AfD-Verbotsdebatte: Die Lehren aus den NPD-Verfahren
2017 aktualisierte das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen für das Verbot von Parteien an mehreren Stellen. Die größte Aufmerksamkeit erhielt dabei die „Potentialität“, weil an ihrem Fehlen dann das Verbot der NPD scheiterte. Ein „Update“ gab es aber auch in einem weiteren Merkmal, das momentan die vielleicht größte Unsicherheit auf dem Weg zu einem möglichen AfD-Verbot darstellt.
Aufgegeben wurde das früher verlangte aggressiv kämpferische Vorgehen. Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben es weder im Urteil 2017 zum Nicht-Verbot noch in der Entscheidung 2024, mit dem der Partei die staatliche Parteienfinanzierung genommen wurde, in der für Urteile üblichen Weise definiert und ausgeführt.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hatte sich in einem Interview gegen ein AfD-Verbot gestellt, weil dieses aus seiner Sicht „gnadenlos scheitern“ würde, weil von einem aggressiv-kämpferischen Vorgehen der AfD gegen die Demokratie nicht gesprochen werden könne. Wer heute noch diesen Parameter fordert, beweist damit nur, dass er die neue Rechtsprechung ignoriert oder unsubstantiierte Behauptungen aufstellt.
Beschäftigung mit dem neuen Merkmal besonders nötig
An die Stelle ist das „planmäßige Vorgehen“ getreten. Es ist vielleicht auch die größte Schwachstelle in der Stellungnahme der Hochschulprofessoren, in der neulich gegenüber dem Innen- und Rechtsausschuss des Bundestags die Chancen auf ein AfD-Verbot als durchaus gegeben betrachtet wurden. Das planmäßige Vorgehen wird hier auf nur vier Zeilen einfach als gegeben unterstellt, ohne es zu konkretisieren.
Während die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Anhaltspunkte liefert, wo die AfD gegen die Menschenwürdegarantie, sowie des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips verstößt, können für das planmäßige Vorgehen nur die beiden NPD-Urteile von 2017 und 2024 herangezogen werden. Eine Schwierigkeit ist, dass die NPD den damaligen Antragstellern den Gefallen getan hat, mit der „Vier-Säulen-Strategie“ einen Plan aufzustellen, auszuformulieren und sich formal zu eigen zu machen. Wegen der weiteren Gültigkeit konnte auch 2024 beim Entzug der Finanzierung für die nun noch mal wesentlich kleinere und desorganisiertere Rest-NPD von einem Vorgehen nach Plan gesprochen werden.
Diesen Gefallen wird die AfD sicherlich nicht in der Form wiederholen, zumal nicht, wenn ein Verbot offen diskutiert wird. Andererseits dürfen die Hürden auch nicht unrealistisch hoch angesetzt werden. Es ist fraglich, ob das Bundesverfassungsgericht eine Partei weiterbestehen ließe, die deutlich verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, aber nie einen Plan, wie sie damit an die Macht kommen will, verabschiedet hat.
Das NPD-Urteil von 2017 macht es nicht gerade leicht, weil hier immer zwischen Prävention und schärfstem Schwert hin- und her schwankt.
„Darauf ausgehen“ in den Tatbestandsüberlegungen des Gerichts
Das Verfassungsgericht verlangt eine qualifizierte Vorbereitung im Hinblick auf die gegen die innersten Prinzipien gerichteten Ziele, was weiter als zielorientierter Zusammenhang zwischen eigener Handlung und dem Beseitigen bzw. Beeinträchtigen nicht gerade konkret ausformuliert wird. Strafrechtliches Handeln ist hier nicht gefordert.
Ohne eine verabschiedete Strategie braucht es ein Substrat für einen Plan, etwa über einen längeren Zeitraum und bei verschiedenen Gelegenheiten zu beobachtende Muster, die entweder intern tatsächlich beschlossen oder über den Einzelfall hinaus handlungsleitend erscheinen und somit verallgemeinerbar sind.
