Rezension

Bedingungsfaktoren für autoritäre Entwicklungen – ein neuer Sammelband

Der Jurist Günter Frankenberg und der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer haben den Sammelband „Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ herausgegeben. Er enthält 15 Beiträge, die nach den Bedingungsfaktoren für autoritäre Entwicklungen in westlichen Gesellschaften fragen. Auch wenn weder Autoren noch Herausgeber „die“ Erklärung dafür präsentieren können und wollen, liefern sie zahlreiche Einzelerkenntnisse für kommende Forschungen wie weiterführende Reflexionen.  

Mittwoch, 27. Juli 2022
Armin Pfahl-Traughber
Treiber des Autoritären Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (c) Campus
Treiber des Autoritären Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (c) Campus

Autoritäre Bewegungen, Parteien und Strukturveränderungen lassen sich immer mehr konstatieren, was auch und gerade in westlichen Demokratien mit unterschiedlichen Stellenwerten wahrnehmbar ist. Mitunter beschränkt sich dies dort auf marginale Bereiche der Gesellschaft, mitunter findet sich so etwas auch in deren Zentrum. Doch wie erklärt sich die Entwicklung, welche Faktoren können sie erklären. Antworten auf diese Frage finden sich in einem Sammelband, der von Günter Frankenberg, einem Juristen, und Wilhelm Heitmeyer, einem Sozialwissenschaftler, herausgeben wurde. 
Bezeichnend ist bereits der eher offen gehaltene Titel: „Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“. Denn weder die Autoren noch Herausgeber beanspruchen eine Vollständigkeit. Auch wenn der Band 15 Beiträge mit mehr als 500 Seiten umfasst, so konzentriert er sich auf die Entwicklung im politisch rechten Spektrum, ohne aber andere ideologische Autoritarismen unter linken oder religiösen Vorzeichen zu leugnen. 

Autoritarismus-Definition als problematisch 

Bevor auf deren inhaltliche Ausrichtung näher eingegangen werden soll, bedarf es schon einer kritischen Bemerkung. Denn eine klare Begriffsbestimmung des Gemeinten fehlt denn doch. Durchaus berechtigt heißt es zwar: Es sei „weder mit einer ‚Verständigung auf eine einheitliche Begrifflichkeit‘ (…) noch mit einer uniformen Beschreibung des Phänomens in naher und fernen Zukunft zu rechnen“ (S. 34). Gleichwohl wären Annäherungen möglich gewesen, einerseits bezogen auf die normative Ebene, andererseits hinsichtlich einer Typologie. Frankenberg betont etwa in seinem eigenen Text, dass es „Autorität und Autoritarismus des Rechts“ (S. 439) gibt. 
 

Wilhelm Heitmeyer ist Professor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Wilhelm Heitmeyer ist Professor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Und der bekannte Bewegungsforscher Dieter Rucht differenziert ebenfalls weiter hinten im Sammelband: „Autoritarismus als personales Merkmal“, „Autoritarismus als Merkmal politischer Systeme“ und „Autoritarismus als Merkmal von Bewegungen“ (S. 500-502). Hier hätten entsprechende Begriffsklärungen wohl mehr Orientierung für die unterschiedlichen Sammelbandautoren geben können.

„Krisen und Kontrollverluste als Treiber“

Abstrahiert man indessen von diesem Defizit, so werden beachtenswerte Texte präsentiert. Sie stammen häufig aus laufenden Forschungen und können daher als eine Zwischenbilanz verstanden werden. Zunächst geht es dabei um den Autoritarismus und Demokratie-Gegensatz auf der Systemebene, wo dann Attraktivitätspotentiale wie Herrschaftsformen im inhaltlichen Zentrum stehen. Der folgende Block geht auf die gesellschaftlichen Faktoren ein, welche die gemeinte Entwicklung vorantreiben. 
Heitmeyer wiederholt hier seine „Kontrollverlust“-These (S. 251), womit Gelegenheitsstrukturen hin eben zu autoritären Umbrüchen gesehen werden: „Dass Krisen und Kontrollverluste als Treiber autoritärer politischer und gesellschaftlicher Entwicklungspfade fungieren, wird damit begründet, dass eine kritische Masse entstanden ist, in der das zentrale Bedürfnis nach Realitätskontrolle nicht mehr im bisher gewohnten Maße realisiert werden kann“ (S. 257). In kritischen Blick geraten hier aufgrund eines beschleunigenden Effekts die Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik. 

Keine abschließenden Erkenntnisse, aber innovative Reflexionen dazu

Danach geht es noch um autoritäre Identitäten, wobei dieser Abschnitt sehr fragmentarisch wirkt. Einschlägige empirische Daten hätten von Oliver Decker als Mitautor stärker thematisiert werden können, verantwortet er doch die informativen Leipziger Studien zum Thema. Besondere Aufmerksamkeit findet danach noch die Frauenfrage in diesem Kontext, aber auch die mediale Dimension derartiger Entwicklungen. Und im letzten Block spricht Frankenberg den „Autoritarismus von Gefahrenabwehr- und Infektionsschutzrecht“ (S. 439) an, den aber gerade Anhänger autoritärer Bewegung der Corona-Proteste verdammt hatten. 
Hier wird erneut die Definitionsproblematik deutlich. Der letzte Beitrag von Rucht fragt noch, welche Bedingungen autoritäre Bewegungen in westlichen Gesellschaften fördern. Dabei nennt er wichtige Aspekte für kommende Forschungen wie bloße Reflexionen. Dieser Eindruck steht für den ganzen Sammelband. Abschließende Erkenntnisse liefert er nicht, regt aber innovativ zu solchen Überlegungen an.

Günter Frankenberg/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2022 (Campus-Verlag), 532 S.

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