monate später wurden von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken die Ermittlungen eingestellt. Die Tat wurde zunächst nicht als rechtsextrem eingestuft. Die Bundesregierung korrigierte diese Einschätzung später. Im Sommer 2020 wurde im saarländischen Landespolizeipräsidium eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die mögliche Fehler bei den Ermittlungen aufklären sollte.

Vorwurf: Mord, versuchter Mord sowie Brandstiftung mit Todesfolge

„Aufgrund neuer Hinweise und wiederaufgenommener intensiver Ermittlungen wird zwischenzeitlich von einer rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen Tat ausgegangen. Das Verbrechen reiht sich ein in eine Serie von Brand- und Sprengstoffanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte Anfang der 90er Jahre im Raum Saarlouis“, teilte die Polizei mit. Eine 18-köpfige Sonderkommission rollte den Fall neu auf. Das Verfahren wurde an die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe übergeben, die am 16. April 2020 die Ermittlungen aufnahm.

Am 28. Januar 2021 durchsuchten Ermittler die Wohnung und den Arbeitsplatz des mutmaßlichen Täters Peter Werner S. – ihm wurde Mord, versuchter Mord in 18 Fällen sowie Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen. Der Verdächtige war bis heute auf freiem Fuß, da laut einer damaligen Meldung der Bundesanwaltschaft kein „dringender Tatverdacht“ bestand und kein Haftbefehl erlassen wurde. Laut Bundesanwaltschaft wurden nunmehr 150 Zeugenvernehmungen durchgeführt, bei denen sich die Hinweise auf  S. verdichtet hätten.

Auf Demo mit NSU-Terroristen

S. zählte in den Jahren von 1990 bis September 1997 zu den Führungspersonen der Neonazi-Szene in Saarlouis und war Führungsmitglied der „Kameradschaft Horst Wessel Saarlautern“. Mehrfach wurde er bei Demonstrationen als Ordner eingesetzt. Am 9. Oktober 1992 soll er an einem Übergriff von zwölf Neonazis auf einen Studenten in Saarbrücken beteiligt gewesen sein.

Am 17. August 1996 nahm S. am Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im rheinland-pfälzischen Worms teil. 200 Neonazis marschierten damals unter Führung des späteren NPD-Vorsitzenden Holger Apfel durch die Innenstadt. Zu den von der Polizei namentlich erfassten Neonazis gehörten auch die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sowie deren Gesinnungskameraden Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und Tino Brandt.

Kooperation mit der Polizei?

Zugegen war S. auch bei einer spontanen Neonazi-Demonstration am 1. Mai 1997 im hessischen Alsfeld. 120 Neonazis zogen brüllend durch die Innenstadt. Wenige Wochen später soll S. gegenüber der Polizei Angaben über Gleichgesinnte gemacht haben und aus der Szene in Saarlouis offenbar ausgeschlossen worden sein.

Weiterhin unaufgeklärt sind im Saarland auch zwei weitere Vorgänge, die vermutlich auch Rechtsextremisten begangen haben: Am 9. März 1999 wurde mit Hexogen, einem militärischen Sprengstoff, ein Anschlag auf die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht  941-1944“ in Saarbrücken verübt. Der an einer frei zugänglichen Außenmauer angebrachte Sprengsatz richtete am Ausstellungsgebäude und einer nahegelegenen Kirche erheblichen Sachschaden in Höhe von rund 255.000 Euro an. Trotz eines anonymen Bekennerbriefes konnte die Polizei die Täter nicht stellen.

Aufklärung gefordert

Am 19. November 1990 wurde unter einer Treppe vor der Geschäftsstelle der Linken Liste/PDS in Saarbrücken ein Sprengstoffpaket mit Zeitzünder entdeckt. Der Zünder war auf einen Zeitpunkt eingestellt, an dem die Bombe wohl mehr als zwei Dutzend GenossInnen getroffen hätte.

Nach der Verhaftung von S. bleiben weiterhin viele Fragen offen, so die Antifa Saar / Projekt AK: „So muss unter anderen geklärt werden, wer S. bei der Tat unterstüzt hat, wer Mitwisser waren und insbesondere wie es sein kann, dass die Ermittlungen erst nach 31 Jahren die Verhaftung eines Tatverdächtigen zur Folge haben.“ Die Antifa Saar / Projekt AK fordert deshalb die sofortige Offenlegung der Ermittlungs- sowie Geheimdienstakten im Fall Yeboah.

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