Die Richter verlangen zudem eine gewisse Grundtendenz. Verstöße einzelner bei sonst loyaler Haltung der Partei könnten nicht zu einem Verbot führen, sondern wäre polizei- und strafrechtlich zu begegnen.
Qualifizierte Vorbereitung
Was bisher kaum in der Debatte um ein mögliches AFD-Verbot angekommen ist, ist der Umstand, dass es bereits ein Handeln im Sinne der verfassungsfeindlichen Ziele gibt und von einem reinen Bekennen nicht mehr ausgegangen werden kann. Die Verwaltungsgerichte werfen der AfD zwei Großverstöße gegen die Menschenwürdegarantie vor. Deutschen mit Migrationshintergrund würde nur ein minderer Status zuerkannt und besonders Muslime würden herabwürdigend behandelt und ihnen grundlegende Rechte nicht zuerkannt.
So hat die bayerische AfD-Fraktion bereits 2019 in ihrem allerersten eingebrachten Gesetzentwurf ein in der Bauordnung verankertes Minarettverbot gefordert. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Forderung der NPD Berlin nach Abriss aller Minarette als eigene Randnummer als Beleg ins Urteil aufgenommen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in diesem Jahr nochmal den Verstoß gegen die Menschenwürde und nicht nur gegen die Religionsfreiheit konkretisiert. Der Gesetzentwurf ist ausformuliert, hätte beschlossen werden können und liegt für den Fall einer Regierungsbeteiligung zur Umsetzung bereit. 2024 wurde dieser Gesetzentwurf erneut eingebracht.
Auch im anderen Fall gibt es vorbereitende Handlungen. Zwar war die NPD konkreter und deutlicher in der Forderung, dass Ausländer, wozu auch eingebürgerte Deutsche zählten, kein Bleiberecht zugesprochen würde. So sollten sie in eine gesonderte Sozialversicherung einzahlen und keinen Grund erwerben können. Kinder mit Migrationshintergrund sollten jenseits ihrer sprachlichen Qualifikation in eigenen Klassen beschult werden. Alles Maßnahmen, um sie schnell und möglichst unkompliziert außer Landes schaffen zu können. Die AfD stellt hier dagegen Personen mit Migrationshintergrund permanent unter Bewährung, bereit, sie bei jeder Gelegenheit zu delegitimieren. Letztlich läuft es wie bei der NPD darauf hinaus, Personen außerhalb der „deutschen Volksgemeinschaft“ ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, wie es eben die Staatsbürgerschaft bildet, abzuerkennen.
So fokussiert sich die AfD jenseits des konkreten Unrechtsgehalts von Taten fast ausschließlich auf Straftaten von Migranten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Ausnahme bilden nur Vergehen politischer Gegner. In einer Art Gehirnwäsche werden gerade diese Taten in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wer an schwere Straftaten denkt, soll automatisch an solche mit migrantischen Tätern denken. So interessierte sich die AfD etwa überhaupt nicht für die zwei Tötungsdelikte von Impfgegnern in Bayern 2023, eines vollendet, das andere kombiniert mit einer schweren Sexualstraftat.
Auch hier gibt es eine Parallele zum NPD-Urteil. Als Beleg für die Ungleichbehandlung von eingebürgerten Deutschen durch die heutige „Heimat“ sahen die Richter 2017 die Forderung, nach einer eigenen Kategorie für „eingebürgerte Ausländer“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Auch hier war es die bayerische AfD-Fraktion, die in eine ähnliche Richtung ging. Sie forderte in zwei Anträgen, Mehrfachstaatsangehörigkeiten in der PKS auszuweisen, womit es für eine Teilmenge der Deutschen mit Migrationshintergrund nicht mehr weit zu so einer Sonderkategorie wäre. In der Begründung wurde dann klar, dass die AfD hier einfach nur die rechtsextreme Parole vom „kriminelleren Ausländer“ bediente und letztlich alle Eingebürgerten meinte. Der „Remigrationspolitische Sprecher“ Christoph Maier, zugleich Bezirksvorsitzender in Schwaben, hat jüngst die Angabe des Migrationshintergrundes „in allen amtlichen Statistiken“ gefordert, womit faktisch eine Sonderkategorie entstehen würde. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess, bei den kommenden Wahlen hinter Alice Weidel und Markus Frohnmaier Nummer drei auf der Landesliste in Baden-Württemberg, forderte 2021 ähnliches.
