Falsche Maskenatteste

Bewährungsstrafe für Hamburger Querdenker-Ikone

Der Mediziner Walter Weber, Mitgründer der „Ärzte für Aufklärung“, stellte in der Corona-Pandemie bereitwillig Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht aus – ohne jede körperliche Untersuchung. Nach einem langen und zähen Prozess verurteilte das Hamburger Landgericht den 80-Jährigen jetzt zu einer 22-monatigen Bewährungsstrafe. Seine Fans feiern ihn als Helden.

Montag, 09. Dezember 2024
Joachim F. Tornau
Walter Weber verlässt das Landgericht - und wird direkt von Anhängern in Empfang genommen, Foto: Joachim F. Tornau
Walter Weber verlässt das Landgericht - und wird direkt von Anhängern in Empfang genommen, Foto: Joachim F. Tornau

Nele Behr hatte die Faxen dicke. Nach sieben Monaten und mehr als 25 mühsamen Verhandlungstagen wollte die Richterin am Montag das Urteil gegen den Hamburger Arzt und Coronaleugner Walter Weber verkünden, es ging um das Ausstellen falscher Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht in der Pandemie. Doch kaum hatte die Strafkammervorsitzende am Hamburger Landgericht die ersten Worte gesprochen, versuchte die Verteidigung, sie mit einem weiteren Beweisantrag zu überbrüllen.

„Ruhe!“, brüllte die Richterin zurück. Und begründete dann – in aller Ruhe, wenn auch immer noch sichtbar angefasst von einem Verfahren, das sie in hanseatischer Zurückhaltung „herausfordernd“ nannte – das Urteil gegen den 80-jährigen Mediziner. Für 57 Fälle, in denen Weber ohne jegliche Untersuchung gesundheitliche Probleme durch das Masketragen bescheinigt hatte, eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. „Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ lautet der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch.

Fragwürdige Ansichten

Weber ist eine Ikone der Querdenken-Bewegung. Er hat die „Ärzte für Aufklärung“ mitgegründet, die auf ihrer von ihm redaktionell verantworteten Internetseite bis heute die Gefährlichkeit des Corona-Virus leugnen und Verschwörungsmythen über Pandemie und Impfung verbreiten. Aber auch früher schon fiel er mit fragwürdigen Thesen auf. So richtete er seine Behandlung als Onkologe an der persönlichen Annahme aus, dass Krebs maßgeblich durch „psychosomatischen Stress“ und „ungelöste Konflikte“ verursacht werde. Dabei bezieht sich Weber unter anderem auf den antisemitischen Verschwörungsideologen Ryke Geerd Hamer (1935-2017), dessen pseudomedizinische „Germanische Neue Medizin“ mehrere hundert Menschen das Leben gekostet haben soll.

Querdenker protestieren vor dem Landgericht Hamburg für Walter Weber, Foto: Joachim F. Tornau
Querdenker protestieren vor dem Landgericht Hamburg für Walter Weber, Foto: Joachim F. Tornau

Auch mit einem Attest hatte Weber schon einmal für Schlagzeilen gesorgt: Im Jahr 2000 sprang er einer Rentnerin zur Seite, die wegen einer rassistischen Beleidigung angeklagt war. Er bescheinigte der Frau kurzerhand, in Gegenwart von Schwarzen „Angstzustände“ zu bekommen.

Blanko-Atteste: „Wer braucht noch eines?“

Reue und Einsicht liegen ihm fern, damals wie heute. „Sie sehen sich selbst als Held“, sagte Richterin Behr. „Sie haben Ihre eigene Überzeugung über das Gesetz gestellt.“ Dass es Weber bei den Maskenbescheinigungen nicht um medizinische Redlichkeit ging, zeigte sich besonders deutlich, als er im November 2020 mit Gleichgesinnten zu einer Coronademo nach Leipzig fuhr. Allesamt natürlich maskenlos. Als die Polizei gekommen sei, so die Richterin, habe der Angeklagte einen Stapel Blanko-Atteste aus der Tasche gezogen: „Wer braucht noch eines?“

