Begründungsverweigerung: Die eigene Ideologie kann die Neue Rechte nicht systematisieren
Der intellektuelle Anspruch der Neuen Rechten soll so hoch sein. Doch gelingt es deren Denkern nicht, die eigene Ideologie systematisch zu entwickeln. Mit der Berufung auf eine besondere Realitätsnähe soll dies jetzt gerechtfertigt werden.

Worin besteht die ideologische Grundauffassung der Neuen Rechten? Eine Antwort auf diese Frage kann man nur schwer geben, denn deren Anhänger liefern selbst keine einschlägige Begründung. Gelegentlich wird dieses Defizit offen eingeräumt, denn einer inhaltlichen Rechtfertigung verweigert man sich: Ein eigenes politisches Manifest benötige die Neue Rechte nicht, sie stehe für Realitäts- und Wirklichkeitsnähe. Diese Einschätzung steht nicht für eine polemische Zuspitzung.
Götz Kubitschek, der als einer der Köpfe der Neuen Rechten gilt, bekundete jüngst diese Position mit folgenden Worten: „Wir sind die Kinder und Enkel einer wichtigen rechten Denkfamilie. Ich bin der Auffassung, daß sich dieses Denken nicht legitimieren muß, denn es ist wirklichkeitsnah, realitätsnah, es ist an der Wesensnatur des Menschen, es fußt auf dem antiutopischen, realistischen Menschen- und Gesellschaftsbild.“ In einem neuen Band der „kaplaken“-Reihe (Dusan Dostanic/Filipp Fomitschow/Götz Kubitschek, Auswege. Eine Suche) liest man es so.
Doppelter Denkfehler
Diese Aussage ist auch formal von gravierenden Denkfehlern geprägt: Es wird für die eigenen Anhänger behauptet, dass ihnen ein exklusives Erkenntnisvermögen eigen sei. Eine Begründung oder Erläuterung dafür liefert Kubitschek nicht, nehme man doch Wesensnatur und Wirklichkeit wahr. Dann leitet er aus der angeblich richtigen Erkenntnis des gesellschaftlichen Seins ab, dass daraus auch für die politische Entwicklung direkt ein Sollen folge. Diese Argumentation steht aber für einen Fehlschluss:
Denn aus einer beschreibenden Aussage folgt nicht notwendigerweise eine normative Aussage, muss doch von unterschiedlichen Ebenen für das konkret Gemeinte ausgegangen werden. Insofern hat man es gleich mit einem doppelten Fehler zu tun. Damit erklärt Kubitschek dann für die Neue Rechte, warum sie über kein politisches Manifest verfüge. Es sei möglicherweise besser, „nach einem Roman zu fragen, der das bündelt“. Demnach wäre aus seiner Blickrichtung eine literarische Fiktion wichtiger als ein politisches Grundlagenwerk.
„Position ist gegenwärtig nicht genauer zu bestimmen“
Ähnliche Defizite waren aber auch schon früheren Positionierungen eigen. So bemerkte Kubitschek bereits 2007 in seiner Monographie „Provokation“: „Wir halten nicht viel von langwierigen Begründungen, von Herleitungen von der systematischen Stimmigkeit unseres Handlungsantriebs. … Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.“ Statt dem besseren Argument soll es die konkrete Gewalt richten, was viel über die Diskursfähigkeit der Neuen Rechten sagt.
Auch ein enger früherer Mitstreiter liefert nicht mehr, was das Buch „Das konservative Minimum“, ebenfalls 2007, von Karlheinz Weißmann zeigte. Darin ist von dem „Realismus der Konservativen“, von der „Erfahrung“ als „Leitlinie des Handelns“ die Rede, aber ohne bei all diesen Ausführungen konkreter und verbindlicher zu werden. Er schreibt: „Eine neue konservative Position ist gegenwärtig nicht genauer zu bestimmten. … Insofern ist das Vorstehende auch eine Kampf-Ansage.“
Begründungs- und Diskursverweigerung
Demnach sind die Denker der Neuen Rechten gar nicht fähig, die Grundlagen ihrer eigenen Weltanschauung zu systematisieren. Die einleitend erwähnten Aussagen von Kubitschek stehen demnach nicht für ein einmaliges Vorkommnis. Man beruft sich auf das angeblich Gegebene als das Natürliche, welches den Idealen der politischen Linken entgegen gestellt werden soll. Diese müssten ihre Konstrukte legitimieren, man selbst stehe für die Wirklichkeit. Insofern bedarf es dann auch keiner geistigen Anstrengungen, um eine eigene politische Theorie zu entwickeln.
Man hat es also offenkundig mit einer „Begründungs-“ und „Diskursverweigerung“ zu tun, ob durch bloße „Denkfaulheit“ oder geistiges „Unvermögen“ motiviert. Insofern darf man den intellektuellen Anspruch der Neuen Rechten nicht überschätzen, bleiben doch viele ihrer Positionen in einem unverbindlichen Vagen. Man muss diese Besonderheiten wahrnehmen, bilden sie doch das Feld für eine Ideologiekritik, der sich die Neue Rechten offenbar ungern stellen will.