Auch davor schon hatten AfD-Abgeordnete in Anfragen versucht, sich hier Zahlenmaterial zu beschaffen und als Alternative zu Staatsangehörigkeit nach dem Migrationshintergrund gefragt. In Ermangelung von Antworten wurden teilweise abstrus andere Items herangezogen wie Speisevorschriften von Tatverdächtigen und Strafgefangenen. Beliebt waren auch hier die Vornamen. Der rechtspolitische Sprecher der bayerischen AfD-Fraktion, Rene Dierkes, wechselte kürzlich auf „Geburtsort im Ausland“, was ihm die Staatsregierung tatsächlich auch beantwortete. Allerdings ist die Abfrage ungenau, weil sie auch wohl nicht mitgemeinte Personen wie den in Polen geborenen Daniel Halemba umfasst.
Eine fehlende Integration, die bei Reichsbürgern und Neonazis auch nicht thematisiert wird, ließe sich mit diesen Statistiken, gerade mit Blick auf die Alltagskriminalität, nicht pauschal ableiten. Äußerungen von hochkarätigen AfD-Funktionären über den Journalisten Deniz Yücel oder die Wissenschaftlerin Naika Foroutan zeigen zudem, dass es nicht mal Straftaten braucht, um Personen die gleichberechtigte oder gänzliche Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk abzusprechen.
Letztlich ist die extreme Rechte in der Lage, über ihre zentralen Ideologiellemente Rassismus und Nationalismus in Verbindung mit den Reinheitsvorstellungen eines Carl Schmitts die physische Existenz eines jeden Gegners infrage zustellen, weil dieser im Zweifel mit Macht immer als zu „ausländisch“ oder zu „unpatriotisch“ (siehe Parole Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“) hingestellt werden kann.
Über das reine Bekennen hinaus gehen auch auf die Straße getragene Kampagnen wie etwa die Antwort der AfD-Fraktion Bayern auf die Aktion „Sichere Häfen“. Hier griff die Fraktion Geflüchtete in ihre Menschenwürde an, in dem sie pauschal als Kriminelle hingestellt wurden. Ziel sollten „sichere Städte“ sein, was über „Ausgangssperren für Ankerzentren“ erreicht werden sollte. Eine ähnliche Forderung aus dem „Deutschlandplan“ der Jungen Alternative hatte schon das Oberverwaltungsgericht NRW in der Entscheidung zur AfD-Jugend moniert. Die aggressive Plakatparole „Hol Dir dein Land zurück!“ kann durchaus auch so verstanden werden, dass hier eine weiße, nicht-migrantische, nicht-muslimische Bevölkerung angesprochen werden soll, angebliche Vorrechte zu verteidigen.
