Henstedt-Ulzburg-Prozess

AfD-Funktionär bemüht sich um demonstrative Distanz

Im Prozess um die Auto-Attacke des damaligen AfD-Mitglieds Melvin S. auf antifaschistische Demonstrant*innen in Henstedt-Ulzburg muss der schleswig-holsteinische AfD-Funktionär Julian Flak in den Zeugenstand – und tritt bemerkenswert defensiv auf. Nach der Tat im Oktober 2020 hatte er noch ganz anders getönt.

Freitag, 27. Oktober 2023
Joachim F. Tornau
Unterstützter zeigen ihre Solidarität mit den Angegriffenen von Henstedt-Ulzburg Foto: Joachim F Tornau
Unterstützter zeigen ihre Solidarität mit den Angegriffenen von Henstedt-Ulzburg Foto: Joachim F Tornau

Die AfD begriff schneller als die Polizei. Von einem bloßen „Verkehrsunfall“ hatte die Polizei berichtet, als im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg ein AfD-Mitglied mehrere Teilnehmer*innen einer Kundgebung gegen die Rechtsaußenpartei mit dem Auto angefahren und verletzt hatte. Gezielt, wie bereits damals im Oktober 2020 die Betroffenen überzeugt waren. Und wie es mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft annimmt: Seit Juli muss sich der Fahrer des tonnenschweren Pick-ups, der heute 22-jährige Melvin S., wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht in Kiel verantworten.

Julian Flak, Vorsitzender der AfD im Kreis Segeberg und mittlerweile auch in den Landesvorstand aufgerückt, aber verstand sofort: „Reichlich kontraproduktiv“ sei das gewesen, sagt der 41-Jährige, als er am Freitag in den Zeugenstand treten muss. „Eine dumme Aktion“. Und nichts, was eine Partei gebrauchen kann, die gerne als „bürgerlich“ und fern politischer Gewalt wahrgenommen würde. Er habe Melvin S. deshalb bereits am Tag nach der Tat geraten, die AfD zu verlassen. „Das erschien mir sowohl für ihn als auch für die Partei das Beste.“ Und der Angeklagte zeigte sich folgsam: Zwei Tage nach der Auto-Attacke ging sein Austrittsschreiben bei der AfD ein. Er selbst hat vor Gericht allerdings beteuert, der Austritt sei seine eigene Idee gewesen.

Schläge? „Davon weiß ich nichts“

Laut Anklage soll Melvin S., unter anderem Sympathisant der extrem rechten Identitären Bewegung und Fan des Rechtsrappers Chris Ares, regelrecht Jagd gemacht haben auf Gegendemonstrierende. Er soll den silbernen VW Amarok seiner Mutter erst auf einen Gehweg und dann auf den angrenzenden Grünstreifen gesteuert haben, mit hohem Tempo. Fest steht: Drei Menschen erwischte er, ein vierter konnte gerade noch zur Seite springen. Melvin S. behauptet, sich daran nicht mehr erinnern zu können. Er wisse nur noch, dass einer seiner drei Begleiter von „Vermummten“ brutal geschlagen worden sei und er irgendwie habe helfen wollen.

Von dem vermeintlich lebensgefährlichen Angriff war schon vor diesem 15. Verhandlungstag nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme könnte es eine einzelne Ohrfeige gegeben haben, das war’s. Und auch AfD-Funktionär Flak tut nun nichts, um seinem ehemaligen Parteifreund zu helfen. Melvin S. habe ihm erzählt, dass sie von Linken verfolgt und „angegangen“ worden seien, sagt er. Aber Schläge? „Davon weiß ich nichts.“

In die Defensive

Hatte Flak nach der Tat zunächst versucht, die Verbindung zwischen Melvin S. und der AfD zu verschleiern, setzt er jetzt auf demonstrative Distanzierung: Der Angeklagte sei nur bei einigen wenigen Veranstaltungen der Partei gewesen und habe nur „in normalem Rahmen“ im Wahlkampf geholfen. „Plakatieren, so was.“ Und von der AfD habe er nach jenem 17. Oktober 2020 auch keinerlei Unterstützung bekommen. Melvin S. hat allerdings einem Freund erzählt, dass ihm Julian Flak angeboten habe, den damaligen schleswig-holsteinischen AfD-Landtagsabgeordneten Claus Schaffer um Rat zu fragen. Denn der ist Polizist. „Das ist mir jetzt nicht erinnerlich“, sagt Flak.

Die AfD hat sich offenbar für die Defensive entschieden. Kurz nach der Tat war Flak dagegen noch ganz anders aufgetreten. Da hatte er in Henstedt-Ulzburg Flugblätter für ein „Antifa-Verbot“ verteilt und die AfD zum Opfer der Protestierenden erklärt. Den angeblichen Angriff auf die Gruppe um Melvin S. erwähnte er dabei freilich ebenso wenig wie die Auto-Attacke selbst.

Ratlosigkeit bei der Verteidigung

Als er nun vor Gericht gefragt wird, wieso sich die AfD denn dann während ihrer Veranstaltung im Bürgerhaus der Gemeinde so bedroht gefühlt habe, antwortet der Politiker: „Wir haben mit deutlichen Störungen zu tun gehabt.“ Es habe Lärm gegeben und „Wortgefechte“, der Weg zum Parkplatz sei blockiert worden, ein Parteimitglied sei, weil auf dem Weg in die Halle „bedrängt“, „in Tränen aufgelöst“ gewesen. Und am Ende der Veranstaltung habe der damalige Parteichef Jörg Meuthen von der Polizei durch einen Seiteneingang nach draußen eskortiert werden müssen.

Etwas ratlos versucht Verteidiger Jens Hummel daraufhin, dem Zeugen zu entlocken, inwiefern er darin eine Gefährdung der Sicherheit habe sehen können. Wirklich gelingen tut ihm das nicht.

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