Rezension

AfD: Agitation mit dem „Genderwahn“

Parlamentarische AfD-Anfragen drehen sich häufig auch um die „Genderpolitik“, wobei die Partei ein weiteres Politikfeld bedient. In einem Buch veranschaulicht die Historikerin Daniela Rüther, dass es dafür in der deutschen Geschichte schon eine jahrzehntelange Tradition gibt.

Donnerstag, 16. Januar 2025
Armin Pfahl-Traughber
Sympathisanten der AfD auf einer Kundgebung gegen einen Auftritt einer Dragqueen
Sympathisanten der AfD auf einer Kundgebung gegen einen Auftritt einer Dragqueen

„Genderwahn“ wurde 2018 als „Unwort des Jahres“ gekürt. Diese Entscheidung wurde von der damaligen Jury mit folgenden Worten begründet: „Mit dem Ausdruck ‚Genderwahn‘ werden in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit (von geschlechtergerechter Sprache über Ehe für alle bis hin zu den Bemühungen um die Anerkennung von Transgender-Personen) in undifferenzierter Weise diffamiert.“ Auch in der AfD-Agitation gehört „Genderwahn“ mittlerweile zu den verbreitetsten Schlagworten.

Man kann damit auch Aufmerksamkeit weit über das eigene politische Spektrum hinaus generieren, was umso einfacher angesichts mancher Übertreibungen in den gemeinten Zusammenhängen möglich ist. Sie schaffen für die AfD Bezugspunkte, um ihre öffentliche Präsentation zu verbessern. Gleichzeitig artikuliert sich in der gemeinten Agitation der Partei auch eine „Sexbesessenheit“, wie die promovierte Historikerin und studierte Politikwissenschaftlerin Daniela Rüther meint.

Die AfD und ihr „Genderwahn“

Ihr Buch trägt denn auch „Die Sexbesessenheit der AfD. Rechte im ‚Genderwahn‘“ als Titel. „Die AfD scheint sexbesessen zu sein“, lautet im Intro gleich der erste Satz. Womöglich erklärt die erhoffte Aufmerksamkeit diese Formulierung, die aber auch eine zutreffende Beobachtung über die Parteiagitation vorträgt. Denn ohne besonderen Anlass werden immer wieder einschlägige Inhalte zu öffentlichen Themen gemacht. Dabei erfolgen derartige Diskurse mittlerweile seit Jahren immer wieder, um aus der suggerierten Empörung für sich Zustimmung zu mobilisieren.

Cover des Buches von Daniela Rüther
Cover des Buches von Daniela Rüther

Dabei geht es um die Bevölkerungs- und Familienpolitik, aber auch die Gendersprache und Geschlechterforschung. Anknüpfungspunkte findet man in der Gesellschaft häufig genug, ironisieren doch nicht nur Kabarettisten gendergerechte Sprache im TV. Darüber fanden auch in seriösen Feuilletons einschlägige Kontroversen statt, häufig genug auch mit Polarisierungen verbunden, worauf sich die AfD in der eigenen Agitation direkt oder indirekt beziehen kann.

Ideengeschichtliche Kontinuitäten bis zurück nach Weimar

Die Autorin veranschaulicht solche Kontexte noch nicht einmal bezogen auf die sozialen Medien, wo derartige Inhalte immer wieder Thema in polarisierenden und schnellen Videos sind. Die Parlamente bilden für Rüther das Untersuchungsobjekt, arbeitet sie doch selbst im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Anhand vieler Anfragen wird exemplarisch veranschaulicht, wie sehr es eine Instrumentalisierung dieses Themenkomplexes gibt. Dabei macht die Autorin darauf aufmerksam, dass die gleichen parlamentarischen Fragen sogar immer wieder gestellt werden.

Bekanntlich dient solches Agieren als Arbeitsnachweis, wobei sich AfD-Abgeordnete hier offenkundig wenig Mühe machen. Entsprechend heißt es: „Die AfD plagiiert nicht nur sich selbst in den Parlamenten, indem sie die gleichen, zum Teil dieselben Anträge immer wieder neu einbringt. Sie hat auch von Rechten in Europa und aus der Geschichte gelernt“. Und tatsächlich lassen sich sowohl ideengeschichtliche Hintergründe wie gegenwärtige Vorbilder konstatieren.

Instrumentalisierung der Parlamentsarbeit

Anhand von Beispielen macht Rüther deutlich, dass bereits jungkonservative Intellektuelle in der Weimarer Republik ähnlich vorgingen. Gleiches gilt für die frühe Agitation der NSDAP. Der Autorin geht es dabei aber nicht um eine bloße Gleichsetzung, sondern um inhaltliche Parallelen über die Zeit hinaus. Auch in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte gab es entsprechende Vorbilder, hatte doch bereits vor wenigen Jahren die NPD dieses Themenfeld für sich entdeckt. So heißt es:

„Die AfD nutzt die Parlamente strategisch … Das Ziel ist nicht die der Logik folgende Auseinandersetzung mit Inhalten, sondern die Besetzung diskursiver Felder … Diese Strategie verfolgte schon die NPD und vor ihr die NSDAP“.

Für die AfD haben derartige Fragen aber in den sozialen Medien noch größere Relevanz. Die Autorin konzentriert sich zu sehr auf die Parlamente. Aber auch so wird die Bedeutung eines Diskurses veranschaulicht, der neben der Migration dort einen hohen Stellenwert hat. Das Buch ist kurz gehalten, weist aber auf wichtige Entwicklungen hin.

Daniela Rüther, Die Sexbesessenheit der AfD. Rechte im „Genderwahn“, Bonn 2025 (J. H. W. Dietz-Verlag), 141 Seiten, 18 Euro

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