Die Gedankenspiele der AfD kreisen aber nicht nur um straffällig gewordene Migranten ohne Bleiberecht. 2019 trug der Abgeordnete Christoph Maier im Bayerischen Landtag ein „Drei-Säulen-Konzept der AfD“ vor. Neben dem oft schlagwortartig geforderten Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild und der Rückführung aller nicht aufenthaltsberechtigten Personen sollte der Freistaat alle Integrationsmaßnahmen für bestimmte Migrantengruppen einstellen und in Anreize zur freiwilligen Rückkehr umwandeln. Das sollte sicherstellen, dass „Bayern bayerisch bleibt“ und den „indigenen Deutschen“ ein „Recht auf Identität und Heimat“ zubilligen. Maier sprach dabei Muslimen zwar nicht pauschal, aber doch überwiegend „den Willen und das Vermögen“ ab, sich „in eine Kultur zu integrieren. Um kriminelle Auffälligkeit ging es hier nicht. Ausbildungsangebote für die Gruppe sollte es nicht mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt, sondern auf „die Heimatländer“ geben, besonders „handwerklich praktischer Art“.
Gerade diese Überlegungen erinnern dann doch stark an die Gedankenspiele, die die NPD ausformuliert hatte.
Gelebte Strategien
Darüber hinaus gibt es formulierte Strategien, die zwar nicht beschlossen wurden, aber nach denen gehandelt wird. Zu nennen wären hier die „Schutzschild-Strategie“ und das Konzept der „Mosaik-Rechten“. Sie ähneln den Konzepten, die die NPD in der „Vier-Säulen-Strategie“ formuliert hatte, sind also in den Augen der Bundesverfassungsrichter als einschlägige Vorbereitungshandlungen anzusehen.
Der heutige Europaabgeordnete und frühere bayerische Landesvorsitzende Petr Bystron hatte im inzwischen als gesichert rechtsextrem eingestuften Blog PI NEWS 2017 die „Schutzschildstrategie“ formuliert. Bystron sprach sich gegen die Aufnahme von IB-Mitgliedern in die AfD aus, billigte ihnen aber erkennbar ähnliche Ziele, aber andere Aufgaben zu. „Getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen“, so eine der Zwischenüberschriften. Die Aufgabe der Partei sollte dabei sein, aus dem Parlament heraus die aktivistische Szene, explizit wurde hier auch Pegida genannt, mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen. Da greift Bystron etwa Elemente des Kampfes um die Straße und des Kampfes um den organisierten Willen der NPD auf.
Bei der rassistischen Straßenbewegung war es übrigens relativ unbeachtet längst Usus, worüber nach den Correctiv-Berichten zum Treffen in Potsdam vor Gericht erbittert gestritten wird: Aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegen deutsche Staatsbürger. Bei X finden sich bei einer Suche nach „Pegida“ und „abschieben“ noch zahlreiche Videos, in denen die Menge die Vertreibung von deutschen Politikern fordert oder bei ihrem Demozug auf Personen reagiert, die sie allein auf Grund der Hautfarbe oder Erscheinung als Ausländer ansieht. So heizte etwa Michael Stürzenberger die Menge an, die Entlassung von Hans-Georg Maaßen und das Aufrücken des in der Türkei geborenen Sinan Selen in die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei „Volksverrat“. Die Zuhörer antworteten mit einem klaren „abschieben! abschieben!“ In einem Video aus dem Jahr 2021 gab es die gleichen Rufe gegen die SPD-Vorsitzende von Schleswig-Holstein, Serpil Midyatlı. Redner war hier der AfD-Bundestagsabgeordnete Detlef Spangenberg.
Stürzenberger war die als demokratiefeindlich gewertete Parole „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ so wichtig, dass sie bei seinen Pegida-Veranstaltungen als Fronttransparent, etwa bei Pegida in Nürnberg, diente. Bei der Gedenkveranstaltung für den getöteten Polizisten in Mannheim riefen AfD-Anhänger die Parole der ankommenden Gegendemonstration entgegen.
