Antisemitismus

Bewährungsstrafen nach massiver Schändung eines jüdischen Friedhofes

Das Amtsgericht Geilenkirchen hat zwei Vertreter der Neonazi-Gruppe „Syndikat 52“, die sich zur Tatzeit im Umfeld der Miniaturpartei „Die Rechte“ engagiert hatten, wegen der Schändung des jüdischen Friedhofes in Geilenkirchen zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Freitag, 24. Juni 2022
Michael Klarmann
Die beiden Angeklagten im September 2021 beim ersten Prozessanlauf, der bald darauf platzte. Foto: Michael Klarmann
Die beiden Angeklagten im September 2021 beim ersten Prozessanlauf, der bald darauf platzte. Foto: Michael Klarmann

Der Auszubildende Florian T. (23) aus Gangelt im Kreis Heinsberg wurde am Donnerstagnachmittag vom Gericht zu einem Jahr und einem Monat Haft, ausgesetzt für vier Jahre zur Bewährung verurteilt. Der Umschüler Björn G. (35) aus Selfkant – ebenso Kreis Heinsberg – wurde zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt, ebenso ausgesetzt zur Bewährung. Beide müssen als Bewährungsauflagen jeweils 2.500 Euro Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Ebenso entschied das Gericht, dass sie der Stadt einen entstandenen Schaden von rund 13.000 Euro zur Wiederherstellung des jüdischen Friedhofes zahlen müssen. Allerdings muss in einem anderen Verfahren noch entschieden werden, ob diesen Summe stimmig ist.

Überschattet wurde der Prozess von vielen Verzögerungen. Zugetragen hatte sich die Schändung am frühen Morgen des 30. Dezember 2019. Im Frühjahr 2021 lag dann die Anklageschrift vor. Ein erster Prozessstart platzte im Herbst 2021 nach einem Verhandlungstag und einer vor dem Fortsetzungstermin festgestellten Corona-Erkrankung eines Beteiligten. Der jetzt beendete Prozess war der siebte Anlauf und begann am 4. Mai 2022 – insgesamt 856 Tage nachdem die Angeklagten von der Polizei gefasst wurden. Zu Verzögerungen trugen unter anderem vier Erkrankungen, ein Verteidigerwechsel und der Wechsel des zuständigen Richters im Amtsgericht bei.

Nur Störung der Totenruhe und Sachbeschädigung?

Vorgeworfen wurde dem 1998 geborenen Auszubildenden T. und dem 1986 geborenen Umschüler G., auf dem jüdischen Friedhof in Geilenkirchen 47 Grabsteine umgeworfen und diese oder weitere mit Farbe besprüht zu haben. Entsprechend gesprühte Symbole vermittelten bis auf ein seitenverkehrtes, unfertiges Hakenkreuz keine politischen Botschaften. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte die beiden Rechtsextremen daher nur wegen Störung der Totenruhe und Sachbeschädigung angeklagt, T. auch Widerstand gegen Polizisten vorgeworfen. Er hatte sich kurz nach der Schändung bei seiner Festnahme in unmittelbarer Tatortnähe gewehrt.

Die Justiz vermittelte teilweise zu Beginn des Prozesses den Eindruck, als spiele die politische Gesinnung der Angeklagten nur eine geringe Rolle. Dabei hatte die Polizei schon in ihrer Pressemitteilung am Nachmittag des Tattages von zwei „polizeibekannten Tatverdächtigen“ berichtet. Gegenüber der Lokalzeitung hatte die Pressestelle des Polizeipräsidiums Aachen auf Anfrage nur wenige Stunden nach der Tat konkretisiert, beide seien „schon zuvor mit rechtsgerichteten Straftaten aufgefallen.“ Wenige Tage nach der Tat berichteten Medien dann, dass die Tatverdächtigen Mitglieder beziehungsweise Sympathisanten der Neonazi-Gruppe „Syndikat 52“ (S52) waren und sich politisch im Umfeld der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ (DR) engagierten.

Nicht aufgeklärte Schändung in Wohnort-Nähe

Auffällig war ferner die Wohnort-Nähe beider zur Gemeinde Gangelt. Erst Mitte Juli 2019 waren dort auf einem abgelegenen jüdischen Friedhof fast 30 Grabsteine umgestoßen, zerstört oder mit Hakenkreuzen und anderen Symbolen besprüht worden. In einer Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine Große Anfrage der Bündnis-Grünen wurde diese Tat 2020 – obschon sie strafrechtlich gesehen bis heute als unaufgeklärt gilt – Aktivisten von S52 bzw. der DR zugerechnet. Erwähnt wird in der Antwort auch die Schändung des jüdischen Friedhofes in Geilenkirchen, auch sie wurde dabei seinerzeit schon S52-Mitgliedern zugerechnet. Beide Schändungen gehören zu den schwersten und massivsten in NRW in den letzten Jahren.

