Rezension

Alain de Benoists bemühte und gescheiterte Identitätsvorstellung

Alain de Benoist, der nicht nur der französischen Neuen Rechten als geistiger Vater gilt, legt ein neues Buch vor: „Wir und die anderen. Identität ohne Wunschdenken“. Darin betont er zwar die allgemeine Bedeutung von „Identität“, aber ohne deren besondere Konturen wie im Untertitel versprochen entwickeln oder erklären zu  können.

Freitag, 29. Dezember 2023
Armin Pfahl-Traughber
Benoist kann mit seiner Neuerscheinung über Identität den Begriff an sich nur bedingt definieren, Foto: Screenshot
Benoist kann mit seiner Neuerscheinung über Identität den Begriff an sich nur bedingt definieren, Foto: Screenshot

Über Identität wird seit Jahren erneut gestritten, wobei die Debatten nicht immer direkte Zusammenhänge haben. Mittlerweile gibt es bekanntlich auch eine Identitätslinke und eben nicht nur eine Identitätsrechte. Während Erstere sich auf diskriminierte Minderheiten beziehen, geht es der Identitätsrechten um die ethnisch definierte Mehrheitsgesellschaft. Angesichts der breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit für damit einhergehende Fragestellungen kann es nicht verwundern, dass Alain de Benoist dazu eine eigene Buchveröffentlichung vorlegt: „Wir und die anderen. Identität ohne Wunschdenken“.

Die deutschsprachige Ausgabe erschien im Gerhard Hess-Verlag, Uhingen, über die Buchdienste der Neuen Rechten findet sie größere Verbreitung. Dies hat auch etwas mit dem Autor de Benoist zu tun, gilt er doch nicht nur der deutschen Neuen Rechten als wichtiger Vordenker. In Frankreich wirkte er seit den 1960er Jahren als intellektueller Kopf jener Strömungen, die den alten Rechtsextremismus zugunsten einer neuen Variante überwinden wollen. Dabei entdeckte man als relevantes Handlungsfeld auch die politische Theoriearbeit.

Identitätspostulat ohne Konturen

Benoist will mit seinem neuen Buch ganz in diesem Sinne wirken, sollen doch Grundpositionen für die aktuelle Kontroverse präsentiert werden. Bereits in der Einleitung macht er aber deutlich, dass Identität zwar zum Leben gehöre, sie aber „konturschwach“ erscheine. Dies spricht nicht notwendigerweise gegen eine solche Auffassung, gleichwohl muss angesichts des postulierten Bedeutungsgehalts auch die „Identität“ eben mit einer inhaltlichen Prägung ausgestattet sein.

Eine solche kann Benoist aber wie viele seiner Gesinnungsfreunde durch die ganze Monographie hindurch nicht wirklich entwickeln. Auch wird die selbstgestellte Frage des ersten Teils „Was ist Identität?“ nicht wirklich beantwortet. Benoist unterscheidet jeweils nur Gruppen mit unterschiedlichen Identitätsbezügen, woraus aber keine mit Differenzierungskriterien auf gleicher Ebene bestehende Typologie abgeleitet wird. Immerhin lehnt er dabei eine Dogmatisierung über ethnische Identität ab, derartige Deutungen werden aber auch nicht ausführlicher einer Kritik unterzogen.

Fehldeutung eines ethischen Universalismus

Denn so würde wohl der Nationalismus der Neuen Rechten ebenfalls delegitimiert, was auch ein Anhänger von ihm wie Benoist nicht wollen würde. Gleichwohl distanziert er sich von entsprechender Eindimensionalität, etwa wenn es Aussagen gegen platten Biologismus mit einem stereotypen Essentialismus gibt. Es gelingt ihm aber auch nach einem Durchmarsch durch die Ideengeschichte nicht zu veranschaulichen, worin denn nun eine anstrebenswerte Identität bezogen zumindest auf allgemeine Konturen bestehen würde. So nennt Benoist auch die Kriterien für die Unterscheidung eben von aus dem titelgebenden „Wir und die anderen“ nicht.

Ganz am Ende werden noch „Kapitalismus“ und „Marktgesellschaft“ thematisiert, welche Gefahren für die Identität darstellen würden. Und durch das ganze Buch zieht sich die Klage über die Moderne und den Universalismus. Dabei lässt sich bei Benoist eine Fehldeutung konstatieren, geht es doch nicht um die behauptete normative Identitätslosigkeit beim Universalismus. Eher stellt der Begriff frei nach Kant auf die ethischen Prinzipien gegenüber mögliche Verallgemeinerbarkeit ab.  

„Jagd auf Weiße“ als polemische Verstiegenheit

Der zweite Abschnitt ist „Die Wahnvorstellungen des ‚identitären Neorassismus‘“ überschrieben, wobei es um Auffassungen zu „Cancel Culture“, „Critical Race Theory“ oder „Post-Kolonialismus“ geht. Einige dieser Einwände sind durchaus nachvollziehbar, wurden in anderen Publikationen aber schon besser kritisiert. Benoist nutzt in seiner Empörung auch übertriebene Verallgemeinerungen: „Die Jagd auf Weiße ist von nun an eröffnet“ steht etwa als Satz für eine solche Verstiegenheit.

Ganz allgemein bemüht sich Benoist in seinem Buch darum, Identität als menschliche Notwendigkeit zu veranschaulichen. Dafür nennt er einige gute Gründe aus der Ideengeschichte. Indessen ignoriert Benoist, dass es ja unterschiedliche prägende Identitätsinhalte geben kann. Die nicht von ihm dezidiert, aber von anderen Gesinnungsfreunden beschworene „ethnisch-kulturelle Identität“ wäre ja nur eine mögliche Variante. Und wer ihr eine so hohe Bedeutung in ihrer Wertigkeit zuschreibt, sollte dafür eine gesonderte Begründung auch und für einschlägige Kriterien vorlegen können. Das gelingt Benoist ebenso wenig wie die „Wir und die anderen“-Unterscheidung.

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