Aus der AfD heraus wurden aber auch eigene Gründungen versucht. Als Pegida im Westen Deutschlands immer mehr einschlief, wurde als Reaktion auf eine Gewalttat eines Geflüchteten an seiner Ex-Freundin das Bündnis „Kandel ist überall“ ins Leben gerufen. Zumindest nach der Großdemonstration mit 6.000 Teilnehmenden wurde die Hoffnung laut, „Kandel ist überall“ könnte das Pendant zu Pegida im Westen werden. Das Manifest enthielt im Lichte der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung etliche einschlägige verfassungsfeindliche Forderungen wie dem Verbot von Moscheen oder der Forderung, der Staat müsse wegen „unüberwindlicher kultureller Unterschiede“ vor einem Teil seiner eigenen Bevölkerung, jenen mit Wurzeln außerhalb Europas, warnen. An der Spitze agierte die AfD-Landtags- und Bundestagsabgeordnete Christina Baum. Die heutige Nürnberger Landtagsabgeordnete Elena Roon trug das Fronttransparent, die Pressesprecherin arbeitet für die unterfränkische Abgeordnete Ramona Storm. Im bayerischen Landtagswahlkampf 2018 kam es zu mindestens zwei „Kandel-Veranstaltungen“ mit AfD-Kandidaten. Die Initiative ist allerdings größtenteils inaktiv geworden.
Die AfD ging auch, trotz anderweitiger anfänglicher Forderungen, auf die Querdenker-Szene zu, die im Zuge des Endes der Corona-Maßnahmen mit ähnlichem Personal zu anderen Themen „gehoppt“ sind. Die Szene hatte mit den dezidiert erhobenen Vergleichen der Maßnahmen mit Elementen der Vernichtungspolitik der Nazis eine deutlich demokratiefeindliche Komponente, was etwa in „gelben Sternen“ oder Demonstrationen zum „Nürnberger Kodex“ kulminierte. Mittlerweile ist die AfD der Bezugspunkt von Querdenkern und Impfgegnern geworden. Der „Kampf um den organisierten Willen“ aus dem NPD-Konzept hatte als Ziel, ein „umfassende nationale Oppoisitionsbewegung“ zu schaffen und selbst die Führung zu übernehmen.
In Bayern zeigt sich „der Schutz“ dieses Jahr etwa in Anfragen an die Staatsregierung, in denen Ermittlungen nach Vorfällen mit dem umgedichteten Gigi D´Agostino-Lied in Frage gestellt werden. Anzeigenerstatter oder Personen, die das dokumentieren, werden hier schnell mal als Denunzianten diffamiert. Bei einer Strategiekonferenz der Jungen Alternative äußerte der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Halemba mit Blick auf Medienberichte nach dem AfD-Parteitag, solche Aktionen könne man getrost „dem Vorfeld überlassen“ und Sylt sei ein „metapolitischer Erfolg“ gewesen.
In diese Richtung schlägt auch die „Mosaik-Rechte“ von Benedikt Kaiser, der selbst wohl kein Parteimitglied ist, aus dem Dunstkreis von Götz Kubitschek stammt, aber inzwischen für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl arbeiten soll. Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz sieht darin ein arbeitsteiliges Vorgehen im Sinne einer Entgrenzung der neurechten Szene. Soll heißen: Nicht die radikalen Teile sollen eingebunden und gemäßigt werden, den extremen Kreisen soll im Gegenteil der Weg in die breite Masse der Bevölkerung geöffnet werden.Eine Methode dazu, wie es Kaiser selbst in der „Sezession“ schrieb, sei, wenn Kader der Jugendbewegung ins Parlament wechseln, um dort die ehedem rein metapolitischen Belange ihres Milieus in realpolitische Töne zu übertragen. Von diesem Zusammenwirken gibt es mittlerweile eine ganze Reihe an Beispielen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der langjährige führende Aktivist der Identitären Bewegung, Daniel Fiß, als Referent für den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern tätig ist. Ein anderer recht erfolgreicher Strippenzieher, Sebastian Münzenmeier, Bundestagsabgeordneter aus Rheinland-Pfalz, beschäftigt John Hoewer, aus dem Vorstand von „EinProzent“. Recherchen des Bayerischen Rundfunk ergaben zu Beginn dieses Jahres eine beachtliche Anzahl an Mitarbeitern allein im Bundestag. Bekannt sind weiter der verurteilte Gewalttäter Mario Müller oder Personen aus dem Umfeld des verurteilten Franco Albrecht. Nach den Recherchen gab es aus der AfD Kampagnen gegen einen der recherchierenden Journalisten, von Maßnahmen gegen die genannten Personen ist dagegen nichts bekannt.