Die später Angeklagten nahmen sowohl nach Recherchen von ENDSTATION RECHTS. als auch laut Zeugenaussage eines Staatsschutz-Beamten bis mindestens Ende 2021 regelmäßig an neonazistischen Versammlungen teil. Bei einem „Trauermarsch“ im Oktober in Dortmund für der verstorbenen „SS-Siggi“ waren sie ebenso anwesend wie bei einem „Heldengedenken“ der NPD in Mönchengladbach im November. Beide Veranstaltungen wurden im Landesverfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 erwähnt – und zwar im Zusammenhang mit der Glorifizierung nationalsozialistischer Gruppierungen respektive der „Verklärung“ historischer Nazi-Verbrechen.

Anklageschrift für einen „Jungenstreich“

Vertreter der örtlichen „Initiative Erinnern“ kritisierten seit Herbst 2021 in Interviews und Stellungnahmen mehrfach, dass sie eine Entpolitisierung des Prozesses befürchteten. Hans Bruckschen, Koordinator der Initiative, bewertete die Anklageschrift im September eher als eine solche für einen „Jungenstreich“, fast so als wäre nur eine „Kirmesbude“ umgestoßen worden. Seinerzeit veröffentlichten alle im Stadtrat vertretenen Fraktionen, das Bündnis gegen Rechts im Kreis Heinsberg sowie die Geilenkirchener Schulen eine gemeinsame Stellungnahme. Die Staatsanwaltschaft wurde darin ungewöhnlich deutlich kritisiert.

Mit keinem Wort sei „in der Anklage der antisemitische und volksverhetzende Charakter dieser Friedhofsschändung“ oder der politische Hintergrund der Angeklagten erwähnt worden. Judenfeindliche Verbrechen müssten klar benannt und angeklagt werden, wurde in der Stellungnahme gefordert. Seitdem wiederholten Lokalpolitik, Stadt und die Initiative diese Forderung. Auch im Ausland lebende Nachfahren der aus Geilenkirchen stammenden und zum Teil im Holocaust ermordeten Juden forderten in Schreiben, die Tat und die politische Gesinnung der Angeklagten müsse klar benannt werden. Anfang Juni schloss sich die noch neue Aufklärungsstelle „RIAS NRW – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ dem an.

Anwalt nahe dem verschwörungsgläubigen Spektrum

Auch einer der Strafverteidiger bemühte sich darum anzudeuten, dass auf der Anklagebank eigentlich keine strammen Rechtsextremisten sitzen würden. Aufsehen erregt hatte der Jurist Wilfried Schmitz aus der Gemeinde Selfkant Jahre zuvor durch eine „Reichsbürger“-Klage und einer Nähe zum rechten und verschwörungsgläubigen Spektrum. 2020 hielt Schmitz selbst Reden auf Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen. Zudem entwarf und publizierte der Strafverteidiger Musterschreiben für Menschen aus jenen politischen und ideologischen Spektren, mit denen sie selbst Strafanzeigen, Klagen oder Widersprüche erstatten oder einlegen können.

Kurzzeitig war Schmitz als Mitbegründer auch bei den „Anwälten für Aufklärung“ engagiert. Im laufenden „Wehrbeschwerdeverfahren“ vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die Impfpflicht für Bundeswehr-Soldaten vertritt Schmitz neben unter anderem Martin Schwab („dieBasis“) aus Bielefeld und Beate Bahner aus Heidelberg auch einen der Kläger.

Bezüglich der Angeklagten reichte er im Prozess in Geilenkirchen Medienberichte zu den Akten, in denen er eine Art Vorverurteilung und „Stimmungsmache“ witterte. Nur, so der Jurist, weil Menschen an Versammlungen teilnähmen, müsse dies nicht bedeuten, dass sie auch politisch rechtsaußen stünden. Gleichwohl musste Schmitz in seinem späteren Plädoyer nach dem Verlesen vieler antisemitischer, nationalsozialistischer und menschenverachtender Chat-Nachrichten der Angeklagten einräumen, dass sie wohl doch zur rechten Szene gehörten.

Motiv „Hass auf Juden“

Am Tag des Urteils waren jene Nachrichten verlesen worden. In ihrem Plädoyer hatte die Staatsanwältin danach ausdrücklich betont, das Motiv für die Schändung sei klar erkennbarer „Hass auf Juden“ gewesen. Amtsrichter Thomas Schönig betonte ebenso, Auslöser für die Tat Ende Dezember 2019 sei die rechtsextreme und antisemitische Gesinnung beider gewesen. Auch etwaige Vorstrafen resultierten aus teils „menschenverachtenden“ Taten, so Schönig.

T. und G. sind der Justiz schon wegen rechtsextremer, szenetypischer Delikte bekannt. G. wurde schon verurteilt wegen Besitzes von kinderpornografischem Material. Gegen ihn läuft diesbezüglich ein weiteres Verfahren. Denn kurz nach der Schändung in Geilenkirchen fanden bei den Neonazis Hausdurchsuchungen statt – und bei G. wurde trotz seiner diesbezüglichen Vorstrafe erneut solches Bildmaterial auf Speichermedien gefunden.

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