Noch in seinem Schlusswort hatte Weber trotzig verkündet, auch in Zukunft wieder so zu handeln, wie er es getan hat. Die gewährte Bewährung sei trotz des Alters des Angeklagten und seiner fehlenden Vorstrafen darum „kein Selbstgänger“ gewesen, betonte die Richterin. Das Gericht entschied sich zwar trotzdem dafür – verhängte jedoch als Bewährungsauflage, dass der Arzt drei Jahre lang keinerlei Maskenatteste ausstellen darf. Tut er es doch, kann die Bewährung widerrufen werden. Eine durchaus salomonische Lösung. Die Verteidigung aber will sie nicht akzeptieren. „Wir haben schon Revision eingelegt, auf elektronischem Weg noch im Gerichtssaal“, sagte Rechtsanwalt Ivan Künnemann, der sich wie sein Co-Verteidiger Sven Lausen einen Namen als Vertreter von Corona-Leugner*innen gemacht hat, nach der Verhandlung. Als dritter Verteidiger war zwischenzeitlich auch noch Edgar Siemund aufgetreten, Politiker der Coronaleugner*innen-Partei „Die Basis“ aus Oberbayern.

E-Mail reichte für Attest

Mit dem Urteil folgte das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger hatten Freispruch verlangt und dabei, wie schon im Prozessverlauf, reichlich Nebelkerzen gezündet. Dass Telemedizin in der Pandemie doch ausdrücklich erwünscht gewesen sei. Oder dass die Verpflichtung zur körperlichen Untersuchung einzig und allein auf ein Urteil aus der Nazi-Zeit zurückgehe.

„Das ist haarsträubend“, kommentierte die Richterin. „Eine fernmündliche Beschreibung von Symptomen reicht unter keinen Umständen aus, eine Befreiung von der Maskenpflicht auszustellen. Das ist medizinisches Basiswissen.“ Zumal eine medizinische Sachverständige im Prozess deutlich gemacht hatte, dass die auf den Attesten angegebenen Symptome wie Kopfschmerzen oder Atemnot niemals ausreichen könnten, eine potenziell lebensgefährliche Kohlendioxidvergiftung durch die Maske zu diagnostizieren. Manchmal, berichtete die Rechtsmedizinerin, habe sich Weber auch damit zufrieden gegeben, wenn ihm Patient*innen bloß mailten: „Ich finde die Maske eklig.“

Fans belagern Gericht

Um den Prozess gegen ihren Mandanten in eine Generalabrechnung mit den Corona-Maßnahmen umzuwandeln, hatten die Verteidiger sogar versucht, Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Schaade, vorzuladen. Vergeblich allerdings. Der Staatsanwaltschaft warfen sie laut Gericht vor, Unterlagen unterdrückt und verbotene Absprachen mit den Sachverständigen getroffen zu haben. „Abenteuerlich“ nannte das die Richterin – und schloss nicht aus, dass sich die Anwälte mit den ungerechtfertigten Anwürfen selbst strafbar gemacht haben könnten.

Wie an jedem einzelnen Verhandlungstag waren Fans des Angeklagten auch zur Urteilsverkündung in Scharen erschienen. Sie hielten eine Schweigeminute für ihren Helden ab, klatschten, als er den Saal betrat, buhten die anwesende Presse aus und unterbrachen die Urteilsbegründung mit Zwischenrufen: „Dieses Gericht ist bedeutungslos!“

„Sie gefährden die Demokratie“

So ähnlich war das seit dem Prozessauftakt im Mai offenbar immer abgelaufen. Wachtmeister seien beleidigt, Praktikant*innen der Justiz am Betreten des Saals gehindert worden, sagte die Strafkammervorsitzende. „Das hat mich tief erschüttert.“ Die Zuschauer*innen hätten sich aufgeführt, als seien sie die Einzigen, die die Demokratie verteidigen. „Das ist falsch. Sie gefährden die Demokratie“, sagte Behr. „Zu einem demokratischen Umgang gehört Anstand und Respekt. Man muss einander zuhören.“

Die meisten Anhänger*innen von Walter Weber waren da jedoch schon wütend aus dem Saal gestürmt. Draußen vorm Gericht sangen sie dann „Die Gedanken sind frei“.

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