Hinzu kommen weitere Aktionen, mit denen die AfD mit ihren Mitteln „das Vorfeld“ fördert. Fraktionen schalten Werbung in den Magazinen der Szene oder rufen zu Abos auf. Der schwäbische Landtagsabgeordnete und JA-Landesvorsitzende Franz Schmid gab im Wahlkampf eine „Ehrenerklärung“ ab, im Falle seiner Wahl Geld in die Szene zu stecken. Erklärtes Ziel ist ein dem „Castell-Aurora“-Hausprojekt der Identitären Bewegung in Österreich vergleichbares Objekt, weshalb er als einziger Abgeordneter vom Landesamt beobachtet wird. Ordnungsmaßnahmen gegen Schmid sind nicht bekannt, er wurde im Januar neu in den Landesvorstand gewählt. In das Objekt in Österreich flossen bereits Spenden von AfD-Bundestagsabgeordneten.
Als für die gesamte AfD und die meisten Verbände handlungsleitende Motiv kann auch das explizite Nichtvorgehen gegen die Personen gesehen werden, die in den Urteilen der Verwaltungsgerichte als Begründung für die Beobachtung genannt werden. Das beginnt bei der designierten Kanzlerkandidatin Alice Weidel, über mehrere sehr deutliche Aussagen des Ehrenvorsitzenden Gaulands bis hin zu Großteilen des sächsischen Landesverbandes. Auch die Geschichte der Parteifunktionäre, die sich gegen Höcke wandten, dürfte hier herangezogen werden. Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht forderte ein explizites Distanzieren in enger zeitlicher Nähe von problematischen Aussagen führender Parteifunktionäre. Unkenntnis wurde nur bei einfacheren Funktionsträgern akzeptiert, aber auch hier begann die Uhr ab Kenntnis der Aussagen zu ticken, etwa Zugang der Schriftsätze und nicht erst ab dem Zeitpunkt, an dem ein Gericht eine Aussage unanfechtbar als problematisch erkennt. Damit bleibt die Partei mittlerweile selbst hinter dem halbherzigen Vorgehen 2021 gegen den damaligen JA-Bundesvorsitzen Marvin T. Neumann zurück. Der wurde wegen rassistischer Aussagen zum Rück- und Austritt gezwungen, erhielt aber keine zwei Monate danach einen bezahlten Posten als Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg.
Diese sture Festhalten an Personen, zumal, wenn sie eine bestimmte Bekanntheit erreicht haben oder erfolgreich bei Wahlen waren, ist letztlich auch ein der NPD-Strategie „Kampf um die Köpfe“ verwandtes Element. Dabei ging es nicht um eine Intellektualisierung im Sinne eines Kampfes um die besten Köpfe, sondern die Verbindung der Inhalte mit be- und anerkannten Köpfen. Die Partei vermeidet so innere Unruhe, Verunsicherung bei den eigenen Anhängern und Wählern, größere Teile der eigenen Handlungen öffentlich Infrage stellen zu müssen, sowie die Kosten, neue untadelige Kader aufzubauen und bekannt zu machen.
Angesichts des Umgangs der AfD mit derartigen Vorfällen gerade in der Spitze kann keine Rede davon sein, dass es nur um Einzelfälle bei sonst loyaler Haltung zu den im Parteienverbotsartikel genannten Schutzgütern geht. Erst recht wird dieser Aussage der Boden entzogen, wenn ganze Landesverbände und Landtagsfraktionen hier auffällig werden.